Als der Stephansdom zwei Tage lang in Flammen stand

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In der Nacht vom 11. auf den 12. April 1945 fing das gotische Wahrzeichen Wiens Feuer. Granateinschläge im Dach, ein starker Luftzug und Plünderer wurden dem Bauwerk zum Verhängnis.

„Ich bin dort gestanden, wie der Dom in seiner ganzen Größe brannte. Das Krachen der Dachziegel durch Zerspringen in der Hitze, der Einsturz des Glockenturms, die verzweifelt hin und her laufenden Pfarrherren, die noch versuchten, mit Löschkübeln die brennenden Betstühle zu löschen, die durch Glutnester in Brand geraten waren, und die dann schließlich auch den Versuch aufgeben mussten, es war ein furchtbares, ein unvergessliches Bild.“ Es war in der Nacht vom 11 auf den 12. April 1945, als sich im Herzen Wiens zutrug, was der damalige Feuerwehrmann Viktor Hautz später zu schildern versuchte: Der Stephansdom stand in Flammen.  

Aus dem gotischen Wahrzeichen stieg dunkler Rauch auf, unterlegt vom Krachen von zerberstendem Glas, von brechendem Holz und dem Zerschellen der schwersten Glocke Österreichs, der Pummerin. Zwei Tage lang loderten die Flammen, bis „Brand aus“ gemeldet werden konnte und die jahrelangen Wiederaufbauarbeiten ihren Anfang nahmen, an denen sich das ganze Land beteiligte. Doch wie konnte es dazu kommen?

Vor 74 Jahren befand sich Wien im „Endkampf“: In den Straßen und entlang des Donaukanals fanden Gefechte statt. Die deutschen Truppen zogen sich zurück, sowjetische Panzer rollten ins Stadtinnere, Granatwerfer positionierten sich am Heldenplatz, die Artillerie vor dem Schloss Belvedere. Häuser standen in Brand – teils aufgrund von eingeschlagenen Bomben, teils aufgrund von Plünderern, die ihre Taten mit Glut und Asche verschwinden machen wollten. Beim Stephansdom kamen beide Umstände zusammen.

In der Nacht auf den 12. April 1945 wurde ein Teil des Stephansdomes ein Raub der Flammen
In der Nacht auf den 12. April 1945 wurde ein Teil des Stephansdomes ein Raub der Flammen(c) Hilscher, Albert / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com (Hilscher, Albert)

"Durch die Löcher entsteht ein starker Luftzug"

Am 12. März 1945 flogen die Amerikaner einen ihrer schwersten Angriffe auf Wien. Unweit des Bauwerks – seit 1365 Domkirche, seit 1469/1479 Kathedrale und seit 1723 Metropolitankirche des Erzbischofs von Wien – gingen drei Bomben nieder: Eine schlug im Erzbischöflichen Palais ein, eine zweite sechs Meter weiter östlich vom Nordturm, die dritte traf die Nordweststrecke der oberen Sakristei. Optisch bedeutete das vergleichsweise glimpfliche Schäden für den Dom, praktisch wurde allerdings ein Teil seiner Wasserversorgung unterbrochen.

Ab dem 8. April mehrten sich die Brandherde in Domnähe: Das Singerhaus, das Gebäude, welches das Café de l’Europa beherbergte, die Feldapotheke und das Thonethaus brannten – und entließen Funken in den Himmel. Funken, die in der Nacht auf den 12. April das Gerüst des Nordturmes treffen sollten: „Dem Dom werden nun die Granateinschläge im Dach zum Verhängnis, denn durch diese Löcher entsteht starker Luftzug. Der Luftzug saugt den Funkenflug von den Häusern an“, wie Hugo Portisch in „Österreich II. Die Wiedergeburt unseres Staates“ festhält. Zur mangelhaften Wasserversorgung mengte sich eine zweite, tragische Komponente: Das Dachgestühl des Doms bestand durchwegs aus Lärchenholz: 500 Jahre alt und äußert leicht entflammbar.

Und eine dritte: Die SS hatte die Feuerwehr auf das linke Donauufer abgezogen, im Stadtinneren waren Löschfahrzeuge folglich Mangelware. Als die Meldung des Brandes in der Feuerwehrzentrale Am Hof eintraf, war dort auch Feuerwehrmann Hautz zugegen. Gemeinsam mit seinen Kollegen griff er sich einen der noch übrigen Handwagen und Schläuche, im Laufschritt machten sie sich zum Dom auf. Hautz rannte gleich ins Innere weiter, wo Frauen und Männer (unter ihnen auch Domkurat Lothar Kodeischka, damals Sakristeidirektor von St. Stephan) versuchten, mit Wasserkübeln Glutnester zu löschen.  

