Mythen, Fakten und blinde Flecken in der Geschichte Österreichs

Der Schwarzenbergplatz während des Februaraufstands 1934: Soldaten werden zu den Kampfstätten gebracht. Die Nationalsozialisten wollten in dieser Zeit einen Vorwand zum „Eingreifen“ provozieren.
Der Schwarzenbergplatz während des Februaraufstands 1934: Soldaten werden zu den Kampfstätten gebracht. Die Nationalsozialisten wollten in dieser Zeit einen Vorwand zum „Eingreifen“ provozieren. Anonym / Imagno / picturedesk.com
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Die Zwischenkriegszeit ist bis heute eine ideologische Kampfzone. Bisher unbeachtete Quellen zeigen, dass man sie völlig neu bewerten muss. So war der Februaraufstand 1934 kein Aufstand der Arbeiter gegen die faschistische Diktatur: Tatsächlich zogen im Hintergrund die Nationalsozialisten die Fäden.

Am 10. Februar 1934, einem Faschingssonntag, kamen in Linz im Arbeiterheim Hotel Schiff zwölf Männer zu einem Geheimtreffen zusammen. Eingeladen hatte sie Richard Bernaschek, Führer des sozialdemokratischen Schutzbunds in Oberösterreich und Landesparteisekretär. Er wollte mit seinen Genossen beraten, wie man auf die Waffensuche durch Polizei und Heimwehr reagieren solle.

Zu jener Zeit war die Sozialdemokratie, zumindest die Parteispitze, vor dem Hintergrund des aggressiven nationalsozialistischen Terrors eigentlich auf Annäherung und Befriedung bedacht. Doch der Schutzbund, die paramilitärische Organisation der Partei, ging in die entgegengesetzte Richtung. Kurz vor den Februarereignissen wurde ein Geheimplan des Schutzbundkommandanten Alexander Eifler bekannt. Er sah vor, einen guerillaartigen Straßenkampf gegen das Heer zu führen, die Regierung festzusetzen, die Spitzen der Exekutive hinzurichten und selbst die Macht im Staat zu übernehmen.

Dieser Plan versetzte die Dollfuß-Regierung und die Heimwehr in helle Aufregung. Der Schutzbund war zu jener Zeit bereits verboten, besaß jedoch noch erhebliche Waffenarsenale. Diese wollte man nun restlos ausheben und den Schutzbund endgültig entwaffnen.

Die Parteiführung in Wien und in Linz hatte die Parole ausgegeben, sich nicht zu wehren. Daher hatte Bernaschek sie über das Treffen nicht in Kenntnis gesetzt. Bernaschek zählte zum äußersten linken Rand seiner Partei und stand zur Führung in einer gewissen Opposition. Er war ehrgeizig, autoritär und in seinen Handlungen und Überzeugungen sprunghaft, bei den Genossen besaß er aber hohes Ansehen. Nach übereinstimmenden Berichten von Zeitzeugen war sich Bernaschek in der Sitzung nicht sicher, wie man weiter vorgehen sollte. Doch vor allem zwei Genossen drängten auf ein Losschlagen: Franz Sichlrader, der Bürgermeister von Steyr, sowie der dortige Schutzbundführer Franz Schrangl. Wie sich dann im März 1938 herausstellte, sympathisierten beide bereits mit den Nationalsozialisten und wurden nach der Annexion dementsprechend mit hohen Parteifunktionen belohnt.

Gesteuerter Aufstand. Eine Fülle von Indizien, die bisher unbeachtet oder unbekannt waren, belegen, dass im Februar 1934 im Hintergrund die Nationalsozialisten die Fäden zogen. Sie versuchten, den Aufstand vom Deutschen Reich aus zu steuern. Bereits damals hegten Persönlichkeiten in Schlüsselfunktionen, wie der Sicherheitsdirektor von Oberösterreich, Hans von Hammerstein, den Verdacht, dass hinter dem Aufstand „eine dunkle Macht“ stand. Erst Jahre später erhielt er die Bestätigung. Im Hinblick auf den Juliputsch 1934, also einige Monate später, ist inzwischen bewiesen, dass Hitler persönlich diesen Putsch anordnete.

