Kopftuch: Religionsfreiheit versus Neutralität

Eine muslimische Juristin scheitert vor dem Bundesverfassungsgericht – vorerst.

Wien. Mit Kopftuch dürfen Referendarinnen bei Verhandlungen im Gerichtssaal nicht auf der Richterbank sitzen, keine Sitzungsleitungen und Beweisaufnahmen durchführen, keine Sitzungsvertretungen für die Amtsanwaltschaft übernehmen und keine Anhörungsausschusssitzung leiten. All das regelt der Erlass des hessischen Justizministeriums vom 28. Juni 2007.

Gegen diese Vorschriften hat eine muslimische Juristin Verfassungsbeschwerde erhoben. Seit Jänner 2017 ist sie Rechtsreferendarin im Land Hessen und trägt – wie sie sagt – das Kopftuch als Ausdruck ihrer individuellen Glaubensüberzeugung in der Öffentlichkeit. Mit ihrem Eilantrag gegen das Kopftuchverbot ist sie vor dem Bundesverfassungsgericht jedoch gescheitert; vorerst jedenfalls. Die Entscheidung bedeutet nämlich nicht, dass die Verfassungsbeschwerde unzulässig oder unbegründet ist. Jedoch scheint dem deutschen Bundesverfassungsgericht hier nicht die Notwendigkeit gegeben, eine einstweilige Anordnung zu erlassen.

Einschränkung ist begrenzt

Die Karlsruher Richter gaben bei ihrer Abwägung der staatlichen Neutralitätspflicht mehr Gewicht als der Religionsfreiheit der Frankfurter Referendarin: „Auch Rechtsreferendare, die als Repräsentanten staatlicher Gewalt auftreten und als solche wahrgenommen werden, haben das staatliche Neutralitätsgebot zu beachten“, heißt es in dem veröffentlichten Beschluss. In dem Verbot, während ihrer Ausbildung mit Kopftuch Gerichtsverhandlungen zu führen, sehen die Karlsruher Richter nur einen zeitlich und örtlich begrenzten Eingriff in die Religionsfreiheit, zumal der ganz überwiegende Teil ihrer Ausbildung von dem Verbot nicht berührt werde.

Neben Rechtsreferendarinnen mit Kopftuch sind Gerichte auch in anderen deutschen Bundesländern mit dem Thema Kopftuch – übrigens auch bei Lehrerinnen – befasst. Allerdings sind die einzelnen Gerichte in ihrer Rechtsprechung keineswegs einheitlich. Das vom bayerischen Justizministerium erlassene Kopftuchverbot erklärte das Augsburger Verwaltungsgericht im Juni 2016 für rechtswidrig, da ihm jede gesetzliche Grundlage fehle, so die Richter. Im Mai dieses Jahres verabschiedete der Landtag in Baden-Württemberg ein Gesetz, das ausdrücklich festhält, dass Richter, Staatsanwälte und Rechtsreferendare keinerlei religiöse oder politische Symbole im Gericht tragen dürfen. (hec)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2017)

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