Wie das Europaparlament dazu kommt, sich für das Verbot bestimmter Wegwerfprodukte auszusprechen. Die Geschichte einer gut gemeinten EU-Regel und ihrer Gegner.
Straßburg/Wien. Geht es nach dem Europaparlament, so sollen ab 2021 zehn Wegwerfprodukte aus Kunststoff aus dem Verkehr gezogen werden. Eine deutliche Mehrheit von 571 Europaabgeordneten stimmte am Mittwoch für eine neue Richtlinie zur Müllvermeidung, die jeden EU-Bürger, aber auch zahlreiche Unternehmen betreffen wird. „Wenn wir nicht handeln, wird es bis 2050 mehr Kunststoffe als Fische in den Meeren geben“, begründete die SPÖ-Europaabgeordnete Karin Kadenbach diesen Schritt. Das Verbot betrifft Teller, Besteck, Trinkhalme, Rührstäbchen, Wattestäbchen und Haltestäbchen für Luftballone aus Kunststoff. Betroffen sollen in Folge auch Zigarettenfilter, Fast-Food-Verpackung und Trinkbecher sein. Zudem wünschen sich die EU-Abgeordneten, dass auch sehr dünne Plastiksäcke sowie weitere Produkte, die sehr schnell fragmentieren und in die Nahrungskette gelangen, schrittweise vom Markt verschwinden.
Die Entscheidung des Europaparlaments fiel nur zufällig wenige Tage, nachdem österreichische Forscher erstmals relevante Mengen von Mikroplastik in menschlichen Körpern in sechs Ländern entdeckt hatten. In Wirklichkeit ging sie zum einen auf eine europaweite Bürgerinitiative „Stoppt Plastik im Meer“ und zum anderen auf Untersuchungen im Auftrag der EU-Kommission zurück. Demnach ist die Plastikproduktion seit den 1960er-Jahren um das Zwanzigfache gestiegen. Der dadurch entstandene nicht mehr biologisch abbaubare Müll belastet vor allem die Meere. „Jährlich gelangen acht Millionen Tonnen Plastik ins Meer“, so der ÖVP-Europaabgeordnete Lukas Mandl. Er sieht eine notwendige Vorreiterrolle der EU. Das Plastik im Meer ist eine Gefahr für Fische, aber in letzter Konsequenz auch für Menschen. Denn es gelangt in mikroskopisch kleinen Partikeln über gefangene Fische und Meeresfrüchte letztlich ins Essen.
Die nun zum Verbot anstehenden Plastik-Wegwerfprodukte wurden aus einer Liste jener Stoffe ausgewählt, die Forschungsteams an 276 Stränden in 17 Mitgliedstaaten am öftesten gefunden haben. Diese Produkte tragen nach dieser Auswertung zu etwa 70 Prozent des gesamten Plastikabfalls im Meer bei.
Recycling von Kunststoffflaschen
Die Regelung sieht einerseits Verbote, andererseits aber auch das bessere Recycling von Produkten wie Kunststofftrinkflaschen vor. Sie sollen bis 2025 zu 90 Prozent wiederverwertet werden. Darüber hinaus werden Produzenten und Konsumenten in die Pflicht genommen, auf Alternativprodukte umzusteigen. Ob die Richtlinie in jener Schärfe bestehen bleibt, wie es das Europaparlament beschlossen hat, ist freilich noch offen. Denn die Regelung muss noch von den zuständigen Umweltministern im Rat der EU abgestimmt werden. Hier gibt es noch Vorbehalte gegen zu viele Verbote. Zudem geht es laut Österreichs Umweltministerin, Elisabeth Köstinger (ÖVP), auch noch um die Frage, in welchem Ausmaß die Hersteller für die Kosten der Vermüllung herangezogen werden.
Widerstand kommt vor allem von der Chemieindustrie. Sie sieht in der Richtlinie nicht das geeignete Instrument, um das Abfallproblem im Meer zu lösen, und pocht stattdessen auf ein effizienteres Abfallmanagement. Der Fachverband der chemischen Industrie Österreichs gibt sogar zu bedenken, dass die Richtlinie das Recycling erschweren könnte, da auch Produkte aus Recyclingmaterial von den Verboten betroffen sind.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2018)