125 Jahre Rolltreppe: Das Wesen mit "göttlichen Eigenschaften"

Der Industrielle Jess W. Reno installierte 1893 im Cortlandt-Street-Bahnhof in New York die erste Rolltreppe.
Der Industrielle Jess W. Reno installierte 1893 im Cortlandt-Street-Bahnhof in New York die erste Rolltreppe.(c) imago/United Archives International
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Die Geschichte der Rolltreppe begann am 16. Jänner 1893 - allerdings: ohne Stufen und begleitet mit Skepsis, wollte der gehende Mensch doch nicht zum Karton verkommen. Mittlerweile sind die laufenden Stufen beliebt - und sogar im "Pilgereinsatz".

13 Meter. Diese Distanz überbrückte die erste funktionierende Rolltreppe der Welt. In Betrieb genommen wurde das "unendliche Transportband", wie das fahrende Ungetüm zunächst genannt wurde, am 16. Jänner 1893 auf dem New Yorker Bahnhof Cortlandt Station. Reisende sollten so komfortabel geleitet werden - begeistert waren davon aber zunächst die wenigsten. Wie die Kulturwissenschaftlerin Andrea Mihm beschreibt, fühlten sich viele Betroffene zu Objekten degradiert. Wie "Kisten, Kartons oder Vieh" werde man behandelt, unkten Spötter. Am Siegeszug der laufenden Stufen sollte dies jedoch nichts ändern.

Auch nicht, dass bis heute umstritten ist, ob die Rolltreppe der Cortlandt Station tatsächlich die erste ihrer Art war. Denn zumindest ebenso viele Quellen, die diese zur Urmutter der "umlaufenden Stufen" küren, nennen eine andere rollende Revoluzzerin: Im Vergnügungspark Coney Island, einer Halbinsel vor New York, soll sie kurzzeitig gerattert haben, um die Reichen und Schönen während ihrer Sommerfrische zu faszinieren. Mehr nicht, denn laut den Schilderungen überbrückte sie lediglich die Distanz von zwei Metern auf einer Höhe von zehn Zentimetern.

Warum so niedrig? Weil sie lediglich die oberen Etagen doppelstöckiger U-Bahnwagen erreichbar machen sollte. 1896 wurde die bewegte Treppe dann auch schon wieder abgebaut und am New Yorker Ende der Brooklyn Bridge wieder montiert.

Gusseisern, laut und langsam

Unabhängig davon, welche nun tatsächlich die Erste war. Sicher ist: Das Patent auf den "Endless Conveyor or Elevator" erhielt am 15. März 1892 der US-amerikanische Ingenieur Jesse Wilford Reno. Der Sohn eines Generals, so wird überliefert, soll die Idee zur "umlaufenden Plattform" schon im Alter von 16 Jahren erstmals kundgetan haben.

Die 125 Jahre alte Rolltreppe fährt - und ruckelt - noch heute.
Die 125 Jahre alte Rolltreppe fährt - und ruckelt - noch heute. (c) Barbara Grech (Presse)

Plattform deshalb, weil die Rolltreppe zunächst über keine Stufen verfügte. Tatsächlich handelte es sich um aneinandergereihte "gusseiserne Glieder", so Mihm, an denen seitlich kleine Rollen befestigt waren. Ein Gummiband, das sich um vier Zahnräder spannte und von einem elektrischen Motor angetrieben wurde, sorgte für die Bewegung. Und zwar: laut und langsam. Und das bis heute. Denn die Fahrrampe von Reno - jedenfalls eine von ihnen - ist heute noch im New Yorker Kaufhaus Macy's in Betrieb.

Zum Durchbruch verhalf Renos Entwicklung das Interesse der New Yorker Hochbahn, die 1900 gleich 100 seiner Laufbänder erwarb. Die Pariser Weltausstellung im selben Jahr tat ihr Übriges: Dort wurde Renos Modell ausgestellt - gemeinsam mit weiteren zeitgenössischen Konstrukten anderer Tüftler; darunter der "New and useful Elevator" von George A. Wheeler, das - anders als bei Reno - tatsächlich Stufen enthielt (er verkaufte sein Patent letztlich an Charles D. Seeberger, dieser wiederum schloss 1899 ein Fertigungsabkommen mit der Aufzugfirma Otis).

Ein Schluck Brandy oder doch lieber Riechsalz?

Alsbald entdeckten auch Kaufhäuser den Nutzen der Erfindungen. Sie wollten ihre Kunden mit den fahrenden Untersätzen freilich weniger belustigen, als vielmehr schneller und zielgerichteter zu ihren Produkten führen. So heißt es im "Zentralblatt der Bauverwaltung" des Jahres 1926: "Ihr praktischer Wert liegt darin, daß das erste Geschoß ebenso mühelos erreicht werden kann wie das Erdgeschoß. Eine Wartezeit ist am Fuße der Fahrtreppe nicht zu überwinden, wie dies beim Fahrstuhl der Fall ist. Die Fahrtreppe nimmt jeden Fahrgast sofort auf. Dies ist von besonderem Wert für Gasthäuser und Warenhäuser."

Im Londoner Kaufhaus "Harrod's" wurde laut Forscherin Mihm sogar ein eigenes Wachpersonal neben dem Fahrwerk positioniert. Seine Aufgabe: Den Fahrgästen von den Stufen zu helfen - und den männlichen Passagieren einen Schluck Brandy anzubieten, damit das Transportgefühl "als beseligte Erinnerung im Gedächtnis (...) konserviert werde". Den Damen wurde indes vermehrt Riechsalz gereicht - um gegen aufkommende Übel- oder Schwindeligkeiten gewappnet zu sein.

Mit der Rolltreppe auf Pilgerreise

Mittlerweile ist die Rolltreppe aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken - drinnen wie draußen. Und auch ihrer Form und Länge scheinen bisweilen keine Grenzen gesetzt: So gibt es Wendel- und Kurvenrolltreppen, ebenso wie Gefährte, die ihre Fahrtrichtung wechseln können. Als längste ununterbrochen Rolltreppe gilt jene in der Metro-Station Admiralteiskaja in Sankt Petersburg. Sie führt über 137 Meter - eine Fahrt dauert fast drei Minuten. Die kürzeste Fahrtreppe findet sich hingegen im japanischen Kawasaki, ihre Maße: fünf Stufen und 83 Zentimeter.

Ein weiteres Gustostückerl von den Stufen, die Geschichte schrieben: Auch die Basilika von Guadalupe in Mexiko-Stadt besitzt eine Rolltreppe - wobei, eigentlich sind es vier. Sie führen, wie könnte es im größten Wallfahrtsort der Welt anders sein, Pilger an einem Gnadenbild der Jungfrau Maria vorbei. Dazu passt auch das Rechercheergebnis von Mihm, wonach Rolltreppen anfangs "als Wesen mit übernatürlichen, ja göttlichen Eigenschaften präsentiert" worden seien. Der Grund: Am unteren Ende stehend bekamen die Rolltreppenneulinge den Eindruck vermittelt, das Gerät führe seine Fahrgäste geradewegs ins "Allerheiligste".

Bevor Sie nun aussteigen oder zum nächsten Artikel umsteigen, lassen Sie sich noch einen Treppenwitz im doppelten Sinn mit auf den Weg geben. Sein Urheber: der Komiker Mitch Hedberg. Sein Inhalt: "Eine Rolltreppe kann eigentlich nie kaputtgehen. Wenn sie mal nicht funktioniert - dann ist sie eben eine Treppe."

>>> "Die Rolltreppe" von Andrea Mihm

(hell)

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