1914: „Franz Joseph wollte den Krieg“

1914: „Franz Joseph wollte den Krieg“
1914: „Franz Joseph wollte den Krieg“(c) Wikipedia
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Der packende Bericht des Militärhistorikers Manfried Rauchensteiner über die vier Wochen zwischen dem Attentat von Sarajewo und der Kriegserklärung.

Viermal war er in den Londoner Archiven und staunte über die Fülle an Material zum Ersten Weltkrieg. Manfried Rauchensteiner, Zeitgeschichtler und Militärhistoriker, hat am Donnerstag im Presseclub Concordia seine neuesten Forschungsergebnisse vorgelegt.

Gibt es überhaupt noch Quellen, die man anzapfen kann? „Und wie! Ich habe höchst originelle britische Botschaftsberichte gefunden“, schwärmt der Universitätsprofessor über seine Ausflüge nach Budapest, Prag, nach Italien und in die Schweiz. Dazu kamen die Akten der kaiserlichen Militärkanzlei, die nun in dem Werk „Der Erste Weltkrieg und der Untergang der Habsburgermonarchie“ (Böhlau) das Licht der Öffentlichkeit erblicken.

„Dann ist eben Krieg . . .“

Seine überraschendste Feststellung?  „Franz Joseph sprach vom ersten Tag nach dem Attentat in Sarajewo von Krieg. Er wurde weder von anderen dazu gedrängt oder überredet, sondern er war der Souverän, der sehenden Auges den Krieg gegen Serbien anordnete – und er war sich völlig bewusst, dass das Krieg mit Russlands Zarenreich bedeuten würde: ,Dann ist eben Krieg‘, stellte er lakonisch fest.“ Parallelen zu Adolf Hitlers Weltkrieg zu ziehen verbietet sich zwar, dennoch erstaunt, wie Politiker und Militärs zweimal in einem Jahrhundert denselben entscheidenden Fehler machen konnten. Deutschland wähnte sich völlig siegessicher: In vier Wochen werde man Frankreich besiegt haben – und dann gehe es gemeinsam mit Österreich gegen Russland . . .

Verblüffend: Der Kaiser vermied tunlichst Konferenzen mit mehreren Ratgebern gleichzeitig, sagt Rauchensteiner im Gespräch mit der „Presse“. Alles spielte sich in Einzelaudienzen ab, das geht aus den Protokollen hervor, die die Flügeladjutanten seiner Majestät anfertigen mussten. Bis auf zwei oder drei Besprechungen mit mehreren Personen fanden immer nur Vieraugengespräche statt. „Dann gingen die Minister mit klaren Anweisungen aus der Audienz weg“, beschreibt er die merkwürdige Art des kaiserlichen Regierens. Der Reichsrat spielte sowieso keinerlei Rolle.

Entscheidungen „von Gottes Gnaden“

In den spannungsgeladenen vier Wochen zwischen Attentat (28. Juni 1914) und Kriegserklärung war Generaloberst Arthur von Bolfras, Chef der kaiserlichen Militärkanzlei, fast jeden Tag beim Monarchen; am 5. Juli wurde Generalstabschef Franz Conrad (von Hötzendorf) zu einem längeren Vortrag befohlen, tags darauf Außenminister Graf Berchtold und Kriegsminister Feldmarschall von Krobatin. Jeder hatte nur zwanzig Minuten Zeit, um den Kaiser zu informieren und seine Meinung zu erfragen. Rauchensteiner: „Zweifellos zu kurz, um eine ausführliche Würdigung aller Aspekte der kritischen Situation vorzunehmen . . .“ Und das alles in denkbar ungünstiger, fast beiläufiger Form: Der alte Monarch, der seine Untergebenen stets stehend empfing, bat nie einen seiner Besucher, Platz zu nehmen. Mit einem leichten Kopfnicken signalisierte er dem Vortragenden, dass die Audienz schon wieder beendet war.

Alles andere verlor sich im üblichen Alltagsgeschäft. Die Leiter der österreichischen und der ungarischen Hofkanzlei, Baron Schiessl, und Sektionschef Daruváry kamen mit Akten, baten um Unterschriften, der Obersthofmeister Fürst Montenuovo und der Generaladjutant des Kaisers, Graf Egon Paar, erhielten ebenfalls ein paar Minuten. Wie üblich wurde nichts notiert, alle Aufträge ergingen mündlich.

