Entzauberter Kommunismus, geglückte Flucht

Wie eine Politologin jahrzehntelang Stalins Propagandalüge aufsaß.

Katholiken haben es einfach: Sie bereuen und sind ihrer Verirrungen ledig. Aber Marxistinnen? Susanne Sohn ist so eine. Sie hatte sich in stalinistische Doktrinen verstrickt. Nach dem Erwachen gab es keinen barmherzigen Gott. Daher, so beschließt sie ihr Buch, vergab sie sich selbst „und löschte das Sündenregister“.

Susanne Sohn amtierte 1990/91 als Kovorsitzende der KPÖ, die sich nach dem Fall des „Ostblocks“ quasi schon in Liquidation befand. Die KP-Trümmerfrau wuchs in einer KP-Familie auf, so erkannte sie lange Jahre nicht, welche Doppelmoral die heimischen Kommunisten leitete. Sie erfuhr nur eisiges Schweigen auf alle Fragen nach dem stalinistischen Terror. Das erstaunt denn doch bei einer so toughen promovierten Politologin. Marxistin ist sie geblieben, aber sie brach mit den Stalinisten und trat 1991 aus.

Eine Flucht auf Hitlers Reich

Man kennt ihre Namen, verfolgt aber dennoch mit angehaltenem Atem ihre Flucht aus dem NS-Reich Adolf Hitlers: Golo Mann, Hermann Leopoldi, Karl Farkas, Billy Wilder, Franz und Alma Mahler-Werfel, Friedrich Torberg, Robert Stolz – die Rettung der geistigen Elite 1940 stand unter der Ägide von Thomas Mann, der sich bereits in New York befand. Eine Liste mit 200 Namen gab es, viele schafften tatsächlich die rettende Überfuhr.

Herbert Lackner, vormals „Profil“-Chef, beweist auch mit diesem Werk seine stetige Entwicklung zum Zeithistoriker. Es waren, schreibt er, keine Hoffnungslosen aus entlegenen Elendsgebieten, nein, es ging diesmal um Philosophen, Ärzte, Künstler, Intellektuelle. Gemeinsam war ihnen die Verzweiflung und die Ausweglosigkeit. Die Verbindung zwischen Historiker und Journalist war immer schon eine besonders gelungene.

Gut gewürzte Memoiren

Bittersüß sind die Memoiren des jüdischen Wiener Unternehmers Erwin Javor angelegt. „Eine jüdische Odyssee“ nennt der Autor seinen Lebensbogen, den er mit unzähligen köstlichen Witzen auflockert. Auch als Atheist seien die ausgiebigen Gebete an den Feiertagen leicht auszuhalten, meint er. Wenn etwa der Hausherr beim Pessachfest, anstatt über die Sklaverei der Juden in Ägypten vorzulesen, nach einem Segensspruch das Glas erhebt und das Ganze so abkürzt: „Sie wollten uns umbringen, wir haben gewonnen, kommt, lasst uns essen. Amen!“

Da kommt auch das ungesäuerte Brot ins Spiel. Ruven fragt Pinkas, warum er Mazzes verabscheue. Pinkas: „Sag dem Rebbe, ich scheiß auf Mazzes.“ Ruven sagt's dem Rabbi. Der schweigt und klärt. Dann sagt er: „Pinkas scheißt auf Mazzes? Komisch. Mich stopft das.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2018)

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