Die Grünen – nur eine Episode?

Als die Grünen noch abhoben: Peter Pilz, Terezija Stoisits, Alexander Van der Bellen 1999.
Als die Grünen noch abhoben: Peter Pilz, Terezija Stoisits, Alexander Van der Bellen 1999.JAEGER ROBERT / APA / picturedes
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Österreichs Grüne, die einst antraten, um die Welt zu retten, wurden zu einem Kapitel der Zeitgeschichte. 31 Jahre, eine ganze Generation, waren sie präsent. Und jetzt?

Triumph und Tragödie waren nicht weit voneinander entfernt. Genauer: Am 4. Dezember 2016 stand fest, dass der Grün-Veteran Alexander Van der Bellen Bundespräsident sein würde. Niemand konnte ahnen, dass nicht einmal ein Jahr später, am 15. Oktober 2017, die Grünen aus dem Parlament fliegen würden. Ein Zufall ist es, dass kurz danach ein 650 Seiten dickes Buch über die Geschichte der österreichischen Grünen von einem renommierten Zeitgeschichtler in den Buchläden liegt.

Robert Kriechbaumer war zwar immer schon ein fleißiger Buchautor, dem wir einige Standardwerke zur österreichischen Innenpolitik verdanken, aber so schnell? Seit Jahren hatte er zur Geschichte der Salzburger Grünen geforscht, dabei ist ihm das Archivmaterial unter der Hand gewaltig angewachsen und gab ihm den Impuls für die vorliegende Darstellung. Dass es durch die Wahlniederlage auch ein Epilog auf eine politische Bewegung werden würde, ist gleichsam „passiert“. Passiert sind auch einige wenige Fehler. Dass Thomas Chorherr als grüner Programmbastler und Energiesprecher tätig war und als solcher auch im Register aufscheint, hätte beim jüngst verstorbenen „Presse“-Chef wohl zu einem seiner berühmten Lachanfälle geführt.

Die Bilanz des Historikers über die Bewegung, die einst angetreten war, um die Welt zu retten, ist insgesamt aber akribisch dokumentiert. Vielleicht zu akribisch für den schnellen Leser. Man vermisst beim Lesen analytische Abschnitte, hat den Eindruck, der Autor wollte keine einzige seiner Tausenden Quellen und Dokumente unberücksichtigt lassen. Andererseits: Einer muss diese Arbeit machen, muss Bilanz ziehen über eine der einst erfolgreichsten Ökoparteien Europas, die jetzt dazu verurteilt ist, wie einst die 1968er, aus denen sie hervorgegangen ist, außerparlamentarisch auf sich aufmerksam zu machen.

Der wirklich steinige Weg kommt noch

Und möglicherweise ist die Leidensgeschichte der Grünbewegung noch gar nicht zu Ende. Man muss kein notorischer Pessimist sein, um den Wiener Grünen nach der Rücktrittserklärung Maria Vassilakous und Christoph Chorherrs harte Monate zu prophezeien. Sollte die Partei sich in der Bundeshauptstadt durch Kämpfe zwischen linkem und rechtem Flügel zerfleischen und auch hier untergehen, dann wird der Weg zurück wirklich steinig.

Gut bedient wird durch Kriechbaumer jeder, der die großen Auseinandersetzungen rund um die grünen Gedächtnis- und Erinnerungsorte wie Zwentendorf und Hainburg rekapitulieren will. Sie standen nicht nur für einen Paradigmenwechsel in der österreichischen Energie- und Umweltpolitik. Es war zugleich das Jahrzehnt, in dem die Säulen der alten politischen Landschaft Österreichs brüchig wurden: Lagergrenzen und Zugehörigkeitsgefühl, überbordender Parteieneinfluss, Vertrauen in das politische System. An ihre Stelle traten mehr materieller Wohlstand und damit größere Lebenschancen, die Lebensentwürfe wurden individueller, die Werthaltungen postmaterialistisch. Nachhaltigkeitsdenken und Umweltschutz bewirkten einen Wandel der politischen Kultur.

