Milliardengrab Hypo:
Ein Drama in fünf Akten

Planung und Text: Stefanie Kompatscher, Text: Josef Urschitz und Jakob Zirm
Grafiken: Gregor Käfer, Technische Umsetzung: Katharina Klotz

1. Akt: Jörg Haider betritt die Bühne

Der dramatische Konflikt kündigt sich an

Klagenfurt. Wir schreiben das Jahr 1991 und die Kärntner Landeshypothekenanstalt ist noch eine schlafmützige Regionalbank. Ein unsäglicher Sager über die „ordentliche Beschäftigungspolitik“ im Dritten Reich kostet den jungen Landeshauptmann Jörg Haider sein Amt. Für die Landesbank wird erst das kommende Jahr zur Zäsur. Mit der Grazer Wechselseitigen Versicherung wird erstmals ein Miteigentümer ins kurz zuvor in eine Aktiengesellschaft umgewandelte Unternehmen geholt. Und Haiders Nachfolger, ÖVP-Landeshauptmann Christoph Zernatto, beruft den ehrgeizigen jungen Raiffeisenbanker Wolfgang Kulterer in den Vorstand. Unter wüsten Protesten Haiders übrigens, der „rot-schwarze Packelei“ vermutet. Das sollte sich noch ändern.

Kulterer, wild entschlossen, aus der Landesbank mit einer Bilanzsumme von gerade einmal 1,87 Milliarden Euro einen internationalen Bankenkonzern zu machen, startet eine enorme Expansion, vor allem in die Länder des zerfallenden Vielvölkerstaats Jugoslawien: Nach Slowenien und Kroatien zuerst, dann nach Serbien und Bosnien. Zum Zeichen für die neue Größe wird in Klagenfurt eine nicht zu übersehende Konzernzentrale hingeklotzt. Zum Zeichen der Internationalität wird die Bank, die rasch zu Systemrelevanz in Kroatien und Serbien aufsteigt, in Hypo Alpe Adria umbenannt.

Als Jörg Haider im Jahr 1999 zum zweiten Mal Landeshauptmann wird, nimmt das Drama seinen Lauf. Aus der Feindschaft zwischen dem talentierten Politiker und dem obersten Landesbanker wird eine für die österreichischen Steuerzahler teure Symbiose: Kulterer braucht Geld für seine rasche Südost-Expansion. Und Haider sorgt mittels umfangreicher Landeshaftungen dafür, dass er das auf dem Kapitalmarkt ohne Probleme und zu niedrigen Zinsen bekommt. Als Dankeschön finanziert die Landesbank Haiders Prestigeprojekte - ohne übertrieben genau hinzuschauen: 150 Millionen für die Sanierung des Veldener Schlosshotels, das für gerade einmal 50 Millionen verkauft wird. Ein paar Millionen für eine Wörthersee-Bühne, die außer Defiziten nichts bringt.

Zu schön, zu groß, zu teuer: Haiders Prestigeprojekte

  • Wörtherseebühne: Sie wurde 1999 auf Betreiben Haiders um vier Millionen Euro erbaut. Die Bretter sollten Klagenfurt den Ruf einer Festspielstadt bescheren – stattdessen erhielten sie den Namen "Millionengrab". Denn die Bühne war alles andere als rentabel: Betriebskosten in Höhe von 600.000 Euro stehen Einnahmen von 40.000 Euro pro Jahr gegenüber. Lange wurde sie von der Hypo finanziert.
  • Schloss Velden: Den großen Verlustbringer hat die Hypo 2003 auf Wunsch Haiders von Playboy Gunther Sachs erworben. In die Sanierung des Schlosshotels butterte die Bank 150 Millionen Euro. Der Verkauf an Karl Wlaschek im Jahr 2011 brachte gerade einmal 50 Millionen.
  • Styrian Spirit: 2005 stieg die Kärntner Tourismus-Holding bei der steirischen Flugline ein – nach einer ausdrücklichen Weisung von Haider, der von einer Kärntner Billigairline träumte. Schon ein Jahr später legte die Airline eine Bruchlandung hin. Vorher gab's aber noch einen ungesicherter Hypo-Kredit in Höhe von zwei Millionen Euro, der Jahrspäter ein Fall für die Gerichte werden sollte und mit mehrjährigen (nicht rechtskräftigen) Haftstrafen für die Beteiligten endete.
  • SK Austria Kärnten: 2007 verlegte der oberösterreichische Bundesligist Pasching nach einer Intervention Haiders seinen Sitz nach Kärnten und wurde zum SK Austria Kärnten. Trotz Millionen-Unterstützung schlitterte der Verein schon 2010 in die Pleite. Brisant: Haider soll als Bedingungen für den Hypo-Verkauf von der BayernLB Sponsoring-Millionen gefordert haben. Die Causa beschäftigte später die Gerichte.
2. Akt: „Kärnten ist reich“

