"Im Gefängnis sehen Sie das Menschenherz"

´Gefühle bringen Chaos´: Claire Denis.
´Gefühle bringen Chaos´: Claire Denis.
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Die französische Regisseurin Claire Denis über ihren Film "High Life".

„Hig Life“ ist Ihr erster Science Fiction-Film -  warum haben Sie sich diesem Genre zugewandt?

Ich glaube, die Science Fiction, das bin gar nicht ich, darum ging es mir nicht in diesem Film. Das 20. Jahrhundert war ein Jahrhundert der Entdeckungen, da wurde die Science Ficion zu einem Werkzeug, um über Gott, über das Leben, soziale Unterschiede, kurz, über das Leben auf der Erde zu sprechen. Und das Imaginäre der Science Fiction durchtränkt heute all unsere kollektiven Vorstellungen.

Warum wollten Sie über die zum Tod Verurteilten und ihre Leidenschaften sprechen?

Einmal habe ich gelesen, dass in einem großen Gefängnis in Texas die Leute rundherum fanden, dass die Haft den Staat zu viel kostet, vor allem der Todestrakt. Die arbeiten ja dort nicht und bleiben oft jahrelang in diesem Trakt. Menschen, die zum Tod verurteilt waren, sollten also trotzdem zu etwas nütze sein, dachten Menschen rundum. Das hat mich nachdenklich gemacht. Ich dachte, ja, sie könnten eigentlich auch als Versuchskaninchen dienen, um zum Beispiel neue Impfungen zu testen. Und so, allmählich, kam ich zu dieser Filmidee.

Entscheidend im Film ist die Beziehung eines der Häftlinge zum Baby, das im Raumschiff geboren wird, er übernimmt Verantwortung dafür ...

Ja, der Mann wusste nicht, dass das passieren wird. Er kann jetzt nicht mehr sterben, jetzt, wo er die Verantwortung für das Baby hat. Er ist Gefangener einer Sache, die er nicht wollte, und allmählich gelangt er auf diesem Weg zur Liebe.

War es entscheidend für Sie, dass es ein Mann ist und nicht eine Frau?

In gewisser Weise schon. In der Menschenwelt braucht es, um sich fortzupflanzen, das Männliche und das Weibliche. Die beiden, der Mann und das kleine Mädchen, könnten später zusammen eine neue Welt gründen. Das geht nicht mit zwei Männern oder zwei Frauen. Die Liebe ja, die Fortpflanzung nein.

Wie war es, mit dem Baby zu arbeiten?

Wundervoll. Das Mädchen hat seine ersten Schritte während der Dreharbeiten gemacht, es sind ihre ersten Schritte, die man hier sieht.

Es geht im Film um biotechnologische Experimente, wo sind, finden Sie, die Grenzen?

Was glauben Sie? Das muss jeder für sich entscheiden. Und wenn Sie dagegen sind und ein Kind haben, das eine schwere Krankheit hat, werden Sie sehen, dass Ihre Weigerung nicht andauert - weil Ihr Kind das einfach braucht, um zu leben.

Der Film ist sehr sexuell, das ist für Science-Fiction-Filme eher ungewöhnlich. Warum war Ihnen das wichtig?

Man sagt immer, wenn Männer in einem U-Boot sind, sollen sie sich nicht berühren, weil sie einander sexuell anziehen könnten. In solchen Situationen ist die Angst vor Berührung, vor Beziehung sehr groß. Warum? Weil man Angst hat, dass die Gefühle Chaos mit sich bringen. Das hat mich interessiert.

Für die Ärztin ist das Raumschiff wie ein Laboratorium - man hat das Gefühl, dass auch der Film diesen Blick ein wenig übernimmt. War das Absicht?

Vielleicht. Aber ich habe die Menschen nicht wie Zellen, sondern schon wie Menschen angesehen. Ich finde sie alle schön und menschlich. Sie bleiben auch alle sehr menschlich, sie haben nur menschliche Reaktionen. Wenn Sie in einem Spital, einem Gefängnis, einem U-Boot sind, sehen Sie das Herz des Menschen, da sehen Sie im Grunde nur noch das.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2019)

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