Die Welt bis gestern

Keine blau-goldene Erzherzogin

Das Symbol der einstigen Landesherrlichkeit bleibt unter dem Glassturz.
Das Symbol der einstigen Landesherrlichkeit bleibt unter dem Glassturz.(c) Michaela Bruckberger
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Die Landesfürsten. Neue Zeiten fordern neue Typen.

Mit allen erdenklichen Ehren ist Erwin Pröll am Mittwoch von seinen Landsleuten in die politische Pension verabschiedet worden. Und auch die Wahl von Hanni Mikl-Leitner glich einem feierlichen Krönungsakt, so gut es eben republikanische Umstände zulassen. Denn ein Erzherzogtum ist das Land rund um Wien schon seit hundert Jahren nicht mehr. Das Symbol der habsburgischen Landesfürsten, der samtbezogene Herrschaftshut, ist im Stift Klosterneuburg zu bewundern.

Landesfürsten. So fühlte sich, so gab sich eine ganze Reihe bedeutender Persönlichkeiten an der Spitze ihrer Bundesländer. Und immer wieder betonten sie, dass es ja zweimal die Länder waren, die sich freiwillig zusammenschlossen und die Republik Österreich begründeten. 1918 und 1945.

Aber erst in der Zweiten Republik erfanden die Landeshauptleute (bis 1996 waren es nur Männer) ein taugliches Instrument, um dem Bund – gemeint war dabei immer das riesige Wien – die Daumenschrauben anzusetzen: die Landeshauptmännerkonferenz. 1965 versammelte erstmals Tirols Landesherr Eduard Wallnöfer seine Kollegen zu einem informellen Treffen. Seine ersten Mitstreiter waren der steirische Parteikollege, Josef Krainer senior, und der Salzburger Hans Lechner, der schon im Äußeren einem barocken Fürsten glich.

Inzwischen ist diese Nebenregierung ein machtvolles Gremium, das zweimal pro Jahr zusammentritt, vorbereitet von den Landesamtsdirektoren. Diese Rolle hätte nach den Vorstellungen Hans Kelsens eigentlich der Bundesrat erfüllen sollen. Aber die Realpolitik ist eben ein bisschen anders.

In dem Jubel und Trubel um Pröll und Mikl-Leitner ist ein „Fürst“ in Vergessenheit geraten, nämlich der Amtsvorgänger Siegfried Ludwig. Der geborene Südmährer ist als Bauherr des Regierungsviertels in die Landesgeschichte eingegangen. Als er am 15. Februar 1984 bei einer routinemäßigen Pressekonferenz die schreibende Zunft mit der Idee einer eigenen Landeshauptstadt verblüffte, waren ihm Hohn und Spott sicher. Aber der Mann steckte das alles weg, ließ zunächst abstimmen, ob die Städte Sankt Pölten, Krems, Tulln, Baden und Wiener Neustadt infrage kämen. „Obskur“ nannte die Landes-SPÖ das Ganze. Aber Ludwig verfolgte sein Ziel stur. Am 13. September 1992 nahm er in Sankt Pölten den Spatenstich für eines der größten und ehrgeizigsten Bauprojekte der Nachkriegszeit vor.

Der gigantische Bau kam ohne Korruption und ohne Kostenexplosion aus. Im Sommer 1997 übersiedelt die Landesregierung mit Sack und Pack an die Traisen. Ins modernste Verwaltungszentrum eines österreichischen Bundeslandes. Ludwig hatte es geschafft.

Auch Josef Ratzenböck hat in seiner langen Regierungszeit sein Land geprägt. In seinem Fall Oberösterreich. Er hatte Jus studiert, obwohl ihm Geschichte oder Archäologie viel lieber gewesen wären. Und als Studiosus leistete er sich 1952 einen Ulk, über den sogar die „Herald Tribune“ und die „Times“ berichteten: Mit ein paar Freunden rief er in seiner Heimat Neukirchen am Walde die freie unabhängige Republik Stauding aus. Mit Ratzenböck als Minister. Der Scherz nahm um ein Haar ein böses – nämlich gerichtliches – Ende. Die Staatspolizei wurde hellhörig: Geheimbündelei? Quasi ein Vorläufer der „Reichsbürger“? Eine Abmahnung reichte schließlich.

Als ÖVP-Landessekretär „machte“ er den eher spröden Landeshauptmann Erwin Wenzl zum Superstar. Aber er erwarb sich auch Spezialkenntnisse im Sozialrecht und im Wohnungsbau, wurde solcherart über die Grenzen seines Heimatlandes bekannt und geschätzt. Für den weiteren Aufstieg baute er als „Hausmacht“ den oberösterreichischen Rentner- und Pensionistenbund konsequent auf 69.000 Mitglieder auf.

Auch Ratzenböck ist ein Beispiel für jene Landeshauptleute, die ständig auf Achse waren. Er richtete nicht nur Sprechtage ein, sondern schuf etwas Neues, das später viele Länder kopierten: das Bürgerservice, also eine unbürokratische Anlaufstelle für die Leute auf dem Land.

Von ihm hat der spätere FP-Landeshauptmann Jörg Haider in Kärnten viel gelernt. Nicht nur die Omnipräsenz. Ratzenböck verfügte freilich über ein unschätzbares Atout, das Haider nicht besaß: Der Chef der marktbeherrschenden „OÖ. Nachrichten“, Hermann Polz, war sein Schwager . . .

Ratzenböck setzte Dinge durch, die man bis dato eher von den Sozialisten zu hören gewohnt war: die Freifahrt in den Kindergarten etwa. Und für die vielen Häuslbauer hatte er ebenfalls milde Gaben: Ein zinsenloses Darlehen über 50.000 Schilling – oder 20.000 Schilling in bar, ohne sie zurückzahlen zu müssen. Vom Geld verstand er etwas. Als man ihn 1983 als Finanzminister nach Wien abschieben wollte, konterte er kühl: „Wozu sollte ich Bundesfinanzminister werden wollen? Hier im Land bin ich mein eigener Finanzminister.“

Das politische Ende war dann nicht ganz so glanzvoll. 1993 sagte er, dass er 1997 vielleicht doch noch einmal kandidieren könnte, 1995 – und zwar gleich im Jänner – trat er dann ab. Bevor sich seine Kritiker noch zusammenfinden konnten, um ihn nach siebzehn Jahren aus dem Amt zu hebeln, ging der alte Fuchs lieber selbst. Zwei Jahre vor Landtagswahlen, die auch für ihn nicht zu gewinnen gewesen wären. Der Religionslehrer Josef Pühringer machte als Nachfolger seine Sache gut. Aber er war nicht mehr jener Typ von Landesvater, wie es etwa Vater und Sohn Krainer oder auch Silvius Magnago und Luis Durnwalder in Südtirol darstellten. Oder kann man sich vorstellen, dass bei Mikl-Leitner frühmorgens sorgenbeladene Menschen im Hausflur geduldig warten, bis sie ins Amt fährt? Bei Eduard Wallnöfer war das jahrzehntelang der tägliche Brauch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2017)

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