Geschichten des Jahres 2019

Carla del Ponte: „Es herrscht totale Straflosigkeit“

APA/AFP/FABRICE COFFRINI
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Die frühere Chefanklägerin der UN-Kriegsverbrechertribunale, Carla del Ponte, im Gespräch über die Schwäche der UNO und den Umgang mit europäischen IS-Kriegsverbrechern. Sie fordert, einen internationalen Gerichtshof mit Sitz in einem Nachbarland Syriens zu gründen.

Geschichten des Jahres. Dieses Interview ist am 23. März 2019 erschienen.

Nach jeder Katastrophe schwört sich die Staatengemeinschaft „Nie wieder!“. Das Grauen des syrischen Bürgerkriegs hat die Welt in Echtzeit miterlebt, ohne es zu verhindern. Müssen wir uns damit abfinden, dass schlimmste Verbrechen doch immer wieder geschehen?

Carla del Ponte: In Syrien haben wir gesehen: Es herrscht totale Straflosigkeit. Jetzt sind wir im achten Jahr des Krieges. Es gibt kein Tribunal, keinen Gerichtshof, es geschieht nichts in puncto Justiz. Der politische Wille der Staaten ist entscheidend, damit man Gerechtigkeit für die Opfer schaffen kann. Aber der fehlt leider.

Da ist der UN-Sicherheitsrat gefragt, aber der ist blockiert. Vor allem Russland verhindert jede Resolution, die eine Aufarbeitung erreichen könnte. Glauben Sie, dass wir Präsident Assad jemals auf der Anklagebank sehen werden?

Das hoffe ich natürlich. Aber so, wie es derzeit aussieht, ist daran gar nicht zu denken.

In Ihrem Buch zu Syrien kritisieren Sie den Sicherheitsrat, aber auch die UNO. Was genau werfen Sie der UNO als Organisation vor?

Sie könnte mehr Druck auf den Sicherheitsrat machen. Es wäre auch gut, wenn mehr Druck von allen anderen UN-Staaten auf die Veto-Mächte käme. Der Generalsekretär könnte etwas mehr dahinter sein, dass nicht nur humanitäre Hilfe geleistet wird, sondern dass es zum Frieden kommt. Es gibt diesen Syrien-Sonderbeauftragten. Jedes Mal, wenn einer aufgegeben hat, wurde der Posten neu besetzt. Als Kofi Annan (Ex-UN-Chef, Anm.) resigniert hat, war bereits klar, dass man so keinen Erfolg haben würde. Trotzdem ist man weiter in dieselbe Richtung marschiert und hat keinen anderen Weg gefunden. Das ist schade. Das ist eben die UNO. Die UNO steht still. Humanitäre Hilfe ist alles, was sie machen kann – und das nicht so gut, wie es sein soll.

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