Im Februar 1934 wurde ein erster Versuch gestartet, die Lage in Österreich zu verwirren und das Land ins Chaos zu stürzen, um einen Vorwand zum „Eingreifen“ zu erhalten. In der Nacht vor dem 12. Februar überfielen Mitglieder der nationalsozialistischen Österreichischen Legion einen Grenzposten und bereiteten sich auf einen Einmarsch vor. In den Akten des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes fand sich der bisher unbeachtet gebliebene Bericht eines Wiener Jusstudenten und sozialdemokratischen Parteifunktionärs, Karl Mark, der zu Beginn des Jahres 1934 kurzfristig inhaftiert war und am 10. Februar von einem, wie er sich ausdrückt, „Nazi-Kommissar“ mit für die sozialdemokratische Parteileitung bestimmten Informationen entlassen wurde. Bernaschek selbst wiederum wurde nach dem Februaraufstand von Nationalsozialisten aus dem Gefängnis befreit, über die Grenze nach Bayern gebracht und dort in allen Ehren von der NS-Führung empfangen.

Die bisher unbeachtet gebliebene Rolle der Nationalsozialisten beim Februaraufstand 1934 ist eine jener Entdeckungen, die eine völlige Neubewertung der Zwischenkriegszeit notwendig machen. Ähnliches gilt für die gern – auch von Historikern – vorgebrachte Behauptung, die Mehrheit der Österreicher sei 1938 für den „Anschluss“ gewesen. Bei näherer Betrachtung lässt sich dies nicht belegen. Man schwenkte von einem Extrem ins andere: Aus dem Opfermythos wurde die Täterthese, ohne diese jemals seriös zu belegen. Bezeichnend ist, dass sich bis heute das in der Nazi-Propaganda verwendete „wording“ für die Annexion Österreichs erhalten hat.

Die Zwischenkriegszeit ist bis heute eine ideologische Kampfzone; eine Zeit, die immer wieder Gegenstand heftiger Kontroversen in Politik, Gesellschaft, Medien und innerhalb der Historikerzunft ist. Es existieren unterschiedliche Geschichtsbilder über diese Zeit, die recht genau entlang der ideologischen Trennlinien verlaufen. Begriffe wie Schattendorf, Justizpalastbrand, Februarkämpfe, Ständestaat, Austrofaschismus oder Anschluss rufen völlig unterschiedliche Bilder und Assoziationen auf.

Deutungshoheiten.
Die vorherrschenden divergierenden Geschichtsbilder könnten bald ihre reale Abbildung erfahren: 2017 und 2019 werden in Österreich voraussichtlich zwei „Häuser der Geschichte“ eröffnet. Im Zuge des deutschen Historikerstreits meinte der konservative Historiker Michael Stürmer, „dass in geschichtslosem Land die Zukunft gewinnt, wer die Erinnerung füllt, die Begriffe prägt und die Vergangenheit deutet“. Um diese Deutungshoheit scheint es dabei (auch) zu gehen, weil man die Bilder, die teilweise zu Mythen stilisiert wurden, nicht aufgeben will − selbst wenn mittlerweile Fakten vorliegen, die diese verändern oder gar zerstören.

Einer dieser Mythen ist der „Bürgerkrieg“ des Februar 1934. Die von der Sozialdemokratie bis heute hochgehaltene Erzählung besagt, damals hätten sich die Arbeiter erhoben, um gegen die faschistische Diktatur und für Freiheit und die Wiedererrichtung der Demokratie zu kämpfen. Die brutale Niederschlagung des Aufstands und die Beendigung der Demokratie hätten den Weg in den Nationalsozialismus geebnet. Stellt man die Fragen neu, schiebt die Propaganda beiseite,befragt die Quellen, ergibt sich ein völlig anderes Bild.

Die Auseinandersetzung darüber findet nicht nur im Parlament und zwischen den politischen Lagern, sondern auch innerhalb der Historikerzunft statt. Dort sind recht konträre Standpunkte zu finden. Das gilt nicht nur für die Frage, ob Österreich Opfer oder Täter war, sondern auch etwa in der Frage des Austrofaschismus als Wegbereiter des Nationalsozialismus oder des Ständestaats als Staatswiderstand gegen den Nationalsozialismus.

Hier bewegen sich die Standpunkte eher sukzessive auseinander, als dass man zu einer Einigung käme. Das zeigt besonders deutlich die hitzige Debatte um die „Häuser der Geschichte“. Dabei geht es weniger um ein besseres Geschichtsverständnis, sondern vielmehr um eine ideologisch motivierte Umdeutung oder Auslöschung bestimmter sensibler Ereignisse. Doch es liegt darin auch eine Chance, Fragen neu zu stellen und Zeitgeschichte nach dem Abtreten der 68er-Generation von parteipolitischer Vereinnahmung zu befreien.

Das Buch

Gudula Walterskirchen
„Die blinden Flecken der Geschichte“ Kremayr & Scheriau 208 Seiten
22,90 Euro

Das Buch ist ab Dienstag im Handel erhältlich.

Veranstaltungstipp
Buchpräsentation am 23. 3. 2017 um 19 Uhr in der Buchhandlung Herder (1., Wollzeile 33).

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