Christiane Spiel: „Wir haben keine Kultur, die Leistung hoch schätzt“

Christiane Spiel
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Die Wiener Bildungspsychologin Christiane Spiel erforscht wesentliche Grundlagen für eine bessere Gestaltung unseres Bildungssystems.

Christiane Spiel beschäftigt sich mit einem hochaktuellen Thema: der Bildung. Sie gilt als die Begründerin der Bildungspsychologie
– diese Disziplin ist eine wesentliche Grundlage für zeitgemäße Bildungssysteme.  Wenn sie mit ihren Forschungsergebnissen an die Öffentlichkeit tritt, löst das regelmäßig heftige Debatten aus. Spiel hat Mathematik, Geschichte und Psychologie studiert und ist seit zehn Jahren Professorin an der Uni Wien.

Christiane Spiel kennt den Gegenstand ihrer Forschung genau: Die Wiener Bildungspsychologin war am Beginn ihrer Berufslaufbahn selbst Lehrerin, sie unterrichtete an einer AHS Mathematik und Geschichte. Doch gleichzeitig interessierte sie sich schon bald für Psychologie; sie studierte dieses Fach auch während ihrer Karenzzeit – und wurde von ihrem Professor eingeladen, Universitätsassistentin zu werden.

Gefestigt hat sich ihr Entschluss, sich als „Spätberufene“ ganz der Forschung zu verschreiben, als ihr Ehemann einen Ruf nach Berlin bekam: Sie bewarb sich beim Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. „Das war eine ganz tolle Zeit“, erinnert sich Spiel. Zurück in Wien habilitierte sie sich, und nach einer Gastprofessur in Graz bekam sie im Jahr 2000 an der Uni Wien die Chance, einen neuen Lehrstuhl aufzubauen: für Bildungspsychologie und Evaluation. Bildungspsychologie gab es damals weltweit noch nirgendwo.

Dieses Fachgebiet befasst sich mit Bildungsprozessen aus einer psychologischen Perspektive. Wie lernen Menschen? Wann macht Lernen Freude? Wie vermittelt man Wissen? Die Erkenntnisse daraus liefern auch wesentliche Informationen für die Gestaltung von Bildungssystemen – ein Thema, das in Österreich derzeit die Wogen hochgehen lässt. Stichwort: PISA-Test.

Lehrerausbildung ist zentral

In den letzten zehn Jahren hat Spiels Arbeitsgruppe (derzeit zirka 18Mitarbeiter) eine Reihe von Studien in Schulen durchgeführt. „Wir wissen, dass Schüler und Schülerinnen mit hoher Lernmotivation und großem Selbstvertrauen bessere Leistungen erzielen.“ Doch wie erreicht man diese? „Motivation ist nicht statisch, sondern ein Prozess“, erklärt Spiel. Es gilt, genau hinzuschauen, welche Voraussetzungen die Schülerinnen und Schüler mitbringen: welches Vorwissen sie haben, was sie interessiert, wie wichtig sie bestimmte Dinge nehmen. Dementsprechend sollten die Lehrmethoden und -inhalte ausgerichtet werden. Und: Die Schülerinnen und Schüler sollten ein Feedback für ihre Leistungen bekommen, damit das so wichtige Selbstvertrauen entstehen kann und sie ihr Lernen optimieren können.

„Wir wissen zwar sehr viel, aber es ist sehr schwierig, dieses Wissen dorthin zu bringen, wo es gebraucht wird“, erläutert Spiel. Was freilich nicht nur im Bildungsbereich ein Problem ist, sondern in vielen Sozialwissenschaften. Daher verfolgt sie in ihrer Arbeit einen doppelten Ansatz: Ihre Studien müssen zum einen hohen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, damit sie in Topzeitschriften veröffentlicht werden können. Zum anderen aber sollen sie gleichzeitig Pilotprojekte zur Unterstützung der Bildungspraxis sein. So wurden in den vergangenen Jahren viele Projekte gemeinsam mit Lehrpersonen durchgeführt, etwa zur Förderung von lebenslangem Lernen oder zur Gewaltprävention in Schulen.

Woran krankt es in Spiels Augen in Österreichs Bildungssystem? „Wir sind nach wie vor zu ideologielastig. Und wir haben in Österreich keine Kultur, die Leistung hoch schätzt“, lautet ihre Diagnose. Vielmehr sei es „cool“, schlechte Noten zu haben. Ihre Optimierungsvorschläge setzen an drei Punkten an: Lehrerausbildung, Autonomie der Schule und Bildungsstandards. All das, insbesondere die Entwicklung von Standards, sollte unter starker Einbindung der Lehrerschaft geschehen.

Von der Politik fühlt sich Spiel „ein bisschen gehört“. Sie sei optimistisch, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Bildungspolitik einfließen. Doch zugleich ist sie realistisch: „Ich weiß, dass die Politik eine andere Logik hat als die Wissenschaft.“

AUF EINEN BLICK

Christiane Spiel war AHS-Lehrerin, wendete sich aber bald der psychologischen Forschung zu. Nach einigen Jahren in Berlin und Graz wurde sie im Jahr 2000 an die Universität Wien berufen, wo sie das Fach Bildungspsychologie begründete.


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