Merck braucht Partner für die große Pharma-Wette

(c) AFP (DANIEL ROLAND)
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Die Pipeline an neuen Arzneistoffen ist wieder gut gefüllt - doch der deutsche Pharmakonzern Merck braucht für die Weiterentwicklung dieser Substanzen dringend Partner.

Lange hatte Merck kein glückliches Händchen in der Erforschung neuer Arzneimittel. Doch rechtzeitig zum 350-jährigen Firmenjubiläum in diesem Jahr kann Deutschlands ältester Pharmakonzern wieder mit Erfolgen glänzen. Ein erster Befreiungsschlag glückte 2017, als Merck mit der Krebsimmuntherapie Bavencio erstmals seit neun Jahren wieder ein neues Medikament auf den Markt bringen durfte. Die Pipeline an neuen Arzneistoffen ist wieder gut gefüllt - doch Merck braucht für die Weiterentwicklung dieser Substanzen dringend Partner. Zu viel Geld ist schon in Bavencio geflossen und Mercks Cash-Cow, das Geschäft mit Flüssigkristallen für Flachbildschirme, steht unter hartem Konkurrenzdruck aus China.

"Wir analysieren, wie wir das Potenzial voll ausschöpfen können, aber wir sind uns auch der Einschränkungen bei der Finanzierung und den Ressourcen bewusst", sagt der Chef der Pharmaforschung, Luciano Rossetti, der Nachrichtenagentur Reuters mit Blick auf die Merck-Pipeline. Das Unternehmen befinde sich in "sehr intensiven" Gesprächen mit möglichen Partnern. "Wir können zwar weiter stark in Forschung und Entwicklung investieren, aber wir müssen einen Weg finden, mit anderen zusammenzuarbeiten, um diese Assets voll zu nutzen."

Nach Jahren mit Rückschlägen steht bei Merck vor allem das Krebsmittel Bavencio im Blickpunkt, für das der Darmstädter Konzern eine Partnerschaft mit dem US-Pharmariesen Pfizer abgeschlossen hat. Die Krebsimmuntherapie ist bereits zur Behandlung einer seltenen und aggressiven Form von Hautkrebs und von Blasenkrebs zugelassen. Für beide Indikationen ist der Markt aber nicht groß. Entscheidend ist deshalb eine Zulassung auch zum Einsatz bei Lungenkrebs, der weltweit häufigsten Krebsart. Das steht aber noch in den Sternen. Zuletzt floppte Bavencio in einer Studie mit vorbehandelten Lungenkrebspatienten, Ergebnisse zur Erstbehandlung von Patienten werden 2019 erwartet.

"Solide Pipeline"

Von der Krebsimmuntherapie, die auch unter dem Namen Avelumab bekannt ist, soll in Zukunft ein Großteil der neuen Pharma-Umsätze von Merck kommen. Aber auch die anderen Substanzen in der Pipeline rücken immer mehr in den Fokus. "Dafür, dass Merck vor fünf Jahren so gut wie keine Pipeline hatte, haben sie etwas Solides aufgebaut", urteilt Fondsmanager Markus Manns von Union Investment. Merck-Chef Stefan Oschmann zeigt sich selbstbewusst: "Wir sind der Meinung, dass unsere Pipeline im HealthCare-Bereich so stark ist wie noch nie", sagte er kürzlich auf der Bilanzpressekonferenz. "Wir müssen schauen, wie wir die Entwicklung dieser Pipeline so finanzieren können, ohne dass unsere Finanzergebnisse darunter leiden."

Sehr großes Interesse gibt es Oschmann zufolge an dem Mittel Evobrutinib, einem so genannten BTK-Hemmer, der weiße Blutkörperchen daran hindern soll, eine Immunreaktion auf gesunde Zellen zu richten. Die erste Generation von BTK-Hemmern zielte auf B-Zell-Blutkrebsarten ab, wie Abbvie's Ibrutinib, aber Merck hat den Ansatz zur Bekämpfung von B-Zell-induzierten Autoimmunerkrankungen wie rheumatoider Arthritis verfeinert. Der breitere Einsatz des Mittels auf dem schnell wachsenden Autoimmunmarkt - Evobrutinib wird auch zum Einsatz bei Multipler Sklerose und Lupus getestet - werde viele potenzielle Partner anziehen, darunter Abbvie und Roche, erwartet Fondsmanager Manns. Nach seiner Einschätzung befindet sich Merck in einer "sehr bequemen Situation". Das Abschließen von Partnerschaften sei in der Branche auch bei großen Unternehmen üblich und nicht zwangsläufig ein Zeichen von Schwäche. Mit einem Umsatz von sieben Milliarden Euro im Gesundheitsgeschäft zählt Merck eher zu den kleineren Spielern im weltweiten Pharmamarkt und schafft es nicht unter die Top-20-Unternehmen.

Partnersuche sollte nicht schwer fallen

"Als Investor möchte ich keine große Gewinndelle hinnehmen, nur weil Merck entscheidet, alle Medikamente eigenständig zu entwickeln", sagt Fondsmanager Manns. Merck habe nicht den finanziellen Spielraum, dieses Risiko alleine zu tragen. Zudem bekomme Merck über eine Allianz Zugang zu einem Vertriebsnetz. "Wenn sie heute ein Produkt verpartnern wollen, sind sie in der glücklichen Lage, dass ihnen die meisten Produkte aus der Hand gerissen werden. Alle großen und mittelgroßen Pharma- und Biotechfirmen suchen Medikamente zum einlizenzieren." Frisches Kapital könnte Merck auch durch den Verkauf seines Geschäfts mit rezeptfreien Medikamenten wie dem Nasenspray Nasivin zufließen, über den die Darmstädter noch im ersten Halbjahr eine Entscheidung treffen wollen.

Maßgeblich für den künftigen Erfolg des Pharmageschäfts wird nach Einschätzung von Manns die weitere Entwicklung von Bavencio (Avelumab) sein. "Letztendlich hängt das Wohlergehen oder das Scheitern immer noch von Avelumab ab, oder davon, dass eines der anderen Pipeline-Medikamente positive Daten zeigt." Zu den weiteren vielversprechenden Wirkstoffen aus den Laboren von Merck zählt die Krebsimmuntherapie M7824, die die Bavencio-Molekülstruktur mit einem zusätzlichen Wirksamkeits-Booster kombiniert, sowie das Krebsmittel Tepotinib.

"Klinische Pipelines werden tendenziell unterschätzt, aber das gilt besonders für uns", sagt Forschungschef Rosseti. Der Konzern befinde sich nun an einem Wendepunkt. "Aber es gibt immer noch eine Menge Skepsis gegenüber dem Markterfolg." Nach Einschätung von Bernstein-Analyst Wimal Kapadia hat genau das die Merck-Aktie zu einem Schnäppchen gemacht. "Die Pipeline von Merck wird von Anlegern häufig übersehen, zu Recht angesichts der mangelnden Transparenz und schlechten Erfolgsbilanz." Da die die meisten Anleger ein Scheitern erwarteten, wären künftige Erfolge eine positive Überraschung. 

(Reuters)

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