Mehr als die 68er-Bewegung erschütterte die ökologisch orientierte Bürgerinitiative-Bewegung das politische System der Konkordanzdemokratie. Diese neue Art von politischer Kultur fand seine politische Verfestigung in der Grün-Partei, die nach pubertären Anfangsproblemen lang brauchte, um sich zu einen und ein Player im politischen System zu werden. Lang stand sie sich nämlich selbst im Weg, sie musste sich erst vom Nimbus der obskuren Gegenkultur befreien. Die Österreicher wollten zwar eine ökopolitische Wende, aber keine ökomarxistische Radikalopposition als Restbestand der linken 68er.

Können die Grünen heute beim fälligen Neuaufbau etwas lernen aus ihrer Geschichte? Auf jeden Fall, dass der Weg über die Länder, vor allem im Westen, erfolgreicher sein kann als der auf Bundesebene. Ein gemeinsames Antreten bei den Vorarlberger Landtagswahlen 1984 mit dem populären Bauern Kaspanaze Simma brachte einen grünen Erfolg. Erstmals zogen sie in einen Landtag ein.

Die Wählerschaft im Ländle war mobil mit einem hohen Anteil an politikverdrossenen Jungwählern. Doch das allein reichte in der Folge nicht überall. Immer wenn linker und rechter Flügel der Grünen nicht zusammenfanden, besaßen sie keine Chancen. Dieser Gegensatz wurde als Konfrontation zwischen „Fundis“ und „Realos“ geradezu sprichwörtlich. Klaffte das zu weit auseinander, dann schafften sie es nicht, ihr theoretisch vorhandenes Stimmenpotenzial auch nur annähernd wahlpolitisch auszuschöpfen. Zwei Voraussetzungen mussten erfüllt sein: eine Einigung der zerstrittenen Kohorten unter einer allgemein akzeptierten politischen Galionsfigur und ein Programm der politischen Vernunft jenseits linker Extreme.

Ohne politische Profis geht es nicht

Weitgehend politikunfähig waren sie auch, wenn sie das Prinzip der Basisdemokratie übertrieben, dann wurden die Versammlungen von zufälligen personellen Konstellationen geprägt. Mit wenig brauchbaren Ergebnissen. Ein Blick nach Deutschland, wo die Grünen 1983 27 Sitze im Bundestag erreichten, zeigte: Die basisdemokratischen Regularien führten zu innerparteilichem Dauerstreit, weil sie der politischen Professionalisierung im Weg standen. Stars wie Joschka Fischer, Otto Schily oder Petra Kelly leiteten dort die Personalisierung ein.

Kriechbaumers Buch ist ein Nachruf auf 31 Jahre, also eine Generation politische Geschichte der Grünen. Für die Jüngeren waren sie ein selbstverständlicher Bestandteil des politischen Systems. Ihr Ausscheiden aus dem Parlament 2017 wurde bedauert, aber oft ging die Reaktion über ein Achselzucken nicht hinaus, und es fehlte auch nicht an Häme. Doch man findet im Titel des Werks ein Fragezeichen: „Die Grünen – nur ein Zwischenspiel?“ lässt offen, was die Zukunft bringt. Der Autor legt sich nicht fest, aber Hoffnung gibt er den Grünen, wenn er schreibt, es liege an den politischen Akteuren und deren Sympathisanten, ob die Bewegung vergessen wird oder wieder auferstehen kann.

Wie wäre es mit einem Blick nach Deutschland? Dort scheiterten die Grünen 1990 an der Fünf-Prozent-Hürde, vermochten jedoch bereits 1994 neuerlich in den Bundestag einzuziehen, dem sie seither ohne Unterbrechung angehören. Derzeit weisen sie sensationell gute Umfrageergebnisse auf. Auch die FDP musste 2013 nach 64-jähriger Präsenz hinaus aus dem deutschen Parlament und kehrte nach vier Jahren wieder zurück. Die Zukunft ist also offen.

Es braucht, so Kriechbaumers Appell an die Grünen, eigene Energie, eigenes Handeln, Kraft der Ideen, dann ist es nicht nötig, widrige Zeitumstände als Ausrede heranzuziehen. Eine Konkursmasse anderer Parteien, aus der man sich bedienen könnte, ist in Österreich derzeit freilich nicht in Sicht. Regierungsverantwortung im Bund ist also auch langfristig sehr unwahrscheinlich.

Robert Kriechbaumer
„Nur ein Zwischenspiel (?) Die Geschichte der Grünen in Österreich“
Böhlau Verlag
650 Seiten, 45 €

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2018)

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