Marokko: Reform stoppt Revolutionäre nicht

(c) EPA (Karim Selmaoui)
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König Mohammed VI. versucht, sein Volk mit einer neuen Verfassung zu besänftigen. Die Opposition gibt sich damit nicht zufrieden und kündigt weitere Proteste an. Westliche Regierungen loben die neue Verfassung.

Rabat/Madrid. Damit am heutigen Freitag bei der Volksabstimmung über die neue Verfassung nichts schiefgeht, ließ Marokkos König Mohammed VI. (47) über die staatlich kontrollierten Moscheen verbreiten, was die Untertanen zu tun haben: Die Ja-Stimme sei „nationale und religiöse Pflicht“, predigten die Imame im ganz Land. Die Vorbeter lobten die „Vorteile“ der neuen Verfassung, in der die Rolle von Mohammed VI. als „Befehlshaber der Gläubigen“, also als oberste Religionsinstanz der marokkanischen Muslime, weiter verankert sein wird.

Angesichts dieses religiösen Drucks in einem Land, in dem der Islam Staatsreligion ist, gilt die Zustimmung zur neuen Verfassung als sicher. Der König, der vor zwölf Jahren die Krone von seinem Vater Hassan II. geerbt hatte, hat schon in der Vergangenheit immer wieder die im Religionsministerium geschriebenen Predigten benutzt, um sein Volk auf Linie zu bringen.

Religionsmacht wichtig

Die Macht über die Moscheen ist für Mohammed ein wichtiges Instrument. Knapp die Hälfte der etwa 32 Millionen Bewohner Marokkos kann weder lesen noch schreiben.

Parallel pries der staatliche Propaganda-Apparat auf allen Kanälen Marokkos Verfassungsreform, die verspricht, aus dem bisher ziemlich autoritär regierten Königreich eine „demokratische Monarchie“ zu machen. Das Grundgesetz zementiere die „Gewaltenteilung“ und das „Gleichgewicht“ der gesellschaftlichen Kräfte. Alle großen, im zahnlosen Parlament vertretenen Parteien klatschen brav Beifall.

Westliche Regierungen loben die neue Verfassung als „wichtigen Schritt“. Und zwar vor allem aus einem Grund: Europa hofft inständig, dass Marokko von revolutionären Unruhen, wie sie die nordafrikanischen Nachbarländer Tunesien, Libyen und Ägypten erschütterten und noch immer erschüttern, verschont bleibt. Ob sich diese Hoffnungen erfüllen, bleibt abzuwarten: Denn jene junge Protestbewegung, die den autoritären Monarchen mit ihren monatelangen Rufen nach mehr Freiheit und Demokratie aufschreckte und ihn überhaupt erst zum Handeln trieb, ist tief enttäuscht, wettert gegen die „Pseudo-Reform“, die „nicht demokratisch“ sei.

Es sieht also kaum danach aus, als ob es König Mohammed VI. gelingen wird, den zehntausenden Demonstranten auf den Straßen Marokkos mit der Reform den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Proteste dauern an

Die Opposition auf der Straße gründete gerade eine neue „Koalition für eine parlamentarische Monarchie“, will sich nicht mit „Kosmetik“ abspeisen lassen und verkündet: „Wir protestieren weiter.“ Für „wahre Demokratie“, Meinungsfreiheit und gegen die weit verbreitete Korruption, die bis zum Königshof reicht. Der König beherrsche auch künftig alle Institutionen, sagen die Wortführer der Protestbewegung „20. Februar“, die nach jenem Tag benannt ist, an dem die Proteste in vielen Städten Marokkos explodierten. Und auch Mohamed Madani, Verfassungsrechtler an der Universität in der Hauptstadt Rabat, sieht „keine wirklichen Reformen“.

König behält letztes Wort

Es gebe „wenig Neuerungen“, pflichtet Mehdi Lahlou von der kleinen linken Oppositionspartei PSU bei. Das neue Grundgesetz war von einer handverlesenen königlichen Kommission ausgearbeitet worden. Künftig bekommen der Ministerpräsident und das Parlament, die bisher ein blasses Dasein im Schatten des königlichen Hofes führten, zwar ein paar neue Befugnisse, aber keine eindeutige Entscheidungsmacht. Der König behält in allen wichtigen Angelegenheiten das letzte Wort. Er ist Chef des Ministerrates, des Militär- und Sicherheitsapparates, Vorsitzender des Obersten Justizrates und Religionsführer.

Marokko gilt als das ärmste Land Nordafrikas, in dem die Not der sehr jungen Bevölkerung noch größer ist als etwa in Tunesien oder Libyen. Jeder fünfte Marokkaner hat laut Angaben der Weltbank weniger als einen Dollar täglich zur Verfügung, die Jugendarbeitslosigkeit ist sehr hoch, Hunderttausende leben in Slums.

Zwei Drittel der Marokkaner sind unter 30 Jahre alt. Und die meisten von ihnen würden Umfragen zufolge am liebsten nach Europa auswandern.

Auf einen Blick

Marokkos König Mohammed VI. will mit der neuen Verfassung verhindern, dass sein Land ähnlich wie Ägypten oder Tunesien in den Sog der Umstürze gerät. Mit der Reform wird es zwar eine Reihe von Änderungen geben, der König bleibt aber der wichtigste Machtfaktor. Die Abstimmung zur neuen Verfassung findet am heutigen Freitag statt. Die Revolutionäre sind dagegen und kündigten weitere Demonstrationen an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2011)

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