Die Buchkultur der DDR als Makulatur

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Ein eigenständiges Kapitel: Ostdeutschlands Literatur bis zur Wende. Dann kamen harte Jahre der Angleichung. Wie steht es heute mit dem Ruhm einst prominenter Autoren?

Was geschah nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 mit der Literatur in der ehemaligen DDR? Wurde der große deutsche Roman geschrieben? War jetzt Stoff genug da für neue Historie? Erst einmal gab es auch eine negative Entwicklung, die einige Leser schockierte. Viele Bibliotheken wurden im Osten geschlossen, ostdeutsche Verlage gingen in Serie in Konkurs. Ihr Verfall hatte sich schon angekündigt, eine Reduktion auf weniger als die Hälfte allein bis 1989.

Und dann waren viele Millionen DDR-Bücher Makulatur. Tonnenweise wurden Bücher aus der Produktion von DDR-Verlagen entsorgt. Sie wurden geschreddert, auf den Müll geworfen. Niemand wollte damals offenbar diese Altlasten haben, ob es sich nun um zeitgenössische, klassenbewusste Werke oder um hervorragend edierte Klassiker handelte. West-Literatur war nun im Osten an der Zeit.

Die Entwertung der alten Bücher störte einen Theaterintendanten in Halle an der Saale: Peter Sodann, seit 1991 weit über seine Heimat hinaus als Leipziger Kommissar Bruno Ehrlicher in der Reihe „Tatort“ bekannt, begann bald nach Auflösung der DDR damit, diese Verlassenschaft zu sammeln. „Die schmeißen dein Leben weg, das kannst du nicht zulassen,“ sagte er. Hunderttausende Bücher hatte er bald zusammen. Sodann wollte aber alles haben, was von 1945 bis 1990 in Ostdeutschland publiziert wurde, ging mit seinem Wunsch nach solch einer Bibliothek an die Öffentlichkeit. Er lasse sich seine Vergangenheit nicht nehmen, heißt es heute auf seiner Webseite „www.psb-staucha.de“. Nach einer Odyssee landete er mit seinen Büchern schließlich im kleinen sächsischen Ort Staucha. Vor zweieinhalb Jahren wurde dort die Peter-Sodann-Bibliothek eröffnet. Gut 300.000 Bücher sind inzwischen katalogisiert, noch wesentlich mehr befinden sich auf Lager.


Eigener Band Literaturgeschichte. „Die DDR nahm für sich gern in Anspruch, ein ausgesprochenes Leseland zu sein“, assistiert der Ostberliner Verleger Christoph Links den Web-Auftritt Sodanns. Ihre Literatur, die aus den Trümmern am Ende des Zweiten Weltkriegs erstand und nach der Zertrümmerung der Berliner Mauer nach dem 9. November 1989 mit jener der Bundesrepublik zusammenwuchs, war tatsächlich eine eigenständige Provinz in der Welt der Bücher. „Hansers Sozialgeschichte der Literatur“ widmete in dem groß angelegten, zwölf Bände umfassenden Abriss vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart der DDR einen eigenen Band, Nummer 11 (1983), während Österreich und die Schweiz wie ein Anhang zur BRD in den Bänden 10 (1986) und 12 (1992) behandelt wurden. Nur „ehemalige“ DDR-Autoren, also jene, die das Land verlassen hatten, fanden im abschließenden Band als Postscriptum nach der Wende Berücksichtigung. „Keine andere Epoche deutscher Literatur ist mit dem kulturpolitischen Programm einer Partei in einer so ambivalenten Verbindung zu sehen, wie die Literatur der DDR“, schrieb Herausgeber Hans-Jürgen Schmitt. Aus westlicher Sicht sei sie dann „wegen des oktroyierten Sozialismus entweder keine Literatur“ gewesen, „oder sie war eine Literatur gegenden Sozialismus“.

Diese Gespaltenheit war spätestens seit der Ausbürgerung des systemkritischen Lyrikers Wolf Biermann 1976 deutlich sichtbar. Ihm folgte ein Strom prominenter Autoren ins Exil, unter anderem Reiner Kunze, Jurek Becker, Sarah Kirsch, Günter Kunert, Thomas Brasch und Erich Loest. Die verbliebene Ost-Literatur nach Bertolt Brecht schien dennoch beeindruckend. Heiner Müller galt in dessen Nachfolge lange Zeit als stärkster deutscher Dramatiker, Peter Hacks schrieb in Serie Stücke mit großem Erfolg, Ulrich Plenzdorf landete mit „Die neuen Leiden des jungen W.“ einen Hit, der zur Schullektüre wurde. Christa Wolf und Stefan Heym gehörten im gesamten deutschsprachigen Raum ebenso zum Kanon wie Volker Braun oder Monika Maron. Die Literatur war tatsächlich geteilt, auch innerhalb der DDR.


