Der Traum vom gemeinsamen Staat

Der Staat der Südslawen entstand in den Wochen zwischen 29. Oktober und 1. Dezember 1918. Unser Bild zeigt Ljubljana.
Der Staat der Südslawen entstand in den Wochen zwischen 29. Oktober und 1. Dezember 1918. Unser Bild zeigt Ljubljana.gemeinfrei
  • Drucken

Die Habsburgermonarchie konnte die südslawische Frage nicht lösen. Konnten es die betroffenen Völker, Slowenen, Kroaten und Serben? Am 1. Dezember 1918 gründeten sie jedenfalls ein Königreich.

Zu den großen nationalen Integrationsideen des ausgehenden 19. Jahrhunderts gehörte die Idee von „Jugoslawien.“  Sie wurde als natürliches Recht der Südslawen verstanden, sich in einem einheitlichen Territorium zu vereinigen. Vorbild war das deutsche oder italienische Prinzip des Zusammenschlusses auf der Grundlage ethnischer und sprachlicher Verwandtschaft, Kroaten, Serben und Slowenen stammten, so das Argument, aus einem gemeinsamen „ethnischen Kern.“ Die Idee einer völligen Loslösung von der Fessel der Habsburgermonarchie reifte heran. Aus einem Gedankenspiel von Intellektuellen und Kulturschaffenden wurde politische Realität.

Doch wer sollte nach dem Zusammenschluss dominieren? Vor allem Kroatien strebte zunächst unter Berufung auf seine große Geschichte den Status einer Führernation in diesem Verbund an. Als wichtigste politische Kraft etablierte sich aber nach der 1878 erlangten Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich das Königreich Serbien. So verschob sich die frühere kroatische Führerschaft unter den Südslawen zunehmend zugunsten der selbstbewussten Serben. Der Traum von Großserbien entstand, die Konkurrenz zu den Kroaten ließ den Einigungsprozess abebben. Die Unterschiede wurden stärker betont.

„Der Kroate will leben, der Serbe ist bereit zu sterben“

So fand bei den Serben der Jugoslawismus nur geringes Echo. Sie fühlten sich als die stärkste Kraft und erhoben daher den Führungsanspruch. Auch Kroaten begannen, die „kinetische Energie“ des Serbenvolkes zu bewundern, es hieß: „Der Kroate will leben, der Serbe ist bereit zu sterben. … Der Serbe hat die Moral des Amselfeldes, die der Sühne und der Rache.“ (Eine Anspielung auf die stark mythologisierte Schlacht auf dem Amselfeld von 1389, die für die Serben identitätsstiftend wurde.)

Fakten

Staatsreform:

Das Königreich Jugoslawien entstand in Etappen. Vom 29. Oktober bis 1. Dezember 1918 bestand ein „Staat der Slowenen, Kroaten und Serben“, am 1. Dezember wurde das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen gegründet, gekürzt SHS Königreich: „Kraljevina Srba, Hrvata i Slovenaca“ (SHS) / „Königreich der Serbien, Kroaten und Slowenen“. Erst 1929 nach einem Putsch des Königs entstand das Königreich Jugoslawien.

Bevölkerung:

Nationalitäten im 1918 gegründeten SHS-Staat

Gesamtzahl 12 Millionen Einwohner.

82,8 % (9,93 Millionen) waren Jugoslawen, davon 44,57 % Serben, 23,5 % Kroaten, 8,51 % Slowenen, dazu kamen Minderheiten jeweils zwischen 3 % und 6 % (Magyaren, Deutsche, Albaner etc.)

Religion:

47 % Orthodoxe, 39 % Katholiken, 11 % Moslems, 3 % Evangelische.

