Wie die Donau nach Wien kam

Der Lieblingsblick auf Wien im 19. Jahrhundert. Eine großartige und selten zu sehende Panoramadarstellung aus dem Biedermeier: Wien und die noch nicht regulierte Donau vom Leopoldsberg aus gesehen, handkolorierte Lithografie von Johann Wachtl, entstanden 1830.
Der Lieblingsblick auf Wien im 19. Jahrhundert. Eine großartige und selten zu sehende Panoramadarstellung aus dem Biedermeier: Wien und die noch nicht regulierte Donau vom Leopoldsberg aus gesehen, handkolorierte Lithografie von Johann Wachtl, entstanden 1830. (c) dorofotograf2/ Abbildung aus dem besprochenen Buch
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Mensch und Natur am Beispiel eines Flusses und seiner Anrainer. Wie hat der Mensch die Landschaft verändert? Und wie hat sie den Menschen geprägt? Ein neues Buch erzählt, wie der Donauraumzwischen Klosterneuburg, Korneuburg und Wien besiedelt wurde.

Warum entwickelte sich im Lauf der Geschichte ein Dorf zu einer Stadt? Warum siedelten die Menschen an bestimmten Orten lieber als an anderen? Waren es die günstigen Umweltverhältnisse, etwa Flussnähe, eine Kombination aus ökologischen und ökonomischen Faktoren? Wie bestimmt überhaupt ein Flussverlauf das Wachstum einer Stadt? Warum explodieren Siedlungen, die Jahrhunderte lang nur gemächlich gewachsen sind, plötzlich in wenigen Jahrzehnten, wie etwa Wien vor rund 150 Jahren nach dem Fall der Stadtmauern?

Dies alles sind Themen der Siedlungsgeschichte. Sie gibt uns spannende Aufschlüsse, wenn sie gut aufbereitetes topografisches Kartenmaterial zur Hand hat. Das Problem dabei ist die Qualität der Karten in den früheren Zeiten. Sie generalisierten stark und lieferten nur vage Informationen über die Ausbreitung von kleineren Orten außerhalb der Städte.

Es ist keine Kunst, die Donau seit ihrer Regulierung in den 1870er-Jahren darzustellen, doch was ist mit der Zeit davor? Erst ab dem 17. Jahrhundert gibt es Karten, auf denen der Flussverlauf einigermaßen gut dargestellt ist. Kein Wunder: Es genügte ein Hochwasser und die Donau war nicht mehr wiederzuerkennen, es wechselten Altarme und Inseln. Ein Albtraum für den Kartografen.

Einer aus dieser Zunft ist der Geograf und Kartograf Erich Wonka aus Klosterneuburg. Er war Statistik-Austria-Mitarbeiter und dort für die Erstellung von Karten mit statistischen Themen zuständig. Das Buch, das er vor Kurzem vorgelegt hat (siehe Literaturtipp), ist eine Fundgrube für jeden, der am Donauraum von Klosterneuburg und Korneuburg bis nach Wien hinein interessiert ist. Das Buch zeigt anhand von Texten, Plänen und Fotografien die Besiedlung dieser Region von der Urgeschichte und Römerzeit über das Mittelalter bis in neueste Zeiten.

Die von Wonka selbst angefertigten topografischen Karten, die sich auf alte Zeichnungen und statistische Daten stützen, erklären die Besiedlung in diesem immer stärker wachsenden Raum. Sie zeigen mit höchster Anschaulichkeit, wie der Mensch im Lauf der Geschichte auf Veränderungen reagiert hat und wie er wiederum durch seine Besiedlung die Landschaft um ihn herum verändert hat.

Die ungezähmte Urdonau.
Vor elf Millionen Jahren existierte bereits eine Urdonau, sie floss wie heute gegen Osten, trieb sich aber herum in der Gegend des heutigen Krems, Hollabrunn, Mistelbach, um in einem Riesendelta in das Wiener Becken, damals ein pannonischer Süßwassersee, zu münden. Erst vor 300.000 Jahren hat sie sich einen Weg durch die sogenannte Wiener Pforte, zwischen Bisamberg und Leopoldsberg, gebahnt, das kommt uns schon bekannter vor. Freilich: Gezähmt war sie noch lange nicht, es gab ein Geflecht von Flussläufen im Wiener Becken, Seitenarme, Tümpel, Sümpfe.

