Pius XI: Der Vatikan-Pakt mit Mussolini

Benito Mussolini
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Eine neue Biografie beschreibt die heikle Situation des Italieners Achille Ratti: Ohne Arrangement mit dem Faschismus wären die Lateranverträge nicht möglich gewesen.

"Stellvertreter Christi auf Erden": Ein großer Titel, ein maßloser Anspruch, der Unfehlbarkeit ebenso umfasst wie eine universale Vorherrschaft, die bis hinüber ins Jenseits reicht. So verstand sich das Papsttum bis in die Sechzigerjahre des vorigen Jahrhunderts. Ein Anspruch freilich, der auch als Maßstab für die erwählten Personen gelten muss. Nicht nur Eugenio Pacelli, als Pius XII. (1939–1958), wird von der Nachwelt gewogen und als „zu leicht“ befunden. Er hätte, so meinen seine Kritiker, sich den Judenstern anheften und ins KZ Auschwitz gehen müssen. Er hätte sich angesichts des allseits bekannten Judenmordes persönlich opfern müssen. Freundlicher gesinnte Nachgeborene verweisen auf das Dilemma: Was hätte der Papst damit bewirkt? Wäre der Völkermord gestoppt worden?

Pacellis Vorgänger, Achille Ratti, als Papst Pius XI., galt in der Geschichtsschreibung lange Zeit als dessen Antipode. Ein Freund der Juden, der mit der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ den Aufschrei der gesitteten Welt gegen Hitlers Wahnsinn artikulierte. Nach Lektüre von Kertzers Dokumentation wird man diesen Papst wohl mit anderen Augen betrachten müssen. Gewiss – eine außergewöhnlich ideologisierte Zeit, in der sich jeder deklarieren musste. Daher ist es leicht für uns Nachgeborene, darüber zu richten.

Aber: Ohne den Vatikan kein Mussolini-Faschismus, ohne den Papst Achille Ratti kein „Duce“, sagt uns Kertzer. Es ist eine Parallelbiografie dieser beiden Persönlichkeiten, die in die erbarmungslose Zeit geworfen wurden. Beide zeigten eine latent judenfeindliche Einstellung, beide hatten ganz bestimmte Vorstellungen von der Gesellschaft: Ratti wollte einen katholischen Staat, Mussolini einen faschistischen. Vielen Zeitgenossen waren Juden, Zionisten, Freimaurer und Bolschewiki die wahren Feinde des Abendlandes, nicht der Taufscheinkatholik Hitler in Deutschland. So bekam Italien letztlich den klerikal-faschistischen Staat, meint Hubert Wolf in seinem Vorwort.

In der Geschichte über die Geheimbeziehungen des Vatikans zur faschistischen Führung wird deutlich, dass sich Mussolini und Pius XI. zwar hassten, aus Gründen des Machterhalts aber dennoch stützten. Nur so gelang es dem Papst, 1929 mit Mussolini die Lateranverträge abzuschließen, durch die die Vatikanstadt die Unabhängigkeit erlangte. Außerdem wurden in diesen Verträgen der Katholizismus zur Staatsreligion erklärt, Religionsunterricht obligatorisch und antikirchliche Propaganda verboten. Mit seiner berühmten Enzyklika „Quadragesimo anno“ 1931 suchte Pius XI. nach einer gesellschaftlichen Lösung auf Basis der katholischen Soziallehre.

Die Beziehungen zur faschistischen Regierung verschlechterten sich aber zusehends, beschreibt Kertzer anhand interessanter Quellen. Ein bemerkenswertes Detail spricht allerdings gegen die These Kertzers: Schon am 30. März 1933, also nur zwei Monate nach Hitlers Machtübernahme, schickte Mussolini seinem deutschen Bündnispartner eine Botschaft, die mit dem Papst abgesprochen war: Hitler möge die Judenverfolgung stoppen.

Pius XI. hatte zuvor jenen berühmten Hilferuf der heiliggesprochenen Edith Stein bekommen: „Seit Wochen warten und hoffen nicht nur die Juden, sondern Tausende treuer Katholiken in Deutschland [. . .] darauf, dass die Kirche Christi ihre Stimme erhebe, um diesem Missbrauch des Namens Christi Einhalt zu tun.“ Der flammende Appell landete beim Kardinalstaatssekretär Pacelli, der antwortete, er habe den Brief dem Heiligen Vater vorgelegt. Und er fügte ein Gebet hinzu, dass Gott seine Kirche in dieser schwierigen Zeit schützen möge . . .

Johannes Paul II. hat im Heiligen Jahr 2000 Antworten von Historikern auf die Frage nach der Schuld der Kirche verlangt. Wojtyla hat es nicht mehr erlebt, aber hier ist sie. Kertzers Untersuchung auf 600 Seiten, die den Pulitzer-Preis bekommen hat, wird man nicht beiseiteschieben können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2016)

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