Die vier vom 4. November. Was aber ist im literarischen Nachruhm aus jenen Autoren geworden, die geblieben sind? Nehmen wir vier davon als Beispiel, eben jene, die am 4. November 1989 bei der großen Demonstration am Berliner Alexanderplatz sprachen. Diese erste vom Regime genehmigte, privat von Theaterleuten initiierte Massenversammlung zog 500.000 Protestierende an, manche sagen, eine Million. Sie skandierten, wie es bereits Brauch war, „Wir sind das Volk!“. Sie forderten Freiheit. Diese Demonstration hat ihren Teil zur Öffnung der Grenze in der Nacht des 9. November beigetragen. Unter den mehr als 20 Rednern, die sich auf einem improvisierten Podium auf einem LKW dem Volk stellten, waren Menschenrechtsaktivisten, Professoren, Schauspieler, Politiker. Stasi-General Markus Wolf wurde ausgepfiffen. Da wussten viele: Das Ende der DDR ist nah. Das Machtmonopol der SED sollte gebrochen werden.

Was aber sagten damals Stefan Heym, Christa Wolf, Heiner Müller und Christoph Hein, berühmte Autoren, die im Land geblieben waren, und auf dem Podium ebenfalls das Wort ergriffen? „Es ist, als habe einer die Fenster aufgestoßen!“, rief Heym, der immer schon Unbequeme, immer wieder Ausgestoßene, der aus den USA nach Ostdeutschland zurückgekehrte Exilant. Jahre der Stagnation, „von Dumpfheit und Mief, von Phrasengewäsch und bürokratischer Willkür, von amtlicher Blindheit und Taubheit“ seien vorbei. Man sei im Begriff, den aufrechten Gang zu lernen, sagte der „Nestor unserer Bewegung“, wie er bei der Protestveranstaltung vorgestellt wurde.

Christa Wolf, die dem Regime näherstand, als sie später zugeben wollte, gelang das dialektische Kunststück, die Revolution von 1989 zu begrüßen und zugleich vor ihr zu warnen: „Wir wollen die Chance, die in dieser Krise steckt, da sie alle unsere produktiven Kräfte weckt, nicht wieder verschlafen. Aber wir wollen sie auch nicht vertun durch Unbesonnenheit oder die Umkehrung von Feinbildern. Mit dem Wort ,Wende‘ habe ich meine Schwierigkeiten.“ Zögern bis zum Schluss.

Christoph Hein, der jüngste der vier, mahnte Veränderungen der gesellschaftlichen Strukturen ein, aber sie sollten „demokratisch und sozialistisch werden“. Diese Wendung hatte übrigens auch Markus Wolf gebraucht und war dafür ausgepfiffen worden. Hein jedoch fand allgemein Zustimmung. Er prangerte die schmutzigen Hände der Funktionäre an. Die Aufklärung müsse bei den Spitzen des Staates beginnen.

Kurz war der Auftritt Heiner Müllers, der vom Regime nach dem Mauerbau 1961 systematisch ausgegrenzt worden war. Er sagte: „Wir brauchen Solidarität statt Privilegien“, las einen Aufruf vor, der unabhängige Gewerkschaften vorschlug: „Wir müssen uns selbst organisieren. Die nächsten Jahre werden für uns kein Zuckerschlecken.“ Der Dramatiker schloss mit einem persönlichen Satz, der prophetisch war: „Wenn in der nächsten Woche die Regierung zurücktreten sollte, darf auf Demonstrationen getanzt werden.“ Das könnte fast von Brecht stammen.

Inzwischen konnte Christoph Hein in 25 Jahren seinen Ruf festigen, weniger als Dramatiker, denn als bedeutender Romancier, auch als Chronist seines Landes. Die anderen drei Autoren sind tot. Die Dramen von Müller werden noch immer weltweit gespielt, vor allem in Frankreich, aber das Interesse scheint bereits nachzulassen. Eine kritische Ausgabe seiner Werke steht noch immer nicht in Aussicht. Die Person Christa Wolf und ihr Werk, das bedeutende Romane enthält, wurde nach der Wende besonders kontrovers diskutiert. Man warf ihr Moralismus und fehlende Distanz zum Regime vor. In der Rolle der Defensive wirkte sie nicht überzeugend. Stefan Heym, einstiger Bestseller-Autor und Kurzzeit-Politiker der Liste PDS, ist inzwischen fast schon ein Geheimtipp. Bis zuletzt beharrte er auf Gerechtigkeit für seine Mitbürger und träumte von einer sozialistischen Alternative zum „gesamtdeutschen Kapitalismus“. In Peter Sodanns DDR-Bibliothek sollte er so wie Wolf und Müller einen Ehrenplatz bekommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.11.2014)

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