Der Notruf von Churchills Sekretärinnen aus dem War Room

Viele Legenden gibt es rund um den Transatlantic Telephone Room
Viele Legenden gibt es rund um den Transatlantic Telephone Room(c) imago/United Archives International (imago stock&people)
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Die Neugier war groß, als das Londoner Imperial War Museum letzte Woche Neues aus Churchills unterirdischer Kommandozentrale ankündigte. Doch mehr als amüsanter Klatsch kam nicht heraus.

Ist es wirklich denkbar, dass man 2018 noch etwas Neues über Winston Churchill erfährt? Wohl kaum. Doch vor wenigen Tagen hat man im Londoner Imperial War Museum verlautbart, seltene Dokumente aus dem engsten Kreis von Churchills Umgebung in den Cabinet War Rooms, der unterirdischen Kommandozentrale der Briten während des Zweiten Weltkriegs, zu haben.  Keine britische Zeitung, die etwas auf sich hielt, konnte es vergangene Woche unterlassen, das zu melden, obwohl der Inhalt eher dürftig ausfiel und mehr wie eine Promotion für den gerade anlaufenden Film „Darkest Hour“ wirkte. 

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Es geht vor allem um persönliche Erinnerungen seiner Privatsekretärinnen, die von den Umgangsformen ihres Chefs anscheinend teils abgestoßen, teils fasziniert waren. Churchill pflegte gern im Bett zu frühstücken, manchmal kam er erst um ein Uhr mittags aus den Federn, weil er es liebte, noch im Pyjama seinen Sekretären Texte zu diktieren. „Wir waren ihm zu hundert Prozent ergeben, obwohl er sehr ungeduldig und fordernd sein konnte. Doch unsere Loyalität und Zuneigung waren ihm sicher, das Negative war nur an der Oberfläche, darunter war er eine fürsorgliche Person“, berichtet Elizabeth Layton, seine Privatsekretärin.

Der Premier im Sirenenanzug

Eine andere Sekretärin, die oft zwölf Stunden pro Tag im Untergrund arbeitete, berichtete von der unüberschaubaren Menge an Korridoren. Mindestens einmal pro Woche musste man unter die Höhensonne, um seine Gesundheit nicht zu gefährden. Gewöhnungsbedürftig für die Damen in Churchills Umgebung war sein geliebter „siren suit“, ein einteiliger Overall, in den man bei Bombenalarm schnell hineinschlüpfen konnte. Gedacht war er eigentlich für Personen, die bei Luftangriffen ihre Wohnungen verlassen mussten und den Overall über die Alltagsbekleidung überziehen konnten. Kein Mann sieht darin gut aus, schon gar nicht einer von der Statur Churchills, so die vorwitzigen Damen, da konnte auch der noble Konfektionsladen Turnbull & Asser, bei dem Churchill diese Anzüge bestellte, nichts mehr ausrichten. Doch der Premier liebte seinen „suit“ und ließ sich gern damit fotografieren. Manche Besucher, die sich in die Gänge der War Rooms verirrten, sollen ihn für den Installateur gehalten haben.

Churchills Schlafstätte
Churchills Schlafstätte (c) imago/United Archives International

Churchills Zimmer im War Room-Bunker wurde nur selten von ihm als Schlafzimmer genutzt, er bevorzugte zu Kriegsbeginn zunächst eine stillgelegte U-Bahnstation (Down Street), die man mit einer Schlafgelegenheit versehen hatte und die einen für einen Premier angemessenes komfortables Sanitärsystem aufwies sowie, bei Churchill nicht unwichtig, ein gut sortiertes Weinlager. So entstanden viele Mythen rund um Churchills Leben im Untergrund, von wo aus er sich an die ganze Welt wenden konnte: Vier seiner Kriegsreden wurden von den War Rooms aus übertragen, die BBC hatte eine Rundfunkausstattung installiert. Churchill hatte auch ständig eine rote Metallbox in seiner Nähe, mit der er Staatsdokumente transportierte.

Legendär auch der große Metallkanister neben seinem Schreibtisch: Er diente als überdimensionaler Aschenbecher für seine Zigarren. Die meiste Zeit während des Krieges lebte er aber mit seiner Frau im Erdgeschoss des darüber liegenden Gebäudes. Eine ganze Zimmerwand im War Room war mit einer Landkarte überzogen, auf der mögliche Invasionsorte im Fall eines Angriffs der Deutschen Wehrmacht auf England vermerkt waren. Eine Weltkarte wies zigtausende kleine Löcher auf: Die Bewegungen der Alliierte und der Deutschen zu Land und zu Wasser wurden hier mit Pinnwandnadeln markiert. Ein Pfosten mitten im Zimmer war eine Tafel mit den Zahlen der über London abgeschossenen Flugzeuge.

Das wichtigste Telefon: Im Besenkammerl

Doch das war natürlich alles schon bekannt und ist im War Museum zu sehen. Es ist offenkundig, dass das Imperial War Museum mit den wenigen „Enthüllungen“ von Churchills Sekretärinnen letzte Woche die Besucher des Films anregen will, nach dem Kino auch im Museum vorbeizuschauen um die Räume zu sehen, die für den Film nachgebaut wurden, darunter den Raum mit den Landkarten, den Cabinet Room, Churchills Schlafzimmer und die Telefonzentrale mit ihrem ausgeklügelten Farbsystem: Geheime Gespräche wurden über schwarze Telefone mit grünem Hörer abgewickelt, sie waren die einzigen, über die die Kommunikation verschlüsselt ablief. Der Reste der Telefonapparate war mit der Aufschrift „Speech on telephones is not secret“ versehen. Weil ständiges Klingeln natürlich das Leben im Untergrund gestört hätte, wurde ein Anruf durch ein Lämpchen, nicht durch einen Ton signalisiert.

Eine ganze Zimmerwand im War Room war mit einer Landkarte überzogen
Eine ganze Zimmerwand im War Room war mit einer Landkarte überzogen(c) imago

Viele Legenden gibt es auch rund um den Transatlantic Telephone Room, der rein räumlich aussieht wie eine Besenkammer und nur für Gespräche zwischen Churchill und US-Präsident Roosevelt bestimmt war. Von hier aus wurden Geheimgespräche geführt, es war auf beiden Seiten nur ein zuhörender Mann aus dem Stab anwesend und nicht einmal der durfte alles hören: Manchmal wurde die Leitung stumm geschaltet, ein Alptraum für Historiker: Die Sätze, die fielen, wurden nie protokolliert. Sowohl Churchill als auch Roosevelt gingen angeblich erst an den Apparat, nachdem der jeweilige Gesprächspartner den Hörer in die Hand genommen hatte, doch das kann eine Legende sein.

Zu beneiden waren die Sekretärinnen in dem rauchgeschwängerten Bunker nicht. Als der Premier eine USA-Reise ankündigte, kam es im Untergrund zur „Operation Desperate“ des Personals: Man verfasste ein Memo, geschrieben auf offiziellem Briefpapier, mit dem Vermerk „Top Secret“ und der Bitte, jemanden Hochrangigen in die USA mitzunehmen, der sich um drei überlebensnotwendige Dinge kümmern sollte: Seidenstrümpfe, Schokolade und Kosmetika.

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