Volkswagen tauscht den Lenker aus

VW-Konzernchef Matthias Müller steht vor der Ablöse. Am Freitag tagt der Aufsichtsrat.
VW-Konzernchef Matthias Müller steht vor der Ablöse. Am Freitag tagt der Aufsichtsrat.(c) APA/AFP/ODD ANDERSEN
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Matthias Müller wird als VW-Konzernchef abgelöst. Sein Nachfolger soll der 60-jährige Herbert Diess sein. Der Münchner mit österreichischem Pass soll einen Neustart schaffen.

Wolfsburg. „Wir müssen uns von vielem verabschieden“, sagte Matthias Müller noch vor knapp einem Monat beim Genfer Autosalon. Damals sprach er freilich von den Veränderungen für die Autofahrer, vom Elektromotor und von selbstfahrenden Fahrzeugen. Dienstagnachmittag war es Müller selbst, der vor der Verabschiedung stand. Die Veränderung hatte den mächtigen Volkswagenschef persönlich erwischt. Bereits am Freitag soll der Aufsichtsrat einen neuen Lenker für den größten Autokonzern Europas bestimmen. Dem Vernehmen nach soll es Herbert Diess sein. Er ist derzeit VW-Markenchef.

Nach nicht ganz drei Jahren muss Müller also gehen. Im September 2015 wurde er als Retter in der Not gefeiert. VW steckte tief im Sumpf des Dieselskandals fest, Vorgänger Martin Winterkorn hatte zu spät erkannt, dass der Skandal um manipulierte Abgastests keine kleine Episode, sondern vielmehr ein einschneidendes Kapitel in der 80-jährigen Geschichte von Volkswagen darstellte. Müller kam also als Aufräumer, aber in den vergangenen Monaten selbst immer mehr unter die Räder.

„Unethisch und abstoßend“

Ende Jänner enthüllte etwa die „New York Times“, dass der deutsche Autobauer federführend an Tierversuchen beteiligt gewesen ist. An Affen seien sogenannte „Abgastests“ durchgeführt worden. „Unethisch und abstoßend“nannte Müller diese Tierversuche. Zwar hatten diese vor seiner Zeit als VW-Konzernchef stattgefunden, aber ausbaden musste er die Geschichte trotzdem.

Und nicht nur diese Geschichte. Neben den Tests an Affen hagelte es auch noch Kartellvorwürfe – und zu allem Überfluss gab es schließlich Hausdurchsuchungen bei Audi. Kaum dachte man, Müller habe den VW-Konzern endlich in ruhigere Gewässer manövriert, poppte ein neuer Skandal auf. Anfang Februar zitierte das „Handelsblatt“ einen VW-Insider. Müller sei frustriert und verliere die Lust, hieß es. Dass er seinen bis 2020 laufenden Vertrag nicht erfüllen würde, war allerdings damals nicht abzusehen.

Denn es ist ein äußerst gut dotierter Vertrag. Knapp neun Millionen Euro verdiente Müller im vergangenen Jahr. VW hatte trotz aller Turbulenzen 14 Milliarden Euro Gewinn erwirtschaftet. Also kassierte der Vorstand dementsprechend. Allesamt mehr als 50 Millionen Euro. Und natürlich hagelte es Kritik. Kritik, der sich Müller stellte. Gegenüber dem „Spiegel“ rechtfertigte er seine Gage. Als Chef „steht man immer mit einem Fuß im Gefängnis“, sagt er. Deshalb sei er der Meinung, „dass unsere Gehälter angesichts dieser Verantwortung gerechtfertigt sind“.

Spätestens am Freitag dürfte Müller seiner großen Verantwortung enthoben werden. Da tagt der Aufsichtsrat. Am Dienstag hatten das „Handelsblatt“ und Reuters von der bevorstehenden Ablöse Müllers berichtet und sich auf mit der Angelegenheit vertraute Personen berufen. VW erklärte gestern in einer knappen Pflichtmitteilung lediglich, dass der Autobauer „eine Weiterentwicklung der Führungsstruktur für den Konzern“ erwäge. „Dazu könnte auch eine Veränderung im Amt des Vorstandsvorsitzenden gehören.“ Darüber hinaus äußerte sich der Konzern zunächst nicht.

Laut „Handelsblatt“ haben die Eigentümerfamilien Porsche und Piëch sowie das Land Niedersachsen und Großaktionär Katar bereits seit Wochen intensiv über einen Wechsel an der Konzernspitze verhandelt. Offenbar seien die Eigentümer der Meinung, dass das Unternehmen nach der Aufarbeitung der Dieselaffäre einen Neustart benötigt.

Ähnlich sahen das am Dienstag auch die Anleger. Die VW-Aktie legte zeitweilig um knapp fünf Prozent zu, stieg auf 172,50 Euro und war damit der größte Gewinner an der Frankfurter Börse. „Müller hat VW gut durch stürmische Zeiten gebracht, aber jetzt ist ein Neuanfang wichtig“, sagte ein Händler. „Neue Besen kehren bekanntlich besser, das gefällt dem Markt.“

Viele Anleger setzten auch auf Kostensenkungen und höhere Margen. Zudem stütze auch die Aussicht auf einen Börsengang der Nutzfahrzeugsparte Truck und Bus die Kurse.
„Müller war letztlich nur ein Mann für den Übergang. Jetzt hoffen die Investoren einfach auf einen Neuanfang“, erläuterte ein weiterer Händler.

Diesen Neuanfang soll der 60-jährige Herbert Diess bewerkstelligen. Seit drei Jahren leitet er die Kernmarke VW, zuvor saß er im Vorstand von BMW. Dass der 60-Jährige das Zeug zum charismatischen Konzernboss hat, hat er vor wenigen Wochen bei einem Auftritt im deutschen Fernsehen bewiesen. In der Talkshow „Anne Will“ war es nämlich nicht Müller, sondern Diess, der zum Thema „Das Dieselchaos – wer übernimmt jetzt die Verantwortung?“ Rede und Antwort stand. Und er tat dies in überzeugender Manier. Diess wehrte Angriffe mit souveräner Gelassenheit ab, blieb stets sachlich und unaufgeregt.

Österreichischer Pass

Diess kommt zugute, dass er erst nach dem Dieselskandal bei VW anheuerte. Ferdinand Piëch hat ihn dem Vernehmen nach von BMW abgeworben. Dort hatte Diess bereits seine Innovationskraft unter Beweis gestellt. Als Entwicklungsvorstand hatte er das Elektroauto BMW i mitinitiiert.

Der in München geborene Diess besitzt übrigens einen österreichischen Pass und unterhält auch enge Kontakte zu österreichischen Topmanagern wie KTM-Chef Stefan Pierer. (red./ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2018)

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