Die Pummerin, in der Tiefe zerschellt

Doch das Feuer war zu schnell: Der Glockenstuhl begann zu brennen, die zweitgrößte Glocke des Doms, die zehn Tonnen schwere „Halbpummerin" im Nordturm, fiel in das linke Querhaus, wo das aus dem Mittelalter stammende „Wimpassinger Kreuz“ ein Raub der Flammen wurde.

Am Vormittag des 12. April fraß sich das Feuer durch das Dach zwischen den beiden Domtürmen, Glut fiel in die Tiefe, traf die Orgel, aus deren Pfeifen die Flammen wieder in die Höhe schnellten. Wenige Stunden darauf, hatte der Brand das Glockenhaus der Pummerin (mit 20.000 Kilogramm schwerste Glocke Österreichs) erreicht – die gegen 14.30 Uhr in die Tiefe fiel und zerbarst. Erst 1951 sollte sie, zum Teil aus dem alten Material, wieder neu entstehen.

Kurz nach Mittag der nächste Schlag: Der Dachreiter über dem Hochaltar des Stephansdoms sank ein. Stück um Stück fielen Teile des riesigen Gebildes zusammen, bis letztlich das ganze Dach in sich zusammensackte. „Die Schuttmassen begruben das – bereits brennende – prachtvolle gotische Chorgestühl, das dann wie in einem Holzkohlenmeiler völlig verbrannte“, wie Dombaumeister Kurt Stögerer später in einem Vortrag schildern sollte.

Bis zum Abend war das Feuer nicht vollends unter Kontrolle zu bringen, dennoch verhängten die Sowjets eine Ausgangssperre, alle Löschhelfer mussten den Dom verlassen. Ein Fehler. Am Morgen des 13. April, um 4.15 Uhr, folgte, in den Worten von Kodeischka, „völlig unerwartet die Katastrophe“. Das Gewölbe stürzte ein und bedeckte den Kirchenraum. Der Domkurat und eine Helferin konnten sich gerade retten: „Wir wurden von einer dichten, undurchdringlichen Staubwolke eingehüllt, sodass in der gähnenden Finsternis jede Orientierung unmöglich war. Ich selbst verlor einige Augenblicke das Bewusstsein", schilderte Kodeischka. „Ich weiß wieder nur, wie wir vor dem Lettnerkreuz standen und den ganzen Gräuel der Verwüstung sahen (…) Alles brannte lichterloh, wir wussten, jeder weitere Versuch einer Hilfe war völlig aussichts- und zwecklos.“

Neunfacher Hilfsakt

Stunden später sollte der Kraftakt doch noch gelingen: „Brand aus“ wurde gerufen und noch im selben Jahr mit dem Wiederaufbau des Stephansdoms begonnen. Aktionen wie die „Dachziegelaktion“ (ein Dachziegel für 5 Schilling) oder die Dombaulotterie trugen zum raschen Fortschreiten der Arbeiten bei. Schon in den Jahren 1945 bis 1948 wurde der hintere Teil des Doms als Kirche verwendet, während der Chor wiederhergestellt und 1952 feierlich eröffnet wurde. Zugleich wurde die neue Pummerin – ein Geschenk Oberösterreichs – nach Wien gebracht.

Auch die übrigen Bundesländer spendeten für das Wahrzeichen, woran noch heute eine Gedenktafel im Inneren des Gotteshauses erinnert, auf der es heißt: „Die dich in dieses Gotteshaus ruft, die Glocke, spendete das Land Oberösterreich, das dir den Dom erschließt, das Tor, das Land Steiermark, der deinen Schritt trägt, den Steinboden, das Land Niederösterreich, in der du betend kniest, die Bank, das Land Vorarlberg, durch die das Himmelslicht quillt, die Fenster, das Land Tirol, die in friedlicher Helle erstrahlen, die Kronleuchter, das Land Kärnten, an der du den Leib des Herrn empfängst, die Kommunionbank, das Burgenland, vor dem die Seele sich in Andacht neigt, das Tabernakel, das Land Salzburg, das die heiligste Stätte des Landes behüte, das Dach, spendete im Verein mit vielen hilfreichen Händen die Stadt Wien.“ 

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