Als die Schüsse fielen, waren alle am Klo

Symbolbild: Pistole und Patronen.
Symbolbild: Pistole und Patronen.(c) APA (Hans Klaus Techt)
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Die Schießerei im Wiener Café Kolonitz leitet vor 50 Jahren das Ende einer Ära in der Wiener Unterwelt ein. Bis heute sind viele Fragen ungeklärt: Was geschah am 9. Mai 1968 wirklich?

Was am Abend des 9. Mai 1968 im Wiener Café Kolonitz genau geschah, wird man wohl nie erfahren. Fest steht nur, es sind jene Schüsse, die eine zweifelhafte Ära der Wiener Unterwelt beenden: Jene von Josef Angerler, dem "Gschwinden", und Josef Krista, auch "Notwehr-Krista" genannt.

Doch wie kam es so weit? Die beiden Ganovenkönige kontrollieren seit Mitte der 1950er Jahre das illegale Stoßspiel und somit auch die Wiener Unterwelt. Angerler ist der Chef, Krista sein Adjutant. Noch im Oktober 1964 machen die beiden gemeinsame Sache, als Heinz Karrer, der 24-jährige Besitzer des Café Jo-Jo in der Ausstellungsstraße, aufbegehrt. Nach zwei wilden Schießereien (zuerst lauert Karrer seinem Kontrahenten Angerler auf, eine Nacht später schlagen Angerler und Krista zurück) kommen alle drei nach einem Prozess im März 1965 ins Gefängnis. Angerler bekommt zwei Jahre Kerker aufgebrummt, Karrer soll für 18 Monate hinter Gitter und Krista für zehn.

Krista, der als erster in Freiheit kommt, übernimmt die Rolle des Unterweltbosses, bis Angerler zurückkehrt. Als dieser dann tatsächlich freikommt, denkt Krista allerdings nicht daran, wieder in die zweite Reihe zurückzutreten. Er gebärdete sich als neuer Boss. Angerler will das natürlich nicht hinnehmen, er terrorisiert Krista telefonisch und stößt Morddrohungen aus. Als einige von Kristas Leibwächtern ins Gefängnis müssen, wendet sich das Blatt wieder zugunsten von Angerler. Krista zieht sich aus dem zweiten Bezirk zurück und macht das Café Kolonitz im dritten Bezirk zu seinem Hauptquartier. Der "Gschwinde" beschließt daraufhin, allen zu zeigen, wer wirklich der König der Wiener Unterwelt ist.

Niemand hat etwas gesehen

An jenem Abend des 9. Mai verlässt Josef Krista kurz das Lokal, nachdem er sich den Film "Das Millionending" angesehen hat. In der Zwischenzeit haben Kontrahent Josef Angerler, sein Sohn Friedrich und dessen Verlobte Hermine Witlaschek das Café betreten. Sie halten sich im durch einen Vorhang abgetrennten Hinterzimmer auf, als Krista zurückkehrt. Die Frau des Lokalpächters warnt den Notwehrspezialisten sofort: "Herr Krista, gehen Sie hinaus." Danach fallen Schüsse, die der Verlobten des Verbrechersohns das Leben kosten. Sie wird von insgesamt sechs Kugeln, davon in Kopf und Herz, getroffen. Auch Angerler und Krista, dessen Bein fünf Monate später amputiert werden muss, werden schwer verletzt.

Beim Prozess zwei Jahre später will dann niemand etwas gesehen haben. Sowohl der ehemalige Pächter des Cafés und dessen Frau wollen sich nach eigenen Aussagen gerade in der Küche befunden haben, als die Schüsse fielen. "I hab zwar hingschaut, aber nix gesehn", sagt ein Zeuge. Rund zwanzig Zeugen geben an, sie hätten sich am Herrenklo befunden, was Richter Burianek zu der Aussage veranlasst, dass es dort sehr eng gewesen sein müsse. Die Angeklagten Angerler und Krista bekennen sich nur wegen der Übertretung nach dem Waffengesetz schuldig und berufen sich auf Notwehr. Keiner der beiden will zuerst geschossen haben.

Gab es einen geheimnisvollen dritten Mann?

Tatsächlich schafft der Prozess wenig Klarheit. Ganz im Gegenteil: Bei dem Verfahren ist immer wieder von einem geheimnisvollen dritten Mann die Rede, der hinter dem Vorhang auf Angerler geschossen haben soll. Ein gewisser Johann Supper, möglicherweise der ominöse dritte Mann, soll als Zeuge vorgeladen werden, kann aber von der Polizei nicht ausgeforscht werden.

Interessant: Supper gab bei der Vernehmung durch die Polizei an, sich gemeinsam mit der Unterweltgröße Norbert Schmutzer und dessen Freundin im Café aufgehalten zu haben. Im Zuge der Einvernahme wurde Supper auch vorgehalten, dass er den Arm durch den Vorhang hindurchgestreckt habe - er also der unbekannte dritte Schütze sein könnte. Supper bestritt das vehement.

Warum schoss Krista weiter auf die Frau?

Gutachter und Gerichtsmediziner Breitenecker erklärt zudem, dass die ersten drei Schüsse, die Krista auf die Frau abgegeben habe, bereits tödlich waren. Verblüffend ist auch seine Erkenntnis, dass Krista weiter auf die Frau geschossen haben dürfte, obwohl sie bereits auf dem Boden lag.

Der Schuss, der Angerler wiederum in den Rücken traf, wurde nachweislich nicht von Krista abgegeben, wie der zuständige Sachverständige feststellt. Das ließ sich anhand des herausoperierten Projektils feststellen, das aus einem Trommelrevolver stammte. Demnach wurden am Tatort neun Hülsen und acht Patronen aus der 9-mm-Pistole von Krista und sieben Hülsen und fünf Patronen der 7,65mm-Pistole Angerlers gefunden. Er wisse, wer auf ihn geschossen habe, erklärt Angerler vor Gericht. Doch er sage den Namen des "Killers" nicht, weil er Angst vor Rache habe.

Selbstmord in der Zelle

Letztlich wird Krista wegen Mordes zu zehn Jahren schweren Kerkers verurteilt, Angerler bekommt wegen Mordversuchs vier Jahre aufgebrummt. Der 48-jährige Krista begeht aber nur wenige Stunden nach der Urteilsverkündung in seiner Zelle Selbstmord. Er stirbt an den Folgen einer Überdosis von Schlafmitteln. Der "Gschwinde" kann davon nicht mehr profitieren, er stirbt im Alter von 53 Jahren nur ein paar Monate nach Krista in der Strafanstalt Stein an einem Herzinfarkt.

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