Londoner Abkommen: Als Griechenland den Deutschen half

Nachkriegsdeutschland, 1946: Das deutsche
Nachkriegsdeutschland, 1946: Das deutsche "Wirtschaftswunder" wurde erst durch den Schuldenschnitt 1953 möglich.(c) imago stock&people (imago stock&people)
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1953 war Deutschland stark verschuldet – und ein Großteil dieser Schulden wurden damals von den Verhandlungspartnern erlassen. Zu denen gehörte auch das heutige Euro-Sorgenkind Griechenland.

Als die junge Bundesrepublik Deutschland 1953 in London an den Verhandlungstisch trat, hatten zwei Weltkriege das Land auch finanziell schwer verschuldet zurückgelassen: Einerseits waren nach dem Zweiten Weltkrieg Zahlungen für Marshallplan- und Nahrungsmittelhilfen offen – andererseits trugen die Deutschen noch Schulden aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg auf ihren Schultern, die mittelbar auf den Vertrag von Versaille zurückgingen. Die nationalsozialistische Regierung hatte die Zahlungen an die Vertragsstaaten Frankreich und Großbritannien 1933 einfach eingestellt; auch an Länder wie die USA war kein Geld mehr geflossen. Deutsche Anleihen besaßen Schrottstatus.

Zu den Gläubigern Deutschlands zählten im Jahr 1953 22 Staaten – neben Frankreich, Großbritannien, der Schweiz oder den USA gehörte auch Griechenland dazu. Sie erließen den Deutschen die Hälfte ihrer Auslandsschulden – und ermöglichten durch diesen Schuldenschnitt, Londoner Schuldenabkommen genannt, ein schnelles deutsches „Wirtschaftswunder“. Die internationalen Gläubiger investierten damit aber nicht nur in ein neues Deutschland, sondern auch in ein stabiles, wirtschaftlich starkes Europa. Eine Entscheidung, die den Griechen und Spaniern, Italienern und Iren damals in London bewusst gewesen sein dürfte.

Schuldenabkommen als Exportförderung

Das Londoner Schuldenabkommen beschleunigte den Aufbau der deutschen Nachkriegswirtschaft auch durch eine besondere Klausel: Deutschland sollte seine restlichen Schulden ausschließlich aus Handelsüberschüssen finanzieren; die Schuldrückzahlungen sollten zudem unter vier Prozent der jährlichen Exporteinnahmen Deutschlands ausmachen. Die Gläubigerstaaten mussten also deutsche Güter kaufen, um ihr Geld zurückzubekommen. Eine innovative Lösung, die zeigte, dass die Gläubiger ein Interesse an einem wirtschaftlich erfolgreichen Deutschland hatten. Auch aus politischer Sicht war das Schuldenabkommen willkommen: Viele Menschen, darunter auch der Ökonom John Maynard Keynes, machten Deutschlands hohe Schulden nach dem Ersten Weltkrieg für den Aufstieg der Nationalsozialisten mitverantwortlich. Wirtschaftliche Sicherheit sollte also zu politischer Stabilität führen.

Die Schuldenlast betrug 1953 rund ein Viertel des damaligen deutschen Bruttoinlandsprodukts. 27,3 Milliarden D-Mark waren insgesamt zu begleichen; 11,3 Milliarden D-Mark stammten aus den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg, 16 Milliarden D-Mark aus den Jahren danach (Details dazu in einem "Presse"-Artikel von 2011). Die Schuldenquote lag damit deutlich unter jener, die etwa Griechenland im Jahr 2013 besaß – die griechischen Staatsschulden lagen vor zwei Jahren bei rund 176 Prozent.

Als das Londoner Schuldenabkommen 1958 vollständig umgesetzt war, lag die deutsche Schuldenquote bei sechs Prozent. Von so einem Schuldenstand kann Deutschland heute aber ebenso nur träumen: 2013 beliefen sich die deutschen Staatsschulden auf rund 78 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Nachkriegsverbindlichkeiten hatte die Bundesrepublik 1988 abbezahlt; 2010 wurden die letzten Vorkriegsschulden getilgt.

An „Lehren“ von 1953 erinnern

Verwehrt der Euro-Partner Deutschland heute Griechenland jene wirtschaftliche Neuordnung und überlegten Regelungen im Exportbereich, die die Hellenen der jungen Bundesrepublik bei den Verhandlungen 1953 ermöglichten? Das Londoner Schuldenabkommen gilt für viele als beispielhafte Lösung einer Schuldenkrise – heute meinen Kritiker der vor allem von Deutschland dominierten Europolitik, dass diese vorsehe, Krisenstaaten bloß „durch Massenarbeitslosigkeit und Gehaltskürzungen“ wettbewerbsfähig zu machen, wie es etwa Nick Dearden von der britischen NGO „World Development Movement“ 2013 im „Guardian“ beschrieb. Diese Strategie bringe „Leid ohne Ende“ – außer dann, wenn Deutschland und andere Gläubiger damit beginnen würden, vermehrt griechische Exporte zu kaufen und Griechenland so unter die Arme zu greifen; so, wie es 1953 umgekehrt mit Deutschland passierte. 

Auch die deutsche Initiative „erlassjahr.de“, gegründet von christlichen und entwicklungspolitischen Organisationen, will Deutschland an den Wirtschaftspakt von London erinnern. Die Gruppe setzt sich für eine „geordnete Umschuldung“ Griechenlands ein. „So wie damals Deutschland“, sagte Jürgen Kaiser, Koordinator der Gruppe, 2011 der „Deutschen Welle“ – denn Deutschland solle seine Lehren aus dem Jahr 1953 ziehen.

>> zum "Die Presse"-Artikel von 2011

(eup)

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