Ab der Jungsteinzeit war das Wiener Becken kontinuierlich besiedelt, das begann vor 7500 Jahren. Allmählich entstand im Gebiet zwischen Klosterneuburg und Korneuburg ein dauernder Siedlungsplatz, die Donau verzweigte sich hier in mehrere Arme, floss dadurch langsamer, der Wasserstand war niedriger, man konnte ihre Arme mit Flößen durchqueren und Fische fangen. Auch die Höhenlage am Bisamberg, Leopoldsberg und Wilhelminenberg wurde beliebt, hier entstanden Handelsplätze. Die Kelten, die die Urbevölkerung vertrieben, siedelten gerne oben.

Die hochwassersicheren, höher gelegenen Terrassen der Donau erleichterten die Verteidigung des Raumes. Das schätzten auch die Römer, die den Raum 15 vor Christus in ihr Imperium eingliederten. Die Donau bot sich als Grenze gegen die Germanen an. Wien und Klosterneuburg wurden Teil der Provinz Pannonien. Zum ersten Mal wurde das Siedlungsgebiet eine Art von Schmelztiegel, Römer, Kelten und befreundete Germanen lebten nebeneinander. Man vertrug sich.

Noch bevor es zum Legionslager Vindobona an der Stelle des heutigen Wiener Stadtzentrums kam, gab es in Klosterneuburg ein Kastell. Bei St. Martin bot sich nämlich die Möglichkeit, die Donau bei niedrigem Wasserstand zu Fuß oder mit Pferd und Wagen zu durchqueren. Hier, bei dieser Furt, war der Wasserspiegel der Donau weit niedriger als heute. Eine wertvolle Stelle, die von beiden Seiten bewacht wurde, von der Klosterneuburger und der Bisamberger. Man wollte die Einfallspforte und die hier verlaufende Limesstraße möglichst gut überblicken.

Die Kontrollen der Donau-Überfuhr: Das waren die Ursprünge der späteren Orte Klosterneuburg und Korneuburg. Ab 1289 wurden die beiden Orte durch Herzog Albrecht I. getrennt und zu eigenen Städten. Die Trennung wurde notwendig. Durch die ständigen Veränderungen des Donauverlaufs ist es für die Bewohner der beiden Orte immer schwieriger geworden, zusammenzukommen. Bis zum Bau der ersten Brücke in Wien (1439) war hier der wichtigste Donauübergang. Zugleich wurde der Zugang nach Wien am rechten Donauufer gesichert. Auch Korneuburg hatte strategische Bedeutung als Deckung Wiens.

Viele kulturgeschichtliche Details werden von Erich Wonka geliefert, und er verliert dabei nie sein Thema aus den Augen, die Beziehung der siedelnden Menschen zum Wasser der Donau. Ein Beispiel: Mehl war in vorindustriellen Zeiten fast nicht transportabel, so musste das Getreide nahe beim Verbraucher gemahlen werden. In Wien existierten daher bis zum Ende des 19. Jahrhunderts schwimmende Mühlen, deren Räder durch die Donau angetrieben wurden. An fixe Plätze war in dieser hochdynamischen Flusslandschaft mit ihrem Hochwasser und Eisstößen nicht zu denken, ständig musste man die Standorte wechseln, um die Energie des Flusses möglichst ohne Unterbrechung nutzen zu können. Viele Namen erinnern noch an die Schiffsmüller, nicht zuletzt der Bezirksteil Kaisermühlen: Auch das Kaiserhaus gehörte zu den Mehlproduzenten. Nach der Donauregulierung verschwanden die Schiffsmühlen allmählich, der technische Fortschritt machte sie überflüssig.

