Kulturerbe

Ruth Beckermann: Eine Filmemacherin mit Gefühl für Geschichte

(c) Clemens Fabry
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Die Filmemacherin hat ein für Österreich bedeutsames dokumentarisches Werk geschaffen – zuletzt mit ihrem Film „Waldheims Walzer“.

Befragt man das Material lang genug, dann beginnt es langsam zu antworten: Der Satz beschreibt die Arbeitsweise der 1952 in Wien geborenen Filmemacherin Ruth Beckermann gut. In ihrem Film „Waldheims Walzer“, der heuer auf der Berlinale den Dokumentarpreis erhielt, bestand das Material unter anderem aus einer wiedergefundenen VHS-Kopie von Aufnahmen, die Beckermann während der Waldheim-Affäre 1986 von den Protesten gemacht hatte. In ihrer Analyse des Ablaufs der Waldheim-Debatte, die den Umgang Österreichs mit seiner NS-Vergangenheit so verändert hatte, arbeitete sie, für sie sehr unüblich, ausschließlich mit Archivmaterial, solchem aus dem Fernsehen und privatem.

Für Österreich besonders bedeutsam

Doch ganz gleich, womit die 1952 geborene Künstlerin arbeitet, auf welche Road Movies durch Wien und Osteuropa, Gegenwart und Vergangenheit sie einen mitnimmt, welche Landschaften und Menschen sie einen mithilfe ihrer Kamera entdecken lässt – immer hat man den Eindruck, ihre Filme entstünden wie zwangsläufig aus einer Suche nach Verstehen heraus, ja sind diese Suche selbst. Und weil diese so oft ihrer eigenen jüdischen Geschichte und österreichischer Zeitgeschichte galt, ist Beckermanns bisheriges, international akklamiertes Œuvre für Österreich besonders bedeutsam. Ihre Eigen- und Widerständigkeit, ihre „Unzugehörigkeit“ (nach dem Titel eines ihrer Bücher) sind für alle ihre Filmessays charakteristisch, wohl auch für ihr Leben.
Ruth Beckermanns jüdischer Vater stammte aus Czernowitz, ihre jüdische Mutter aus Wien, die Mutter überlebte den Krieg in Palästina. Das Leben der Juden nach 1945 in Wien erlebte das Kind als für sie unverständliches „Gefühlsgemisch“. Der Umgang mit der Vergangenheit, die Frage nach der (eigenen) jüdischen Identität zählen zu Beckermanns Lebensthemen. Sie schrieb in den 1980er-Jahren „Die Mazzesinsel“ über die Geschichte der Juden in der Wiener Leopoldstadt, drehte ihren ersten großen Dokumentarfilm, „Wien retour“, über den Künstler Franz West.

Geschichte – nie ohne Gefühle

1987 folgte ihr wundervolles, sehr persönliches Werk „Die papierene Brücke“. Beckermann erkundete darin ihre Familiengeschichte, von Osteuropa bis Wien; in ihrem Buch „Unzugehörig“ dann Lebensgefühl und Identitätssuche der in Österreich lebenden Juden, auch den weiterlebenden Antisemitismus in Österreich. Für „Jenseits des Krieges“ (1996) befragte Beckermann Besucher der Wehrmachtsausstellung, zeigte, wie all diese Menschen sich ihre jeweils eigene Vergangenheit konstruierten. In „Homemad(e)“ von 2001 porträtierte sie Zugereiste in ihrer Nachbarschaft. Stets beeindrucken ihre präzisen Bohrungen in die Welt der Gefühle, ihr unbestechlicher Blick, ihr feines historisches – speziell kulturhistorisches – Gespür. Das bewies Beckermann zuletzt etwa auch mit dem Film „Die Geträumten“ (2016), in dem sie den Briefwechsel zwischen Paul Celan und Ingeborg Bachmann behutsam in die Jetztzeit hob.


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