Wie entfesselt man nun einen Krieg – von dem man noch nicht wissen konnte, dass die halbe Welt in Flammen stehen würde? Generalstabschef Conrad wollte auf die Nachricht vom Attentat sofort einen Militärschlag gegen Serbien starten, aber Berchtold und der Kaiser hielten eine Untersuchung und eine diplomatische Vorbereitung für notwendig. Conrads Plan eines schnellen Überraschungsschlags wäre für die k. u k. Armee gar nicht durchführbar gewesen. Er wollte damit nur den Kriegszustand erreichen, der von den Politikern gegen seinen Willen oft verhindert worden war, und jegliche Verhandlungsmöglichkeit ausschließen.

Auf nach Ischl!

Rauchensteiner beschreibt sehr plastisch die sogenannte Juli-Krise, also die Tage bis zum Kriegsausbruch.
Spätestens am 6. Juli 1914 befand Franz Joseph, dass alles Notwendige gesagt worden sei. Als ob nichts geschehen wäre, bestieg er tags darauf den Hofzug und fuhr nach Ischl zurück, so, als wären Franz Ferdinands Tod in Sarajewo und die fatalen Folgen nur eine ärgerliche Unterbrechung seines jährlichen Sommerurlaubs gewesen.
Rauchensteiner: „Das ist umso erstaunlicher, als an diesem 7. Juli zeitgleich ja der gemeinsame Ministerrat angesetzt war, bei dem es um die Grundsatzentscheidung ging, ob Krieg gegen Serbien geführt werden sollte.
Während die Weichen in Richtung Krieg gestellt wurden, fuhr der Kaiser nach Ischl.“ Für ihn waren die Würfel längst gefallen, alles andere war nun Sache seiner Untergebenen, auf die er sich blindlings verließ. Er hatte seinen Willen bekundet und ging davon aus, dass entsprechend gehandelt würde. Letzteres passte in eine schon lange geübte Praxis: Franz Joseph hatte es sich zum Grundsatz gemacht, Menschen, denen er eine Verantwortung übertragen hatte, zu vertrauen und sie diese Verantwortung auch tragen zu lassen. Mehr noch: Er begnügte sich schon lange damit, nur mehr informiert zu werden. Also konnte er Wien auch wieder verlassen.

Eine Unterschrift wie tausende andere

Auch 19. Juli, als der nächste gemeinsame Ministerrat tagte, fehlte der Kaiser. Er nahm anscheinend keinen Anteil an dem Entschluss über die tatsächliche Absendung des Ultimatums an Serbien.

Rauchensteiner: „Als es darum ging, die Kriegserklärung zu finalisieren, geschah das ohne weitere Rücksprachen, ohne eine letzte dramatische Konferenz, und selbstverständlich ohne direkte Verbindungsaufnahme mit dem deutschen Kaiser, denn die Monarchen telefonierten nie miteinander oder nützten einen Fernschreiber. Der Kaiser unterfertigte ganz einfach das ihm vorgelegte Blatt Papier. Damit verkam die Kriegserklärung an Serbien zu einem einfachen Verwaltungsakt.“

„Musste es denn sein?“

Ähnlich undramatisch gestaltete sich die Abreise des österreichischen k. u. k. Gesandten Wladimir Freiherr von Giesl am 25. Juli 1914 aus Belgrad. „Es war ein fürchterlich heißer Tag“, notierte der Diplomat, nachdem er auftragsgemäß die „befristete Demarche“ Wiens an Serbien übergeben hatte. Der serbische Ministerpräsident erschien in der österreichischen Gesandtschaft, gab seine (ablehnende) Antwortnote ab, Giesl fuhr mit seinen Mitarbeitern zum Bahnhof. Der fahrplanmäßige Zug nach Wien wartete bereits. Als die Österreicher die Savebrücke überquerten und damit die Reichsgrenze, wurde Giesl in Semlin ans Telefon gerufen. Es war der ungarische Ministerpräsident Graf István Tisza, der ihn fragte: „Musste es denn sein?“ Giesl bejahte. Das Schicksal nahm seinen Lauf.

Rauchensteiner: „Man schüttelt heute noch den Kopf. In allen Ländern Europas jubelten sie . . .“

Der Autor

Univ.-Prof. Dr. Manfried Rauchensteiner (71), war bis 2005 Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien. Er lehrt an der Diplomatischen Akademie Wien und an der Landesverteidigungs-Akademie. Sein neuestes Werk trägt den Titel „Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie“, erschienen im Böhlau-Verlag (1222 Seiten, 45 Euro). [ Jenis ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2013)

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