Die gebeugte Bertha: Suttners Ende in Wien

Bertha von Suttner
Bertha von Suttner(c) Wikipedia
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»Die Waffen nieder!« machte sie über Nacht berühmt, sie begeisterte Karl May, Tolstoi und Johann Strauß. Aber Bertha von Suttner starb verzweifelt und verhöhnt, genau eine Woche vor dem Attentat in Sarajevo. Davor schrie sie noch Stefan Zweig an.

Hinter ihr saß Hitler. Nein, nicht nur metaphorisch, er saß irgendwo hinter Bertha von Suttner, an einem Märztag 1912. Und der Mann, der davor auf dem Podium stand, war Karl May.

Karl May, Bertha von Suttner und Adolf Hitler, gemeinsam im Sofiensaal in Wien: was für eine gespenstische Vorstellung. May, der glühende Suttner-Fan, Hitler, der glühende May-Fan. Suttner, die alt gewordene Friedensikone, die den Antisemitismus zutiefst verabscheute, und Student Hitler, der angehende Kriegstreiber und Judenmörder. Dass Hitler dort war, berichtet zumindest ein Brünner Anonymus 1935 in einer tschechischen Zeitung, der Hitler zwei Monate gekannt haben will. Dieser soll sich an dem Tag Schuhe von ihm ausgeborgt haben, um zu Karl Mays Vortrag zu gehen.

Dessen Titel „Empor ins Reich der Edelmenschen!“ klingt heute auch ganz nach Hitler. Dabei waren die „Edelmenschen“ eine Hommage an Bertha, seine „Meisterin“, ebenso wie es zwei Figuren in „Winnetou“ sind: Taldscha und die ältere Aschta, diese beiden gebildeten, klugen, den Männern ebenbürtigen Vorbildfrauen.

Suttners Darwin. Suttner verstand Darwin auf ihre eigene Art. Die Menschheit würde sich zu kriegsfreien „Edelmenschen“ hinaufentwickeln, war sie lange überzeugt. Für alle Menschen würde Krieg bald ein völlig undenkbares, mit einer hohen Kultur unvereinbares Gräuel sein. Streitigkeiten würden stattdessen von internationalen Schiedsgerichten geschlichtet werden.

Aber die „Edelmenschen“ waren 1912 immer noch sehr wenige, und Bertha von Suttner war alt, müde, die Kriegstreiber saßen ihr im Nacken. Selbstbewusst und imposant präsentierte sie sich noch im April 1914 vor ihrem Schreibtisch, in einem Film, der heute im Filmarchiv liegt. Stolz, wenn auch etwas besorgt, hat sich die Altösterreicherin auch fast zwei Jahrzehnte lang auf dem Schilling-Tausender den Österreichern präsentiert. Dieses Bild, das sich tief in die Köpfe gegraben hat, verdeckt, wie deprimierend in Wirklichkeit ihr Leben geendet hat. Die 70-Jährige sah den „großen Krieg“ kommen, ihr Verein Österreichische Gesellschaft der Friedensfreunde war bedeutungslos geworden. Obwohl sie 1905 den von ihrem Freund und heimlichen Mäzen Alfred Nobel gestifteten Friedensnobelpreis gewonnen hatte, hatte sie Geldsorgen wie fast immer in ihrem Leben. Wien sei als Stadt für einen Friedenskongress „ein meterhoch zugefrorener Teich zum Schwimmen“, klagte sie 1914, es gebe null Hilfe Prominenter, nur „Feindschaft bei Hof, Adel, Kirche“.

Keine Frau wurde öfter karikiert.
Gehässige Karikaturen über die dicke „Friedensbertha“ hatte es schon lang gegeben, keine Österreicherin wurde häufiger karikiert (so berühmt wie sie waren ja auch nur Sängerinnen oder Schauspielerinnen); am Vorabend des Weltkriegs wurden die Bilder noch höhnischer. 1913 traf Stefan Zweig sie auf der Straße und überliefert, wie die sonst leise redende Suttner ihn ohne Rücksicht auf Passanten erregt anschrie, die „Kriegsmaschine“ sei schon im Gang: „Warum tut ihr nichts, ihr jungen Leute? Euch geht es vor allem an! Wehrt euch, schließt euch zusammen! Lasst nicht immer alles uns paar alte Frauen tun, auf die niemand hört!“ Der für September 1914 geplante internationale Friedenskongress fand nicht statt, da tobte schon der Krieg und Bertha von Suttner war tot: gestorben genau eine Woche vor dem Attentat in Sarajevo.

Der große Coup: „Die Waffen nieder“.
Ein Sprung 25 Jahre zurück. „An dem Titel darf keine Silbe verändert werden“, schreibt Bertha von Suttner 1889 an ihren Verleger über ihr Romanmanuskript „Die Waffen nieder“. Die böhmische Adelige mit langem Namen (Bertha Sophia Felicita Gräfin Kinsky von Chinic und Tettau) und verarmter Familie ist da 46 Jahre alt und hat schon abenteuerliche Jahre hinter sich: Als Gouvernante im Haus des Freiherrs von Suttner in Wien hat sie sich in den jüngsten Sohn des Hauses verliebt, ist mit ihm nach einer Hochzeit in Wien für acht Jahre in den Kaukasus gezogen, wo sich beide mühsam mit Unterhaltungsromanen und Übersetzen über Wasser hielten. Zurück in Wien, beziehen sie das Familienschloss im niederösterreichischen Harmannsdorf. Die Vision einer friedlicheren Welt kommt schon in ihren Novellen und Romanen vor, bevor sie von einer Organisation erfährt, die sie elektrisiert: der britischen International Arbitration and Peace Association.

