Managerhaftung: Vorstände brauchen ihren Spielraum

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Im Rahmen der Debatte um fehlgeschlagene Unternehmen wird der Ruf nach mehr Verantwortlichkeit von Vorständen laut. Ein generell strengeres Gesetz wäre aber speziell in der Krise der falsche Weg.

Wien. Im Rahmen der Debatte um fehlgeschlagene Unternehmen sowie M&A-Transaktionen und deren Aufarbeitung wird der Ruf nach mehr Verantwortlichkeit von Vorständen laut. In vielen zurzeit diskutierten Fällen wird das Verhalten der Entscheidungsträger von der Staatsanwaltschaft auf strafrechtliche Relevanz geprüft. Obwohl zwischen strafrechtlicher und gesellschaftsrechtlicher Verantwortung eines Vorstands kein unmittelbarer Zusammenhang besteht, wird dieser regelmäßig schadenersatzpflichtig, wenn strafrechtlich relevantes Fehlverhalten festgestellt wurde.

Gesellschaftsrechtlich ist dabei die Abgrenzung zwischen noch vertretbaren unternehmerischen Entscheidungen und haftungsbegründenden Sorgfaltsverstößen oft wenig problematisch. Bei nicht strafrechtlich relevantem Fehlverhalten ist eine solche Beurteilung im Vorhinein dagegen schwierig. Ein kurzer Blick auf die betreffenden Regelungen des Aktiengesetzes zeigt einige der Gründe auf. Nach §84 Aktiengesetz sind Vorstandsmitglieder verpflichtet, bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines „ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ anzuwenden. Diese Bestimmung scheint nur Selbstverständliches auszudrücken und mag dem Nichtjuristen geradezu inhaltsleer, jedenfalls nicht als praxisgerechte Handlungsanleitung erscheinen. Der Gesetzgeber befindet sich aber in einem Dilemma: Konkrete Handlungsver- oder -gebote können der Tätigkeit von Vorständen in unterschiedlichen Unternehmen nicht gerecht werden. Denn auf den Vorstand eines Produktionsbetriebs können nicht die gleichen Regeln Anwendung finden, wie auf den Vorstand eines Kreditinstituts. Ein allgemein gültiger Katalog von Handlungsver- und -geboten würde daher für Sachverhalte und Verhaltensweisen gelten, die von diesem unbestrittenermaßen nicht erfasst sein sollten. Umgekehrt würden aber auch unzählige regelungsbedürftige Sachverhalte und Verhaltensweisen überhaupt nicht erfasst.

Der Begriff des „ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ bedarf in der Praxis einer Auslegung durch die Rechtsprechung bzw. einer Beurteilung nach der Übung des redlichen Verkehrs. Berücksichtigt werden dabei die konkreten Gegebenheiten eines Unternehmens wie beispielsweise dessen Größe, Art der Tätigkeit, die Marktlage sowie das wirtschaftliche Umfeld und die allgemeine Wirtschaftslage.

Unschärfe muss sein

Die Unschärfe des gebotenen Sorgfaltsmaßstabs ist eine gesetzestechnische Notwendigkeit, der mit einer Änderung des Aktiengesetzes kaum beizukommen ist. Eine Verschärfung der Haftung von Vorständen nach Aktiengesetz würde sich daher allein aus gesetzgeberischer Sicht schwierig gestalten. Jede Verschärfung bzw. Konkretisierung des gesetzlichen Haftungsmaßstabs könnte – gleichsam als unerwünschte Nebenwirkung – dazu führen, dass rechtspolitisch unerwünschtes Verhalten aus dem Regelungsbereich der Haftungsbestimmungen herausfällt. Ein im Gesetz weit gefasster Haftungsmaßstab, wie jener des „ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“, und dessen einzelfallbezogene Konkretisierung durch die Gerichte erscheinen daher grundsätzlich richtig. Dass dies Vorständen wenig Orientierung zur Entscheidungsfindung bietet, ist wohl ein unauflösbares Dilemma. Abhilfe können nur die österreichischen Höchstgerichte schaffen, indem sie mehr Rechtsprechung zu grundlegenden Prinzipien der Vorstandshaftung hervorbringen.

Rechtspolitisch ist sicherzustellen, dass Vorstände angesichts eines zu strengen Haftungsmaßstabs nicht vor riskanten unternehmerischen Entscheidungen zurückschrecken. Dies gilt besonders in Krisenzeiten, in denen die Markt- und Wirtschaftslage im Vorhinein schwer einschätzbar ist und sich das Entscheidungsrisiko erhöht. Innovation und gesamtwirtschaftliches Wachstum brauchen auch riskante unternehmerische Entscheidungen. Wird der Haftungsmaßstab für Entscheidungsträger zu strikt angelegt, kommt es zur Lähmung des Wirtschaftsmotors.

Ein auch in Österreich diskutierter Lösungsansatz zur Verhinderung von Risiko vermeidendem Entscheidungsverhalten von Vorständen besteht in der „Business Judgment Rule“ (BJR). Die Grundidee dieses aus dem angloamerikanischen Rechtskreis stammenden Modells besteht darin, Entscheidungsträgern unter bestimmten Voraussetzungen einen haftungsfreien Ermessensspielraum („Safe Harbour“) zuzugestehen. Voraussetzungen der Haftungsbefreiung sind etwa Unbefangenheit, Handeln im guten Glauben und zum Wohle der Gesellschaft sowie das Vorliegen einer adäquaten Entscheidungsgrundlage. Die BJR ist zwar nicht geeignet, Vorständen eine Anleitung zum sorgfaltsgerechten Verhalten zur Hand zu geben. Sie versucht aber, zumindest jenen Bereich der Entscheidungstätigkeit abzugrenzen, innerhalb dessen Vorstände Ermessensspielraum haben, ohne Gefahr zu laufen, persönlich haftbar zu werden. Die BJR ist im deutschen Aktiengesetz bereits seit 2005 verankert und könnte auch für das österreichische Recht ein geeigneter und prüfenswerter Ansatz sein.

Zusammengefasst ist beim organschaftlichen Fehlverhalten, das auch strafrechtlich relevant ist oder daran angrenzt, das vorhandene gesetzliche Instrumentarium ausreichend. Von diesen Fällen abgesehen wäre aber die Abgrenzung eines haftungsfreien Ermessenspielraums für Vorstände rechtspolitisch wünschenswert.

Dr. Walbert, LL.M. ist Rechtsanwalt bei Schönherr Rechtsanwälte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2011)

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