Bereits 1255 ist der erste Wiener Fischmarkt belegt. Beliebt war die „Daubelfischerei“, eine spezielle Fangtechnik, bei der das Netz von vertäuten Kähnen aus über eine Seilrolle abgesenkt wurde. Früh am Morgen fuhren die Fischer mit ihrem Fang dann zum Hohen Markt. Auch im Winter oder bei Regen durften sie weder Mantel noch Kopfbedeckung tragen. Sie sollten bestrebt sein, ihre Waren schnell loszuwerden, so wurde die Frische ihrer Ware garantiert und die Geruchsbelästigung verhindert. Nicht verkaufte Fische wurden lebendig in durchlöcherten Holzkisten im fließenden Wasser des Donaukanals aufbewahrt. Als die Wasserqualität im Kanal immer schlechter wurde, fiel diese Art von Vorratshaltung weg.

Der Fluss wurde berechenbar.
Jahrhunderte lang siedelten Menschen vor der Donauregulierung neben dem unberechenbaren Fluss, bedroht durch Hochwässer, vor allem in den tiefer gelegenen Ortschaften am linken Ufer wie Leopoldstadt und Floridsdorf. Ab 1870 wurden die vielen verästelten Seitenarme der Donau abgedämmt oder zugeschüttet, ein schnurgerader Hauptstrom mit 300 Metern Breite und einem breiten Überschwemmungsgebiet am linken Ufer entstand.

Durch die Donauregulierung gab es neue Chancen für die Ansiedlung von Industrie, die Gründe neben der Donau waren billig und hochwassersicher, Beschwerden von Anrainern waren nicht zu befürchten. In der Nähe entstanden die dicht besiedelten, sozial homogenen Wohnviertel der Arbeiter. Für sie kamen andere Gegenden schon aus Kostengründen nicht infrage. In Klosterneuburg wuchs ein dichter Streifen von Auwald zwischen der Stadt und dem neuen Donaubett.

Neben dem historischen Teil bringt Erich Wonkas Buch auch Aktuelles über die stark wachsende Siedlungsregion. Seit den 1960er-Jahren wurde das Wiener Umland zu einer begehrten Wohngegend. Die Entwicklung begann zunächst mit Zweitwohnsitzen, sie wurden nur saisonal benutzt, beginnend mit der Badehütte, dem Kleingartenhaus, bis zum Einfamilienhaus, bevorzugt am Waldrand oder in der Hanglage. Es war dies die Fortsetzung der großbürgerlich-adeligen Sommerfrische aus der Zeit der Monarchie, bei der man Ehefrau, Kinder und einen Teil des Haushalts prestigeträchtig übersiedelte. Wer sich das nicht leisten konnte, wurde in der gehobenen Gesellschaft schief angesehen.

So wurde auch ab 1960 für immer mehr Wiener mit sozioökonomisch höherem Status und in der Phase der Familiengründung das Umland attraktiv, sie wollten existierende Sommerhäuser ausbauen, in freistehenden Einfamilienhäusern leben. Wien verlor Bürger, die Gemeinden im Umland setzten auf Zuzug und widmeten ohne viel raumplanerische Expertise Grün- in Bauland um. Auch der Druck auf die Weinbauflächen mit ihren attraktiven Lagen stieg.

Mehr Verkehr und mehr Landschaftsverbrauch schufen neue Probleme, die Grundstückspreise gingen in die Höhe, die Siedlungsdichte stieg. So grün wie erwartet war für die Familien die Umgebung dann nicht mehr. Auch dafür liefert der gelungene Bild- und Kartenband anschauliches Hintergrundmaterial.

DAS BUCH

Erich Wonka

„Der Donauraum von Klosterneuburg und Korneuburg bis Wien“

Ein Bild- und Kartenband der Siedlungsausdehnung von der Urgeschichte bis in die Gegenwart und ihre Auswirkungen auf die Landschaft.

Verlag Berger & Söhne Horn

128 Seiten
25 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2018)

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