Bertha von Suttner ist also nicht die erste Gründerin einer bekannten Friedensgesellschaft. Aber erst sie findet als Marketingtalent die Losung, die alle begeistert: „Die Waffen nieder!“ Ihr Sprachrohr im Roman ist die aus Wien stammende Gräfin Martha Althaus, die ihre vom Krieg gezeichnete Lebensgeschichte erzählt: Ihr erster Ehemann fällt bei Solferino, ihr zweiter wird im Deutsch-Französischen Krieg als Spion erschossen, die Geschwister sterben an kriegsbedingter Cholera, ihr Vater aus Kummer darüber. Am Ende ist es zur „fixen Idee“ der Gräfin geworden: „Die Kriege müssen aufhören. Und jeder Mensch muss beitragen, was er nur immer kann, auf dass die Menschheit diesem Ziele – sei's auch nur eine Tausendstel Linie – näher rücke.“

Wichtig wie „Onkel Toms Hütte“.
Warum war dieser heute nur noch als Zeitdokument interessante „Tendenzroman“ so unglaublich erfolgreich, der erfolgreichste Antikriegsroman bis zu Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ 40 Jahre später? Warum wurde Suttner über Nacht zur berühmten Schriftstellerin? „Eine Wirkung des Zeitgeistes“, glaubte sie selbst. Offenbar schlug das Buch gerade zum rechten Zeitpunkt in eine Öffentlichkeit ein, die über Krieg und Militarismus stritt. Leo Tolstoi meinte, das Buch habe für die Abschaffung des Krieges dieselbe Bedeutung wie das Buch „Onkel Toms Hütte“ von Harriet-Beecher Stowes für die Abschaffung der Sklaverei.

Journalisten waren am Erfolg maßgeblich beteiligt. „Den Durchbruch zum großen Erfolg brachte eine Rezension in der ,Neuen Freien Presse‘“, schreibt die Suttner-Biografin Brigitte Hamann. Ebendort rief Bertha von Suttner bald auch zur Gründung einer österreichischen Friedensgesellschaft auf, auf der Titelseite der Zeitung. Sie gewann dafür mit ihrer gewohnten Beharrlichkeit auch prominente Unterstützer wie Tolstoi, Peter Rosegger oder Johann Strauß. Der versicherte ihr auch, er werde ihr einen Friedenswalzer schreiben, hat sein Versprechen allerdings nie eingelöst.

Aber die euphorischen Anfänge wichen der Ernüchterung: Politiker der führenden Mächte kamen zwar auf der Ersten Haager Friedenskonferenz zusammen, aber fast ergebnislos; der „große Krieg“ schien statt ferner immer näher zu rücken. In der Literatur kamen „Ästhetizisten“ (Suttner) wie Hugo von Hofmannsthal oder Schnitzler, Suttners altmodische „Gebrauchskunst“ war out, Geldsorgen gab es ständig.

Gescheitert an „untätiger Sympathie“. Das Bedenkenswerteste über sie hat 1917 Stefan Zweig gesagt, v. a. über das Versagen der Zeitgenossen: „Was für eine laue, lässige, untätige Sympathie war dies, die wir alle ihrer Idee entgegenbrachten, indes sie wirkend glühte in der Leidenschaft ihrer prophetischen Angst [. . .] Als sie das erste Mal dieses Wort: ,Die Waffen nieder!‘ in die Welt schrie, liefen ihr die Leute zu und horchten auf.“ Aber dann „begann sich die Neugier zu langweilen. Man nahm diese leidenschaftliche Monotonie des Gedankens für Armut.“ Dabei sei es Suttners „unvergängliche Größe“ gewesen, dass dieser Gedanke nicht nur der richtige, „sondern auch der einzig wichtige unserer Epoche gewesen war.“

Leben

Das Buch

1843. Bertha von Suttner wird als Gräfin Kinsky in Prag in eine böhmische Adelsfamilie geboren. In ihrer Jugend lernt sie mehrere Sprachen, musiziert und reist viel.
1873. Bertha nimmt in Wien eine Stelle als Gouvernante an, nachdem das elterliche Vermögen aufgebraucht ist. Sie verliebt sich in den jüngsten Sohn des Hauses, der sechs Jahre jünger ist als sie. Heimlich heiraten sie und ziehen für acht Jahre in den Kaukasus, dann wieder nach Wien.
1889. Veröffentlichung des Romans „Die Waffen nieder!“, der Bertha von Suttner zur prominenten Vertreterin der Friedensbewegung macht.
1891. Gründung der Öst. Gesellschaft der Friedensfreunde nach einem von ihr verfassten Aufruf in der „Neuen Freien Presse“.
1889. Beteiligung an den Vorbereitungen für die Erste Haager Friedenskonferenz in Den Haag.
1905 erhält sie den Friedensnobelpreis.
21. 6. 1914. Tod in Wien.

Der Durchbruch
„Die Waffen nieder!“ erschien 1889. Das Buch machte die verarmte Adelige und Verfasserin von Unterhaltungsromanen über Nacht berühmt und erschien bis 1905 in 37 Auflagen. Es schildert die Schrecken des Krieges aus der Sicht einer Gräfin und zählt zu den erfolgreichsten Büchern des 19. Jh.s.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2014)

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