"Gib mir den Schtroumpf": Über blau-weiße Zwerggestalten

Papa Schlumpf beim Schneiderschlumpf (Zeichentrickserie, Belgien/USA, 1981)
Papa Schlumpf beim Schneiderschlumpf (Zeichentrickserie, Belgien/USA, 1981)(c) imago/United Archives
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Eigentlich wollte er Salz, herausgekommen sind die "Schlümpfe": Vor 60 Jahren schuf der belgische Comiczeichner Peyo blau-weiße Gestalten mit Mütze. Aus dem Zufall wurde ein Erfolg. Mit ihm kam auch Kritik - am Frauenbild und dem Dorfleben.

Jedes Kind hat einen Helden - wenn sich in der Realität keiner findet, wird er eben erfunden. Ein Satz, der wohl auf viele Heranwachsende zutrifft. Auf manche sogar so sehr, dass daraus ein Beruf wird - so wie bei Pierre Culliford. "Die einen entschließen sich eines Tages, erwachsen zu werden. Die anderen, die das nicht wollen, zeichnen Comics", betonte der 1928 geborene Belgier, der sich Zeit seines Lebens hinter dem Pseudonym "Peyo" verbarg. "Sehr ernsthaft", so sagte er weiter, befasse er sich mit dem Erschaffen von Fantasiewesen, "ohne mich selbst ernst zu nehmen". Sein wohl bekanntestes Resultat: hundert blaue Wesen mit phrygischen Mützen auf dem Kopf - die Schlümpfe.

Oder, wie sie im Original genannt werden: les Schtroumpfs. Die Geburtsstunde der gezeichneten Wichtel schlug am 23. Oktober 1958 als Nebenfiguren der Comicserie "Johann und Pfiffikus" des Magazins "Spirou". Aufgrund der großen Beliebtheit wurde den Schlümpfen bald eine eigene Serie gewidmet - ein Zufallserfolg. Denn, so will es die Anekdote, der Name der Gestalten soll wie sie selbst beiläufig entstanden sein. Bei einem Abendessen mit seinem Zeichnerkollegen André Franquin wollte Peyo um Salz bitten, das Wort dafür fiel ihm aber nicht ein, weshalb er gestammelt haben soll: "Passe-moi le … le Schtroumpf" ("Passe-moi le sel", gib mir das Salz, wäre korrekt gewesen). 

Der Sprung in den deutschsprachigen Raum gelingt den Schlümpfen in den 1960er Jahren und zwar in Form von Kurzfilmen im Bayerischen Rundfunk sowie als Comic in Rolf Kaukas Zeitschrift "Fix und Foxi" (Nr. 20/1969). Es folgten Weichplastik-Spielfiguren, Magazine, Rätselbücher sowie Plüschtiere, (Zeichentrick-)Filme und sogar musikalische Adaptionen: Ende der 1970er Jahre bediente sich der Niederländer Pierre Kartner alias Vader Abraham dem Stoff und lieferte mit dem "Lied der Schlümpfe" einen die Charts erobernden Ohrwurm:

Auf Facebook haben die Schlümpfe mittlerweile fast 14 Millionen Fans, es gibt über 40 YouTube-Channels mit "schlumpfigen" Videos und selbst die Lebensmittelindustrie hat die blauen Wesen für sich entdeckt - in Form von Fruchtgummi. Freilich, auch vor Parodien waren die Kobolde im Laufe ihres Älterwerdens nicht gefeit. In Erinnerung blieb etwa das Lied "Die schwulen Schlümpfe" von Otto Waalkes.

Nach dem Tod von Pierre "Peyo" Culliford am 24. Dezember 1992 arbeitete seine (mittlerweile ebenfalls verstorbene) Frau Nine an den Schlümpfen weiter. Heute sind es die Kinder des Paares, die sich der Vermarktung der Zeichnungen widmen.

Rot wie Marx? Engel aus Israel?

