Mittelamerikanischer Staat könnte Hälfte seines Gebietes verlieren

Belize City
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Belize und Guatemala bringen einen jahrhundertealten Konflikt vor den Internationalen Gerichtshof, der mehrfach fast zu Krieg zwischen Guatemala und Belizes Ex-Kolonialmacht Großbritannien führte. Für das englischsprachige Belize steht freilich extrem viel auf dem Spiel.

Die mittelamerikanischen Staaten Guatemala und Belize haben den Internationalen Gerichtshof IGH in Den Haag angerufen, um einen Gebietsstreit zu klären, der seit mindestens rund 200 Jahren währt. Das gab der IGH am Mittwoch bekannt. Man sei von beiden Regierungen gemeinsam um Intervention gebeten worden, hieß es. Dem Ansuchen waren jeweils Volksabstimmungen vorangegangen.

Bis zu einer Entscheidung durch das Hauptjustizorgan der UNO dürften einige Jahren vergehen. Allerdings hatten Guatemala und Belize vereinbart, sich dem Urteil jedenfalls zu beugen - was für Belize folgenschwer sein könnte: Das kleine Land (hier ein Link zu Google Maps), mit rund 23.000 km2 Fläche etwa so groß wie Niederösterreich und das Burgenland zusammen, könnte nämlich schlimmstenfalls etwa die Hälfte seines Territoriums - nach jüngsten Angaben geht es um mindestens 11.000 bis etwa 12.000 km2 - an das viel größere Guatemala (ca. 109.000 Quadratkilometer) verlieren.

Sollte das Urteil zu Gebietsänderungen führen, würden diese durch eine binationale Grenzziehungskommission umgesetzt, die innerhalb von drei Monaten nach Rechtskraft des Spruchs gebildet werden soll.

DO56/CC BY-SA 3.0

Belize (aktuell um die 390.000 Einwohner; Guatemala: rund 17 Millionen), früher als British Honduras bekannt, wurde 1981 von Großbritannien unabhängig und ist das einzige Land Mittelamerikas mit Englisch als Amtssprache sowie vorherrschender Umgangssprache (rund 60 Prozent der Bewohner). Die ursprünglich von Mayas besiedelte tropische Region an der karibischen Küste gehörte zum Spanischen Kolonialreich in Amerika, ab 1568 als Teil des Generalkapitanats Guatemala (Capitanía General de Guatemala), das auch die heutigen Staaten Guatemala, Honduras, El Salvador, Nicaragua und Costa Rica sowie Teile Mexikos einschloss. Allerdings konnten die Spanier im Gebiet von Belize nie eine längerfristige effektive Herrschaft aufrechterhalten.

Land der Piraten

Seit dem 17. Jahrhundert ließen sich Piraten sowie Siedler, vor allem von den britischen Inseln, an der Küste Belizes nieder (ähnliches geschah an den Karibikküsten Nicaraguas und stellenweise in Honduras). Sie widmeten sich mit der Zeit vor allem der Forst- und Plantagenwirtschaft, importierten afrikanische Sklaven und brachten das Land, wenngleich formal weiter Spanisch, unter ihre faktische Kontrolle. Ein militärischer Versuch Spaniens, die Lage in Belize für sich zu klären, scheiterte im September 1798 in einem einwöchigen Gefecht zur See und auf vorgelagerten Inseln trotz mehrfacher Überlegenheit.

Als das Generalkapitanat Guatemala 1821 im Laufe der Unabhängigkeitskriege gegen Spanien zerfiel, blieb der Status von Belize unklar. Der neue Staat Guatemala und zeitweise auch Mexiko forderten das Gebiet für sich, doch festigte Großbritannien dort im Lauf der Zeit seine Macht und richtete 1862 die Kronkolonie British Honduras ein.

Der Grenzvertrag von 1859

Zuvor hatte es 1859 einen Grenzvertrag mit Guatemala gegeben. Dieser sah unter anderem den Bau einer Straße zwischen der Hauptstadt Guatemalas (Ciudad de Guatemala) und dem Küstenort Punta Gorda im Süden von Belize vor. Diese Straße aber kam nicht zustande, etwa wegen der Kosten, und spätere Angebote Londons, eine Straße oder Eisenbahn wenigstens teilweise zu finanzieren, lehnte Guatemala noch in den 1940er-Jahren ab. Letztlich entstand daraus das guatemaltekische Rechtsargument, wonach der Vertrag von 1859 in seiner Gesamtheit nichtig sei, während die Briten und Belizer nur eine teilweise Nichterfüllung konstatieren, die für den Bestand des Gesamtvertrages, letztlich die Ziehung der Grenze, unwesentlich sei.

Gerichtsgebäude von Belize City, 1911
Gerichtsgebäude von Belize City, 1911Cambridge University Library

1945 nahm Guatemala einen Artikel in die Verfassung auf, wonach British Honduras der 23. Bezirk des Landes sei. Als es 1948 zu Invasionsdrohungen kam, wurden britische Truppen in Stärke von zwei Kompanien Infanterie nach Belize verlegt und danach eine permanente Militärpräsenz eingerichtet. Ähnliche Drohgesten der meist von Militärs gestellten oder von der Armee zumindest gestützten Regierungen Guatemalas folgten, einschließlich eines Grenzgefechts im Jänner 1958 zwischen Briten und pro-guatemaltekischen belizischen Milizionären.

