Wie stark prägte Wien Hitlers Weltsicht?

Die Mariahilfer Straße um 1900. Ums Eck, in der Stumpergasse, fand der junge Hitler ein Untermietzimmer.
Die Mariahilfer Straße um 1900. Ums Eck, in der Stumpergasse, fand der junge Hitler ein Untermietzimmer.(c) ORF
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Anna Maria Sigmund geht in ihrem neuen Fernsehfilm dem Aufenthalt des jungen Adolf Hitler in Wien von 1908 bis 1913 nach.

Liebe sieht anders aus: Adolf Hitler hat es der Millionenstadt Wien nie vergessen, wie miserabel er dort in den Jahren 1908 bis 1913 sein Dasein fristen musste. Der oberösterreichische Herumtreiber und gescheiterte Kunststudent hatte das familiäre Startkapital in der Reichshaupt- und Residenzstadt bald aufgebraucht. Und das, obwohl er jahrelang eine Waisenrente und Zuwendungen der Tante bezog, sodass er mit monatlich etwa sechzig Kronen rechnen konnte, was dem Gehalt eines Postbeamten entsprach. Letztlich landete er mittellos im Männerheim. Und malte Postkarten in relativ guter Qualität.

Die Wiener Historikerin Anna Maria Sigmund hat diese Jahre in einem 50-minütigen TV-Film nachgezeichnet, der wohl erstmals einem breiteren Publikum auch die architektonischen Pläne vorstellt, die Hitler für die Stadt an der Donau entworfen bzw. genehmigt hat.

Es sind – wie könnte es anders sein – gigantische Baupläne, die Architekt Klaus Steiner im Film vorstellt. In die Leopoldstadt sollte aus der Innenstadt eine schnurgerade Prachtstraße zu einem monströsen „Gau-Kulturforum“ führen, das an Albert Speers wahnwitzige Berlin-Pläne erinnert. Der Abriss der Häuser für diese Schneise wäre kein Problem, dachten die NS-Planer, da die Juden ohnehin vorher ausgesiedelt würden.

Prunkbauten und Aufmarschplätze, eine U-Bahn und eine Autobahnanbindung – alles Schimäre. Die Historikerin hat im Wienerwald noch das Teilstück eines betonierten Autobahntunnels entdeckt, das längst von der Natur zurückerobert worden ist. Da das Rote Wien in der Zwischenkriegszeit an die 60.000 Wohnungen geschaffen hat, wollen die NS-Bonzen dieses austromarxistische Experiment übertrumpfen: 120.000 neue Wohnungen waren geplant. „Gebaut wurde davon ein Promille“, sagt Steiner.

An der Alten Donau war übrigens bereits eine Donauinsel als Überschwemmungsschutz geplant, jenseits der Donau bis Kagran eine riesige „Nordstadt“, beim Laaerberg eine „Südstadt“ mit jeweils 50.000 Wohneinheiten. Und das Flugfeld Aspern sollte zum zentralen Wiener Flughafen ausgebaut werden. Spätestens 1945 lag Hitlers „Märchenstadt“ in Schutt und Asche.

Diese Pläne überraschen insofern, als die Abneigung Hitlers gegenüber Wien bekannt ist. Er konnte diese persönliche Niederlage nie vergessen. Aber anderseits sah er sich ja als verhinderter Architekt, dem nur das Unglück widerfahren war, von mittelmäßigen Professoren abgelehnt worden zu sein. Ein Genie könne eben nur von Genies gerecht beurteilt werden, äußerte er. Und so zeichnete er in späteren Jahren – nicht nur für seine Lieblingsstadt Linz – Luftschlösser auf geduldiges Papier.

Heribert Mader zeigt die Entwurfsskizzen, die Hitler im Jahr 1907 für die Aufnahmsprüfung in die Malerklasse an der Akademie für bildende Künste am Wiener Schillerplatz vorlegte. Abgelehnt, kehrte er kurz nach Linz zurück, um seine krebskranke Mutter zu pflegen, die im Dezember 1907 starb.

Im Frühjahr 1908 kehrte Hitler nach Wien zurück, wo er sich in der Stumpergasse zeitweise mit seinem Jugendfreund August Kubizek ein Untermietzimmer teilte. Bei seinem zweiten Antreten ließ ihn die Jury gar nicht erst zum Probezeichnen zu: „Zu wenig Köpfe.“ Tatsächlich, sagt Mader, lag Hitlers Stärke wohl eher im Architekturzeichnen. Auch die altväterisch gemalten Aquarelle mit Wiener Ansichten seien „nicht unbedingt schlecht“.

Apropos Genie, apropos Kunst und Kultur: Den bierseligen, ruppigen und primitiven Krakeeler Josef Bürckel, der nach dem Anschluss 1938 als erster Reichsstatthalter nach Österreich entsandt worden war, ersetzte Hitler bereits 1940 durch den schöngeistigen Reichsjugendführer Baldur von Schirach aus bestem Hause. Als Gauleiter und Reichsstatthalter in Wien hatte der junge Mann kühne kulturpolitische Träume von einer Sonderstellung der Stadt im Großdeutschen Reich, führte aber einen Abnützungskampf um seine Kompetenzen mit Joseph Goebbels. Darüber gibt Oliver Rathkolb Auskunft.

Bei einer nächtlichen Rundfahrt durch Wien erklärte Hitler seinem Reichsstatthalter die Ringstraßenbauten, deren Daten er seit seiner Jugendzeit gespeichert hatte. Da war Schirach noch in der Gnade. Der Bruch erfolgte, als er eine Ausstellung „Junge Kunst“ eröffnete. Nach wütenden Protesten Hitlers („ein grüner Hund, Schirach!“) wurde die Schau nach sieben Tagen eingestellt.

Über das katastrophale Ende berichtet Marcello La Speranza, der seit Jahren das unterirdische Wien, die noch erhaltenen Luftschutzbunker erkundet. Er hat auch noch Schirachs Befehlszentrale im Gallizinberg dokumentiert, bevor der Bunker vor etlichen Jahren unzugänglich gemacht wurde.

Wann sich Hitlers fanatischer Judenhass herausgebildet hat, das lässt auch diese Fernsehdokumentation offen. Das konnte weder Brigitte Hamann in ihrem 1996 erschienenen Buch „Hitlers Wien“ restlos klären noch Michael Wladika („Hitlers Vätergeneration“, Böhlau 2005).

Die TV-Dokumentation „Wien – Hitlers Stadt der Träume“ heute, Samstag, 20.15 Uhr auf ORF III.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2017)

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