Mit den Jahren nahm nicht nur die Zahl der Abenteuer der Schlümpfe zu - in den 1980er Jahren bekamen sie eine eigene Fernsehserie mit 270 Episoden, die mit mehreren Emmys ausgezeichnet wurde -, sondern auch die Liste an Interpretationen der blau-weißen Zwerggestalten wurde beständig erweitert. Zu den geläufigsten zählt dabei wohl die Sichtweise, die Schlümpfe seien Ausdruck eines kommunistischen Weltbildes. Denn: Das Oberhaupt der Truppe, Papa Schlumpf, trage als einziger rote Kleidung und erinnere damit an Karl Marx. Im Dorf würde gleichberechtigt zusammengearbeitet, jeder Ausbruch scheitere, ebenso jedes Eingreifen durch Gargamel, der als Repräsentant des westlichen Kapitalismus angesehen wurde. Gegen diese Erzählweise verwehrte sich jedoch Peyos Sohn, Thierry Culliford. Sein Vater sei nie Mitglied einer kommunistischen Partei gewesen, betonte er mehrfach.

Das Treiben in Schlumpfhausen, so behauptete dagegen 2011 der Soziologe Antoine Buéno in seinem "Le petit livre bleu", sei ein "Archetyp totalitärer Utopie, geprägt von Stalinismus und Nationalsozialismus". Papa Schlumpf könne als Diktator gewertet werden, die blonde Schlumpfine stelle das Urbild einer Arierin dar, während Bösewicht Gargamel als antisemitische Karikatur zu deuten sei. Und: Die Katze Azrael sei nach einem Engel des Todes im Islam benannt. Nach einem Aufschrei der Empörung in französischen und belgischen Medien, versuchte Buéno übrigens zu beschwichtigen: Seine Ausführungen seien spielerisch-intellektuell zu verstehen.

Allein unter Männern? Fortsetzung folgt

Wieder andere Zugänge fokussieren auf das Frauenbild, genauer gesagt, auf die einzige Frau im Dorf: Schlumpfine. Schtroumpfette, wie ihr französischer Name lautet, wurde von Gargamel geschaffen, der durch ihr Erscheinen Unruhe in das idyllische Leben der Schlümpfe bringen wollte. Papa Schlumpf machte dem Zauberer jedoch einen Strich durch die Rechnung und verwandelte die mit großer Nase und struppigen, dunklen Haaren ausgestattete Frau in eine Stöckelschuh tragende Blondine, die von ihren männlichen Nachbarn bewundert werden sollte. Die Schriftstellerin Katha Pollitt formulierte aus diesem Umstand 1991 in einem Artikel im "New York Times Magazine" das "Schlumpfine-Prinzip", wonach in zahlreichen Filmen nur eine weibliche Rolle einer Reihe von männlichen Darstellern gegenübergestellt werde.

Blick auf Juzcar
Blick auf Juzcar (c) imago/Belga (Jorge Zapata)

In weit positiver, jedenfalls aber werbewirksamer Weise setzen sich die Bewohner von Juzcar in Andalusien mit dem Schlumpfwesen auseinander. Denn: Sie strichen ihre Häuser anlässlich des Kinofilms "Die Schlümpfe in 3D" im typischen Schlumpfblau, ein "Schlumpfmarkt" wurde ebenso ins Leben gerufen wie Schlumpfstatuen aufgestellt. Wie auch immer die Geschichten der Schlümpfe gelesen oder bewertet werden soll, fest steht: Zu Ehren ihres 60. Geburtstages wird an einer neuen Serie gewerkt. Wie schon in dem 2017 veröffentlichten Film "Die Schlümpfe - Das verlorene Dorf" (in dem Schlumpfine übrigens weibliche Verstärkung bekam), werden die Protagonisten dabei in 3D entworfen. Im TV ausgestrahlt werden soll das Werk 2021. Als Grund für die blau-weißen Anstrengungen nennt Véronique Culliford, Tochter von Peyo, ihre Vision von guter Unterhaltung: "Ich bin überzeugt, dass die Schlümpfe weiter alle Generationen für Jahrzehnte erfreuen werden."

>>> Homepage des Magazin "Spirou"

>>> Artikel von Katha Pollitt im "New York Times Magazine"

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