Als eine "Kuriosität" dem menschlichen Herz den Takt vorgab

Im Jahr 2009 wurden weltweit mehr als 730.000 neue Herzschrittmacher implantiert.
Im Jahr 2009 wurden weltweit mehr als 730.000 neue Herzschrittmacher implantiert.(c) imago (Becker & Bredel)
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Mehrmals täglich sterben und trotzdem überleben: Am 8. Oktober 1958 wurde dem Schweden Arne Larsson ein "Kunststoffbecher" in den Körper eingesetzt. 21 weitere sollte er bekommen und 44 Jahre mit ihnen leben – länger, als seine Retter.

Das Herz und die Liebe. Für beide, oft in Kombination, wurden Lieder komponiert, Gedichte verfasst, Bücher geschrieben, Gemälde gezeichnet, Heldentaten vollbracht. „Im Herzen eines Menschen ruht der Anfang und das Ende aller Dinge“, postulierte gar Leo Tolstoi. William Harvey konstatierte: „Das Herz der Lebewesen ist der Grundstock ihres Lebens, der Fürst ihrer aller, der kleinen Welt Sonne, von der alles Leben abhängt, alle Frische und Kraft ausstrahlt.“ Und Friedrich Hebbel meinte gar: „Über alles hat der Mensch Gewalt, nur nicht über sein Herz.“ Jedenfalls Hebbel sollte eines Besseren belehrt werden – im medizinischen Sinne.

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Es war das Jahr 1958. Der Schwede Arne Larsson war im Mai 43 Jahre alt geworden. Und er litt. Die sogenannte Erregungsleitung zwischen dem Herzvorhof und der Herzkammer war gestört, der Herzmuskel konnte die an ihn gesendeten Impulse nicht richtig verarbeiten. „28 Schläge pro Minute schaffte sein Herz noch“, heißt es in einem Bericht der Firma Siemens von damals. Bis zu dreißig Mal verlor er pro Tag das Bewusstsein, musste wiederbelebt werden. Zum Vergleich: In gesundem Zustand pulsiert ein Herz 70 bis 80 Mal pro Minute – im Ruhezustand. 

Notoperation dank hartnäckiger Ehefrau

Die Lage schien hoffnungslos. Irgendwann, so die Vorahnung, würde ein Rettungsversuch zu spät erfolgen. Ein Gedanke, mit dem sich Larssons Frau Else-Marie nicht abfinden wollte. In einem Zeitungsartikel las sie, dass der Herzchirurg Åke Senning gemeinsam mit dem Ingenieur Rune Elmqvist (er übte nach seinem Medizinstudium den Arztberuf nicht weiter aus, sondern arbeitete bei Elema-Schönander später Siemens-Elema, wo er den EKG-Tintenstrahldrucker erfand) am Karolinksa Krankenhaus in Stockholm einen Herzschrittmacher entworfen hatte – und das Gerät gerade an Tieren testeten.

Neu war die Idee freilich nicht: Schon 1932 war eine Maschine entwickelt worden, die dem Herz via elektrischer Impulse den Takt vorzugeben vermochte. Allerdings: Sie war behäbig und musste außerhalb des Körpers mitgeführt werden. 1947 schließlich kam ein kleineres Modell auf, das aber immer noch von einer, außerhalb des Körpers befindlichen Batterie, betrieben wurde. Das Modell von Senning und Elmqvist nun aber war weit kleiner und sollte vollständig im Menschen verschwinden. Zumindest: Sofern die Tierversuche glückten. 

Deren Ergebnisse abzuwarten, hatte Larsson keine Zeit mehr. Else-Marie suchte die beiden Männer auf und konnte sie, ihrer Hartnäckigkeit geschuldet, davon überzeugen, eine geheime Notoperation an ihrem Mann durchzuführen. „Aus Zeitmangel goss er (Elmqvist, Anm.) die Komponenten des ersten Geräts in einem einfachen Kunststoffbecher mit Epoxydharz aus. Zwei Elektroden, die mit dem Schrittmacher verbunden waren, gaben die Stimulationsenergie an das Herz ab“, schreibt Doris-Maria Vittinghoff in den „History News“ von Siemens. 

Schrittmacher in der Größe einer Vitamintablette

Um das Gerät einzusetzen, musste Larssons Brustkorb geöffnet werden, die Elektroden wurden auf den Herzmuskel aufgenäht. Das Experiment glückte – zumindest für wenige Stunden. Denn schon nach kurzer Zeit musste das Aggregat wieder aus dem Körper des Patienten entfernt und durch einen anderen Schrittmacher der beiden Erfinder ersetzt werden. Das neue Gerät hielt schon eine Woche lang – in den 44 Jahren, die Larsson von diesem Tag an noch leben sollte, sollte er noch rund 20 Schrittmacher bekommen. Damit überlebte der Patient auch seine beiden Lebensretter: Während Larsson im Alter von 86 Jahren im Dezember 2001 verstarb, starb Elmqvist schon 1996, Senning 2000.

Dass ihre Entwicklung ein derartiger Erfolg werden würde, hätte sich Elmqvist einst nicht träumen lassen. Auf einem Kongress in Wien sagte er einst: „Ich muss zugeben, dass ich am Anfang den Schrittmacher mehr oder weniger für eine technische Kuriosität hielt. Deshalb ist es fantastisch gewesen, der enormen Entwicklung zu folgen.“

Die Weiterentwicklung betrieb die Firma Siemens übrigens nur bis in das Jahr 1994. Damals veräußerte man das Schrittmachergeschäft an den amerikanischen Konzern St. Jude Medical. Mittlerweile ist eine Vielzahl von Schrittmachern auf dem Markt und diese werden fortwährend adaptiert. Samt Elektronik und Batterien sind sie nicht größer als eine flache Streichholzschachtel. Von ihm aus führen in der Regel zwei Kabel mit Elektroden über die Schlüsselbeinvene zum Herzen, eines zum rechten Vorhof und eines zur rechten Herzkammer.

Jüngstes Beispiel: 2016 gelang am Linzer Kepler Uniklinikum die Implantation des bis dato kleinsten Herzschrittmachers der Welt – kaum größer als eine Vitamintablette.

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