Gertrude Bogyi: "Die Krise bewältigen, nicht vor ihr fliehen"

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Gertrude Bogyi ist Gründerin und psychotherapeutische Leiterin der Boje, eines Ambulatoriums für Kinder und Jugendliche in Krisensituationen. Zumeist wenden sich Patienten wegen Todesfällen in der Familie an den Verein.

Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“, meinte Ingeborg Bachmann bei einer Dankesrede im Jahr 1959 in Bonn. „Dieser Satz ist ein Lebensmotto von mir, wobei ich dazu gern betone, dass das nicht nur für Erwachsene gilt, sondern auch für Kinder“, sagt Gertrude Bogyi. Die 63-jährige Wienerin ist Gründerin und psychotherapeutische Leiterin der Boje, eines Ambulatoriums für Kinder und Jugendliche in Krisensituationen nach traumatisierenden Ereignissen (Tod oder Krankheit einer nahestehenden Person, Scheidung der Eltern, Mobbing in der Schule, Flucht aus der Heimat etc.). Die Psychologin und Psychotherapeutin ist bei der diesjährigen Wahl der Österreicher des Jahres in der Kategorie Humanitäres Engagement nominiert.
Ins Leben gerufen wurde die Boje vor zwölf Jahren, zu den konkreten Tätigkeitsgebieten gehören Kriseninterventionen, kinder- und jugendpsychiatrische Behandlungen, Kurz- und Langzeittherapien sowie Seminare, Vorträge und Workshops. „Die Bemühungen, ein niederschwelliges therapeutisches Angebot für Kinder und Jugendliche sowie ihre Bezugspersonen zu schaffen, begannen schon 1998, als sich eine kleine Gruppe von Psychotherapeuten Gedanken darüber machte, diese Idee im Sinne Alfred Adlers, des Begründers der Individualpsychologie, zu realisieren“, erzählt Bogyi. „Adler hatte ja in der Zwischenkriegszeit ein großes Netz an Beratungsstellen in Wien aufgebaut.“ Nach jahrelangen Vorbereitungen und Verhandlungen mit der Wiener Gebietskrankenkasse wurde die Boje schließlich im Oktober 2002 vom Österreichischen Verein für Individualpsychologie gegründet. Bis 2008 war der Träger der Boje noch eine gemeinnützige GmbH des Österreichischen Vereins für Individualpsychologie. Diese wurde im November 2008 von einem eigenen Trägerverein übernommen.
Mittlerweile hat das Ambulatorium, das seit 2006 als Krankenanstalt geführt wird, mit fast allen Krankenkassen Verträge. Das Leitungsteam der Boje besteht neben Bogyi aus der ärztlichen Leiterin Christine Koska, ihrem Stellvertreter Klaus Schwienbacher sowie Regina Rüsch, der Geschäftsführerin und stellvertretenden psychotherapeutischen Leiterin.
„Mir ist es ein besonderes Anliegen zu erwähnen, dass alle Mitarbeiter von Anfang an ein außergewöhnlich großes Engagement an den Tag gelegt haben“, sagt Bogyi. „Sonst wäre der Aufbau eines derartig vielfältigen Angebots nicht möglich gewesen. Seit der Gründung der Boje konnten nicht weniger als 8208 Personen in 86.650 Arbeitsstunden betreut werden.“
Rund ein Drittel der Patienten wenden sich Bogyi zufolge wegen des Todes eines nahestehenden Menschen an die Boje, die Kindern und Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr Hilfe anbietet. „Erst seit Kurzem ist ein elfjähriger Bub bei uns in Behandlung, der seinen Vater erhängt gefunden hat.“

Auf Spendengelder angewiesen. Trotz der Förderungen und Erlöse aus den Krankenversicherungen ist die Boje nach wie vor auf Spendengelder angewiesen. „Die finanzielle Absicherung ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass wir unsere Arbeit fortsetzen können“, so Bogyi, die auch einen Lehrauftrag an der Medizinischen Fakultät Wien hat. Ihr wichtigster Ratschlag an Kinder und Jugendliche in Krisensituationen: „Vertraue dich immer jemandem an und habe keine Scheu, öffentliche Institutionen aufzusuchen, um vor der Krise nicht zu flüchten, sondern sie zu bewältigen.“ ?

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