Gründung einer neuen Hauptstadt im Dschungel

1970 wurde mit Belmopan eine neue Hauptstadt im Landesinneren von Belize gründet, nachdem die alte Hauptstadt Belize City 1961 von einem Hurrikan zerstört worden war. Letztere hat sich allerdings wieder erfangen und ist weiterhin mit rund 63.000 Einwohnern das eigentliche Zentrum des Landes, während Belmopan (um die 21.000 Bewohner) eher ein künstlicher Ort im Stil einer ländlichen Streusiedlung im Abseits blieb.

Studentbz/CC BY-SA 3.0
Denis Barthel/CC BY-SA 4.0

Eine angeblich drohende Invasion aus Guatemala unterblieb 1972, nachdem die Royal Navy einen Flugzeugträger und rund 8000 Mann inklusive der Marines und Army zu Übungen nach British Honduras entsandt hatte, das 1973 in Belize umbenannt wurde. Dennoch gab es auch in den Folgejahren weiter ähnliche Situationen, was unter anderem die Stationierung britischer Kampfflugzeuge in Belize zur Folge hatte.

Royal Navy

Guatemalas territoriale Forderungen wurden lange von vielen Staaten Lateinamerikas unterstützt, was sich allerdings spätestens Mitte der 1970er änderte, als die Reputation des Landes beschädigt (Bürgerkrieg, Diktaturen) und es als chronisch instabil eingeschätzt worden war. Kuba befürwortete 1975 ein unabhängiges Belize; Mexiko und Panama 1976, Nicaragua 1979. Als Belize 1981 unabhängig wurde, nahm die UN-Generalversammlung das kleine Land mit 144 zu einer Stimme - jener Guatemalas - als neuen Staat auf.

Britische Truppen blieben bis Mitte der 1990er in Belize, wo auch eine kleine Streitmacht gegründet wurde. Es finden aber immer noch Ausbildungen für britische Soldaten speziell der Royal Marines und von Spezialeinheiten statt, primär in Dschungelkriegsführung.

Reduzierter Anspruch Guatemalas

1991 erkannte Guatemala Belize diplomatisch an, erhob allerdings 2001 auf diplomatischer Ebene neuerlich einen - wenngleich deutlich reduzierten - Gebietsanspruch, und zwar auf die Region zwischen dem Sibun River und Sarstoon River. Diese habe einst zu einem Bezirk Guatemalas gehört, der nicht vom Grenzvertrag von 1859 betroffen gewesen sei. Die Karte unten ist schon etwas älter, zeigt aber den Kern des Problems ganz gut.

Belize.com

2008 schlossen Belize und Guatemala nach Vermittlung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ein Abkommen, wonach der Streit vor den IGH gebracht werden sollte, sofern das Volk beider Länder sich dafür ausspricht. Das Referendum in Guatemala fand nach viel hin und her im April 2018 statt: Bei einer Beteiligung von nur 25 Prozent der Wahlberechtigten stimmten 95 Prozent für die Anrufung des IGH.

In Belize wurde diesen Mai abgestimmt. Dort hat man durch die Einschaltung des Weltgerichts im besten Falle gar nichts zu verlieren und nichts zu gewinnen - aber schlimmstenfalls sehr viel zu verlieren, nämlich das halbe Land. Und so betrug die Stimmbeteiligung rund 65 Prozent bei einer Mehrheit für die IGH-Anrufung von nur (oder doch) 55 Prozent.

Ein kleines Land pokert hoch

Das kleine Land und seine Leute pokern insgesamt sehr hoch, und sollte das Urteil des IGH tatsächlich eine starke Reduktion von Belize bedeuten, würde das wohl überregionale Auswirkungen haben, etwa hinsichtlich der USA und Mexikos, aber auch Großbritanniens, denn Belize gehört wie 15 andere Staaten, etwa Australien, Kanada und Barbados, zum Commonwealth Realm (Commonwealth Königreich) und hat die britische Krone bzw. aktuell Queen Elizabeth als Staatsoberhaupt.

Allerdings gibt es seit langem Gutachten von Völkerrechtlern, die einen Anspruch Guatemalas komplett verneinen, siehe hier.

Teil der Tempelanlage von Xunantunich
Teil der Tempelanlage von XunantunichIan Mackenzie/CC BY 2.0

Belize lag im UN-Entwicklungsindex (aktuell von 2017) auf Rang 106 von 189 Staaten, Guatemala auf Platz 127. Belize ist wirtschaftlich etwas besser entwickelt und wohlhabender, vor allem aber nicht so extrem von Gewalt geplagt wie der große Nachbar, und politisch durchwegs stabil. Wichtige Wirtschaftszweige sind Holzgewinnung (vor allem Edelhölzer), Fischerei, Textilindustrie und Tourismus. Es gibt alte Ruinenstädte der Mayas und berühmte Tauchziele, etwa das Great Blue Hole. Touristen kommen vor allem aus Nordamerika und Großbritannien.

Das Blue Hole vor Belize
Das Blue Hole vor BelizeBelize Tourist Board/bedrock.nl

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