Schon 1915 bildete sich im Londoner Exil ein südslawischer Ausschuss, der die Vertretung der in der Habsburgermonarchie lebenden Südslawen gegenüber der Entente beanspruchte. In der Deklaration von Korfu vom 20. Juli 1917 (Korfu war der Exilort der serbischen Regierung) wurde die Schaffung eines gemeinsamen Staates des „dreinamigen Volkes der Serben, Kroaten und Slowenen“ als Zweige am Baum einer gemeinsamen jugoslawischen Nation beschlossen. Es sollte eine konstitutionelle Monarchie mit der serbischen Dynastie Karadjordjevic an der Spitze sein. Das Prinzip der Monarchie erschien am ehesten geeignet, die Einheit des zukünftigen Staates zu garantieren. An dieser politischen Absichtserklärung hielt man fest. Den Staatsnamen „Jugoslawien“ lehnten die Serben ab, das klang den zentralistischen großserbischen Politikern zu sehr nach einer föderalen Monarchie. Trotz mancher Befürchtungen vor großserbischen Aspirationen verfolgten die Vertreter fast aller politischen Richtungen der Südslawen bis zum Spätsommer ihren Einigungskurs.

So kam die Entwicklung am 29. Oktober 1918 in Gang: Der kroatische Serbe Svetozar Pribicevic erklärte als Sprecher des Zagreber Nationalrates die staatsrechtliche Bindung an Österreich-Ungarn für aufgelöst und meldete am 31. Oktober der Entente die Gründung eines alle Südslawen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie umfassenden Staats. Dieser Staat verfügte aber weder über staatliche Institutionen noch über eine Armee und war von Anfang an von ungarischen und italienischen Territorialforderungen bedroht. Am 30. Oktober erklärte der Landtag von Bosnien / Herzegowina den Anschluss an das Königreich der Serben, Montenegro setzte seinen König ab und  folgte am 19. November, die Verteidiger der montenegrinischen Souveränität waren der proserbischen Fraktion unterlegen. Am 24. November beschloss der kroatische „Sabor“ die Vereinigung des Südslawischen Staates der österreich-ungarischen Monarchie mit den Königreichen Serbien und Montenegro. Am 25. November 1918 kamen die ehemals ungarischen Provinzen Baranya, Batschka und Banat unter die Herrschaft des Königreichs Serbien.

Serben waren die Sieger

Rein staatsrechtlich existierte zum Zeitpunkt der Vereinigung am 1. Dezember 1918 nur das Königreich Serbien als eigenständiger Staat. Kroaten und Slowenen blieben bis zur bitteren Neige im Verband der Habsburgermonarchie. Mit der Selbstunterwerfung der Kroaten unter den serbischen Zentralismus zählten die Serben daher 1918 definitiv zu den Siegern des Krieges. Serbien und Montenegro hatten die Hauptlast im Ersten Weltkrieg getragen und eine halbe Million Menschen verloren, die anderen südslawischen Völker waren „auf der falschen Seite“ gestanden, insbesondere die Bosniaken hatten sich als eine mit großer Verbissenheit für die habsburgische Armee kämpfende Eliteeinheit herausgestellt. Obwohl Serbien also in den Kreis der Kriegsgewinner trat, waren die Ängste vor einem Verlust der Selbständigkeit, der eigenen Geschichte, des Namens durch ein neues föderalistisches Jugoslawien groß.

So entstand am 1. Dezember 1918 das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS), das in Belgrad durch den Kronprinzen Alexander Karadjorcevic (stellvertretend für seinen Vater Peter, den regierenden König) proklamiert wurde und von Beginn an unter serbischer Führung stand. Unvorbereitet erfuhr die Öffentlichkeit der kroatischen Hauptstadt Zagreb am 2. Dezember von diesem Ereignis. Manche sprachen von der Usurpation der kroatischen Souveränitätsrechte durch das Haus Karadjorcevic, es kam in Zagreb zu Umzügen, man ließ die „kroatische Republik“ hochleben. Vom Polizeichef herangeführte Marinesoldaten schossen auf die Demonstranten, sie verbluteten auf der Straße, gingen als „Dezember-Opfer“ in die nationale Geschichte ein. Die slowenische Seite akzeptierte die proklamierte Einigung als politisches Faktum.

