Großbritannien: Großpleite bringt May unter Druck

Der Mischkonzern Carillion beschäftigt in Großbritannien 20.000 Menschen.
Der Mischkonzern Carillion beschäftigt in Großbritannien 20.000 Menschen.(c) APA/AFP/DANIEL SORABJI
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Nach 1,5 Milliarden Pfund Außenständen muss der Bau- und Servicekonzern Carillion Insolvenz anmelden. Die Opposition übt Kritik an der Regierung.

London. Gerade noch durfte sich die britische Regierung über boomende Exporte freuen, da kommt sie durch eine Großpleite in Bedrängnis. Der Mischkonzern Carillion, der allein in Großbritannien 20.000 Menschen beschäftigt, musste gestern, Montag, mit Außenständen von 1,5 Milliarden Pfund Insolvenz anmelden. Nachdem Rettungsversuche über das Wochenende gescheitert waren, sprach Firmenchef Philip Green von einem „sehr traurigen Tag für unser Unternehmen, unsere Arbeitnehmer und unsere Zulieferer“.

Carillion setzte im Vorjahr 5,25 Milliarden Pfund um und war sowohl im Baugewerbe als auch im Auftrag der öffentlichen Hand tätig. Das im mittelenglischen Wolverhampton beheimatete Unternehmen betrieb auch Schulen, Krankenhäuser und Gefängnisse. Als Bauunternehmen war es an zahlreichen wichtigen Infrastrukturvorhaben wie etwa der neuen Hochgeschwindigkeits-Zugsverbindung zwischen London und Manchester beteiligt.

Damit war Carillion ein zentraler Protagonist in zahlreichen Regierungsvorhaben. Obwohl das Kabinett von Premierministerin Theresa May eine Rettung des Unternehmens ablehnte, ist man damit noch lange nicht aus dem Schneider. Kabinettsminister David Lidington rief die Beschäftigten gestern dazu auf, wie gewohnt zur Arbeit zu kommen, und versicherte: „Alle Gehälter werden weiter bezahlt, und alle Arbeiten werden fortgesetzt werden.“

Carillion war vor 20 Jahren als Abspaltung des Traditionsunternehmens Tarmac entstanden. Ein aggressiver Expansionskurs führte zur Übernahme von bekannten britischen Konkurrenten wie etwa Alfred McAlpine. Weltweit beschäftigte das Unternehmen zuletzt 43.000 Mitarbeiter und war unter anderem am Bau des Suez-Straßentunnels, des Hauptbahnhofs von Toronto und eines der zentralen Projekte für die Fußball-WM in Katar 2022 beteiligt.

Noch prominenter war die Rolle in Großbritannien, wo Carillion ebenso den Neubau der London Royal Opera errichtete wie den aufsehenerregenden Umbau der Battersea Station in London, bei dem am Südufer der Themse gerade ein altes Wärmekraftwerk in spektakuläre Luxuswohnungen verwandelt wird. Quasi nebenbei besorgte der Konzern auch die Hausverwaltung für 50.000 Wohnungen des Verteidigungsministeriums.

Massive Kostenüberschreitungen

Trotz anhaltender guter Baukonjunktur scheiterte Carillion schließlich an massiven Kostenüberschreitungen bei drei öffentlichen Projekten: Die Errichtung von Krankenhäusern in Sandwell und Liverpool sowie einer Umfahrungsstraße in Aberdeen mit Gesamtkosten von 1,6 Milliarden Pfund ist Jahre hinter dem Zeitplan, entsprechend stimmte die Finanzplanung schon längst nicht mehr. Seit Juni musste das Unternehmen drei Gewinnwarnungen erlassen.

Zur Insolvenz führten nun knapp 900 Millionen Pfund Zahlungsrückstände und ein Loch in der Pensionskasse von etwa 600 Millionen Pfund. Der vom Masseverwalter PWC eingesetzte Buchprüfer, David Birne, äußerte nach einer ersten Durchsicht der Geschäftsunterlagen die Sorge, dass „nur mehr sehr wenig an Wert in dem Betrieb vorhanden“ sei. Befürchtet wurde zudem ein Dominoeffekt der Pleite auf die rund 1000 Zulieferer des Konzerns.

Bei der Konkurrenz wirkte sich die Pleite als gute Nachricht aus – zumindest kurzfristig. Die Börsennotierungen von G4S, Interserve, Balfour Beatty und Kier Group schnellten in die Höhe. Die Baufirma Balfour warnte aber vor (voreiliger) Schadenfreude: Die Carillion-Pleite werde das Unternehmen bis zu 45 Millionen Pfund kosten.

Ebenso wenig ausgestanden sind die politischen Konsequenzen. Die oppositionelle Labour Party und die Gewerkschaften forderten eine sofortige Untersuchung des Debakels und wollten insbesondere wissen, wieso die Regierung May dem Unternehmen ungeachtet aller Warnungen weiter Aufträge im Wert von zwei Milliarden Pfund zugeschanzt hatte. Als „höchst aufklärungsbedürftig“ bezeichnete Labour-Sprecherin Rebecca Long-Bailey das Verhalten der Regierung. Der Versuch, ein Unternehmen wenn schon nicht durch Verstaatlichung, so wenigstens durch Staatsaufträge am Leben zu erhalten, entspricht freilich auch dem Denken weiter Teile ihrer Partei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2018)

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