1. Juni 1939: 106,9 km/h auf der Höhenstraße

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Zur Ablenkung der Wiener ein spektakuläres Automobilrennen. Auto-Union-Star fuhr von Grinzing auf den Kahlenberg in 2:18,7 Minuten.

Am 11. Juni 1939 fuhr der Auto-Union-Werksfahrer Hermann Müller die 4,116 km lange Strecke von Grinzing zum Parkplatz Kahlenberg (200m Höhenunterschied) in einer Fabelzeit, die auch heute einem modernen Sportwagen größte Probleme bereiten würde.

Siebzig Jahre danach ist es für Motorsportfans fast unvorstellbar, was sich damals auf der Wiener Höhenstraße zutrug. 120.000 Zuseher belagerten die Rennstrecke, weil die berühmten „Silberpfeile“ von Mercedes-Benz und Auto Union mit ihren Starpiloten Manfred von Brauchitsch, Hermann Lang, Hans Stuck und Hermann Müller der erst drei Jahre alten Höhenstraße einen Besuch abstatteten.

Natürlich war dieses Spektakel Teil einer exakt geplanten Inszenierung der damaligen Machthaber nach dem Motto „Brot und Spiele“. Der „Völkische Beobachter“ mokierte sich säuerlich über diesen überraschenden Massensturm Richtung Grinzing, weil doch am selben Wochenende mit dem Galopper-Derby in der Freudenau und dem Fußballspiel Ostmark gegen Schlesien (5:2 für Ex-Österreich) scheinbar attraktive Alternativen angeboten wurden.

Hitler war weniger interessant

Doch der tiefere Grund der Zeitungskritik lag woanders: Adolf Hitler besuchte in diesen Tagen Wien, ehrte Richard Strauss in der Staatsoper bei der Aufführung von dessen Oper „Friedenstag“, tags darauf sah er im Burgtheater „Einen Jux will er sich machen“. Die Spaliere am Ring dürften aber nicht die erwartete Dichte aufgewiesen haben, Motorsport und Heuriger waren unbezwingbare Konkurrenten.

Doch zurück nach Grinzing, wo seit Freitag, 9. Juni, mit Trainingsbeginn 8 Uhr früh die Motoren heulten: 184 Teilnehmer hatten ihre Nennung abgegeben, als Geste an die „Ostmark“ wurde die Deutsche Bergmeisterschaft 1939 mit den Läufen in Wien auf der Höhenstraße und am 6. August am Großglockner ausgeschrieben. Eine einmalige Angelegenheit, denn nicht einmal drei Monate später verschwanden die Boliden in den Garagen, viele der Rennfahrer durften dann in Polen Krieg führen.

Es war klar, dass auch Mercedes-Benz und Auto Union mit ihren Piloten, die nach heutigen Begriffen Popstars glichen, für diese Meisterschaft die Nennung abgaben. Je zwei Werkswagen wurden für Wien genannt, Mercedes nominierte Manfred von Brauchitsch und Hermann Lang, Auto Union trug Hans Stuck (den „Bergkönig“) sowie das ehemalige DKW-Motorrad-Ass Hermann Müller in die Starterliste ein.

BMW, Morgan, MG, Bugatti...

Aus ganz Deutschland kamen die Teilnehmer nach Wien, Motorräder bildeten zwar das zahlenmäßig größte Kontingent, das Feld der Sport- und Rennwagen wäre für einen heutigen Oldtimerveranstalter ein einziger Traum. BMW dominierte zwar, doch auch Marken wie Morgan, MG, Bugatti und Maserati waren repräsentativ vertreten. Viele prominente heimische Aktive der späteren Nachkriegszeit finden sich im Programm: Wolfgang Denzel, Ernst Vogel, Siegfried Pachernegg, Thedy Quidenus, Kurt Koresch, Josef Chalupa, Martin Schneeweiß oder Ludwig Faßl. Diese Männer haben es in den schweren Jahren nach 1945 verstanden, wieder einen österreichischen Motorsport auf die Beine zu stellen.

Wie das Entsatzheer 1683

Das Interesse der 120.000 Zuseher, die sich – wie ein Zeitzeuge notierte – ähnlich dem Entsatzheer von 1683 über die Hänge des Kahlenbergs bewegten, galt den „Silberpfeilen“. Die einzige Straßenbahnlinie, 38, nach Grinzing war überfordert, lange Fußmärsche wurden locker in Kauf genommen, ein Blick auf die silbernen Rennwagen war Höhepunkt des Tages. Mercedes brachte den für die 750-Kilogramm-Formel-1 entwickelten neuen Boliden, dessen 12-Zylinder-3-Liter-Kompressormotor 400 PS auf die Straße brachte. Auch Auto Union brachte einen 12-Zylinder-3-Liter-Kompressor mit, dessen Leistung in etwa mit der des Mercedes ident war. Der Rennleiter der Reifenfirma Continental notierte: Alle vier „Silberpfeile“ wurden mit leicht angefahrenen Reifen bestückt; an den Hinterachsen aller Fahrzeuge montierten die Werke Zwillingsreifen, um die Kraft besser auf der Straße verteilen zu können.

Sonniges, warmes Frühsommerwetter herrschte am 11. Juni, als die Werkswagen von Mercedes und Auto Union den Ritt auf den Kahlenberg riskierten. Keine Absicherungen entlang der Strecke – für heutige Verhältnisse eine Horrorvorstellung.

Gesamtsieger: Hermann Lang

Nach Addition der beiden Rennläufe stand Hermann Lang auf Mercedes in 4:38,6 Minuten mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 106,8 km/h als Sieger fest, knapp gefolgt von Hermann Müller mit 4:39,4 Minuten, der aber die schnellste Einzelzeit markiert hatte. Auf Platz drei folgte Manfred von Brauchitsch (Mercedes) in 4:39,7 Min., Schnitt: 106 km/h, vor dem klar geschlagenen „Bergkönig“ Hans Stuck, dessen Zeit von 4:43,5 Min. „nur“ 104,5 km/h bedeutete.

Ein Sieger jenes Tages lebt noch heute: der Verleger Paul Pietsch, stramme 95 Jahre alt, siegte damals in der kleinen Rennwagenklasse auf Maserati mit 5:06,8 Minuten, immerhin noch 95,5 km/h im Schnitt.

Kleiner Nachsatz: Der Döblinger Bezirksvorsteher Adolf Tiller ruft für den Herbst zur Jubiläumsfahrt „Höhenstraße-Rennen“.

Der Autor zählt zu den führenden Motorjournalisten. Jahrelang betreute er in der „Presse“ nicht nur den Bereich Motorsport, sondern auch allgemeine Motorthemen. Er schreibt für Tageszeitungen und Magazine.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2009)

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