Die Bosnier erlangten Im neugegründeten SHS-Staat nicht den Status einer Nation, sondern wurden als Angehörige der islamischen Konfession betrachtet, die die Wahl hatten, sich entweder zum Serbentum oder Kroatentum zu bekennen. Die Verfechter der großserbischen Ideologie bezeichneten sie als Serben islamischen Glaubens und die „Großkroaten“ als kroatische Muslime.

In der Retrospektive erscheint die Vereinigung der Slowenen und Kroaten mit Serbien als überstürzt. Der Grund war die außenpolitische Lage, bestand doch die Gefahr, dass der SHS-Staat mit Österreich-Ungarn auf die Verliererseite gestellt würde. Die serbische Armee war praktisch der einzige staatliche Ordnungsfaktor. Die militärische Bedrohung durch Italien war aufrecht, nur die Präsenz von amerikanischen Einheiten im Adriaraum verhinderte militärische Aktionen der Italiener. Italien war Verbündeter der Entente und erhob Expansionsansprüche auf Gebiete, die auch Slowenen und Kroaten beanspruchten (Triest, Istrien, einige Inseln). Die Italienischen Diplomaten agierten sehr geschickt, schließlich handelte es sich staatsrechtlich noch um Parteigänger der zerfallenden Donaumonarchie.  Der Zugzwang für Kroaten und Slowenen war enorm. Nur im Verein mit Serbien, das von Anfang an auf der Feindesseite der Habsburgerseite gestanden war, konnten sie hoffen, den Italienern bei den Verhandlungen mit der Entente erfolgreich entgegenzutreten.

Der Bonus der Sieger

Wie die Tschechoslowakei und Rumänien gehörte der SHS-Staat so zu den Staaten, die ihre Existenz mit dem Bonus der Sieger des Weltkriegs beginnen konnten. Seine Gründung verdankt sich einer Eigendynamik von Entwicklungen und keinem übergeordneten Plan. Die Entente ließ den Entwicklungen ihren Lauf, im Großen und Ganzen durchaus wohlwollend.  Die größten Sympathien fand der SHS-Staat in Frankreich, man dachte in Paris schon an die Zeit nach dem Krieg: Ein siegreiches Italien drohte ein gewichtiger Widersacher Frankreichs im Mittelmeerraum zu werden. Da konnte ein Verbündeter Frankreichs nicht schaden. So unterstützte Paris die territorialen Ansprüche der Südslawen auf Triest, Fiume, Istrien, Teile von Dalmatien, all die Gebiete, die auch Italien begehrte. Das gekränkte Italien musste in so einem Fall entschädigt werden. Da bot sich Südtirol an.

An der Friedenskonferenz von Paris nahm die Delegation des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen offiziell als „Delegation Serbiens“ teil. Die Anerkennung als neuer jugoslawischer Staat kam in Paris prompt, vergeblich protestierte die serbische Delegation, sie wollte einen Hinweis auf die staatliche Kontinuität Serbiens. Das kam nicht zustande. Man betrachtete den SHS-Staat als mononationalen Staat (nicht als Vielvölkerstaat), weil fast 83 % der Gesamtbevölkerung südslawischer Nationalität war. Jedoch hatte keines der südslawischen Völker eine absolute Mehrheit im Staat. Einflussreiche politische Gruppierungen unter den Kroaten, Slowenen und Bosniern verweigerten dem neuen Staat von Anfang an ihre Anerkennung.

„Sie hassen sich“ war eine häufige Verballhornung des Staatsnamens durch die Österreicher. Die Kroatische Bauernpartei anerkannte die serbische Führungsrolle nicht und sah den SHS-Staat als neuen Völkerkerker wie weiland die Habsburgermonarchie, ihr legendärer Führer Stjepan Radic soll gelästert haben: „Wie besoffene Gänse im Nebel“ seien die slawischen Nationen in die Falle getappt.

Literaturhinweis

Der Weg zur Republik. Ein Magazin aus der Reihe „Presse Geschichte.“ 120 Seiten. Preis 8,90 €, für Abonnenten 6,90 €. Bestellbar im Buchhandel und unter diepresse.com/geschichte

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.