Wolfgang Maass: Wo das Gehirn jedem Computer überlegen ist

Wolfgang Maass
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Forschung: Der Grazer Informatiker Wolfgang Maass will ergründen, wie das Gehirn mit unzuverlässigen Bauteilen sehr robuste Ergebnisse produziert. Die Modelle, die er entwickelt, sind für viele Bereiche interessant.

Wenn man Wolfgang Maass fragt, worin sich unser Gehirn von einem Computer unterscheide, dann kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus: Im Gehirn gebe es keine zentrale Instanz, die die Abläufe koordiniert. Es gebe keinen speziellen Ort, wo Informationen gespeichert werden. Zudem verändere sich das Gehirn ständig. Und es arbeite ungemein effizient: Der Cortex enthält annähern so viele Nervenzellen, wie ein Supercomputer Transistoren hat, dafür reicht aber ein Platz „so groß wie eine Pizza“ aus – bei einem Energieverbrauch von 50 Watt.
Wohingegen ein Supercomputer mehrere Räume füllt und so viel Strom wie eine ganze Siedlung verbraucht. „Das Gehirn ist eine geniale Lösung der Natur“, sagt der Informatiker, der an der TU Graz forscht.

Maass will herausfinden, wie das alles funktioniert. In Kooperation mit experimentellen Hirnforschern entwickelt er Modelle, die die Abläufe im Gehirn beschreiben. In den nächsten Jahren wird er die Gelegenheit haben, die bisherigen Erkenntnisse anzuwenden: Er leitet eine zentrale Arbeitsgruppe in dem europäischen Forschungsvorhaben „Human Brain Project“, in das in den nächsten zehn Jahren bis zu eine Milliarde Euro investiert werden soll.

Aufmerksam auf dieses Forschungsgebiet wurde Maass bei Forschungsaufenthalten in den USA, wo er auf die wundersamen Eigenschaften von neuronalen Netzwerken stieß. Nach einer Berufung nach Chicago schien seine Karriere in den USA programmiert. „Ich habe nicht mehr damit gerechnet, noch einmal nach Europa zurückzukehren.“

Doch dann lud ihn der österreichische Informatikpionier Hermann Maurer nach Graz ein. Wegen der gebotenen guten Rahmenbedingungen – „und weil ich die Leute und die Berge sehr gern mag“ – ergriff er die Chance, etwas Neues aufzubauen.

„Grundlegende Fragen offen“

„Als Wissenschaftler ist das einer der seltenen Fälle, wenn man auf ein Forschungsgebiet stößt, in dem noch grundlegende Fragen offen sind“, erzählt Maass. Nachsatz: „Wir stehen dabei noch ganz am Anfang.“ Doch Stück für Stück werden die Geheimnisse gelüftet. „Wir haben erkannt, dass gerade die Aspekte, die man früher für Defekte gehalten hat, weil sie nicht in die bisherigen Theorien gepasst haben, Schlüssel zum Verständnis liefern.“ Etwa die Heterogenität von Neuronen und Synapsen in einem Schaltkreis oder die merkwürdige Unzuverlässigkeit von Neuronen.

Die Heterogenität bildet die Basis für das „Liquid Computing Model“, das mittlerweile ein Standardmodell in der Hirnforschung geworden ist – die Arbeit Maass' wurde mehr als 1000-mal zitiert. „Wir haben gezeigt, dass die Unzuverlässigkeit von Neuronen den Schaltkreisen ermöglicht, verschiedene mögliche Lösungen für Probleme auszuprobieren.“

Solche Ergebnisse sind für andere Wissenschaftszweige sehr interessant. Computerhersteller sind begierig darauf, manche der überlegenen Eigenschaften des Gehirns auf Computer übertragen zu können, um sie schneller, sparsamer oder zuverlässiger zu machen.

Suche nach den Ursachen

Auch für die Medizin liefert die Neuroinformatik Anstöße. „Die Medizin versteht zu wenig, wie das Gehirn als System funktioniert“, sagt Maass. „Man kennt in den seltensten Fällen die wirklichen Ursachen für neurodegenerative Krankheiten, sondern nur Aspekte, auf die man zufällig gestoßen ist.“

Sein großes wissenschaftliches Ziel ist es, Methoden zu entwickeln, mit denen Theorien über Geist und Gehirn falsifiziert werden können. „Wir haben in den vergangenen 100 Jahren so viele Theorien angehäuft, aber kaum eine wegen Untauglichkeit wieder ausgeschieden.“

Auf einen Blick

Wolfgang Maass studierte in München Mathematik, ging danach in die USA (MIT, Chicago, Berkeley) und wurde 1982 an die University of Illinois at Chicago berufen. 1991 wechselte er an die TU Graz. Er leitet einen Teil des riesigen EU-Projekts „Human Brain Project“. Eben wurde er in die renommierte Academia Europea gewählt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2013)


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