Die Situation spitzt sich zu

In den Hauptrollen


  • Das Mastermind

    Das Mastermind -
    Jörg Haider

    Ohne Zweifel das Mastermind hinter dem Aufstieg und Fall der Kärntner Hypo. Der 2008 verunglückte Politstar, den selbst Gegner als „politisches Jahrhunderttalent“ bezeichneten, wollte aus der kleinen Regionalbank eine internationale Größe machen. Als die Sache außer Kontrolle geriet, verkaufte Haider „seine“ Bank an die Bayerische Landesbank. Die Haftungen blieben aber beim Land Kärnten.

  • Der Vollstrecker

    Der Vollstrecker -
    Wolfgang Kulterer

    Der talentierte Banker, der auszog, um aus einer kleinen Provinzbank einen großen Player in Osteuropa zu machen - und dabei auf die Nase flog. Von 1992 bis 2006 im Hypo-Vorstand, danach Zwischenspiel im Aufsichtsrat. Dem Wunsch Haiders, aus der Bank einen Landesbankomaten zu machen, setzte er nichts entgegen. Der Absturz begann mit Bilanzfälschung, für die er bereits rechtskräftig verurteilt wurde.

  • Der Abgestürzte

    Der Abgestürzte -
    Josef Martinz

    Kärntner Ex-ÖVP-Chef und als solcher Mehrheitsbeschaffer für Haider. Seine Karriere endete mit einer rechtskräftigen Verurteilung zu viereinhalb Jahren Haft wegen Verwendung öffentlicher Gelder für parteipolitische Zwecke. Er selbst sieht sich als „Bauernopfer“. Während seiner Zeit in der Politik würde er nicht müde, seine Wirtschaftskompetenz zu betonen: Er betrieb in Ossiach die Terrassen Camping KG.

  • Der Reuige

    Der Reuige -
    Dietrich Birnbacher

    Villacher Steuerberater, erlangte durch ein nach ihm benanntes Gutachten zweifelhafte Berühmtheit. Eng mit Freiheitlichen und ÖVP vernetzt, kassierte er beim Verkauf der Hypo für seine Expertise ein viel zu hohes Honorar. Der Deal: Die sechs Millionen sollten via "Drittellösung" an ÖVP, BZÖ und ihn gehen. Weil Birnbacher im späteren Strafprozess als einziger geständig war, erhielt er im Gegensatz zu Martinz eine teilbedingte Haftstrafe und kommt wohl mit einer Fußfessel davon.

  • Der Profiteur

    Der Profiteur -
    Tilo Berlin

    Gebürtiger Deutscher, aufgewachsen in Wien, offizielle Berufsbezeichnung: Vermögensverwalter. War im Zusammenhang mit der Hypo Alpe Adria in verschiedensten Funktionen aktiv, ab 2007 Vorstandschef. Er gründete eine Investorengruppe, die kurz vor dem Verkauf an die Bayern bei der Hypo einstieg und einen 150-Millionen-Euro-Gewinn kassierte.

  • Der Mitläufer

    Der gefallene Sanierer -
    Werner Schmidt

    Der langjährige BayernLB-Chef wurde als Super-Sanierer gefeiert - bis bekannt wurde, dass er riesige Summen auf dem US-Subprime-Markt verzockt hat. Mit dem Einstieg bei der Kärntner Hypo wollte er im Osten mitmischen. 2008 musste er den Hut nehmen. Jetzt steht er wegen des Verdachts auf Insidergeschäfte beim Hypo-Kauf vor Gericht.

Die Kontrollinstanzen schlagen bald Alarm – vergebens. 2003 warnt etwa der Rechnungshof, weil die Hypo in großem Stil Kredite ohne besondere Sicherheiten vergibt. Ergebnis: Mittels Änderung der Eigentumsverhältnisse (eine Mitarbeiterholding wird installiert) wird der Rechnungshof von künftigen Prüfungen ausgeschlossen. Auf die für Bankenprüfungen zuständige Nationalbank macht Haider gewaltigen Druck. Für die Finanzmarktaufsicht ist der einstige Haider-Vertraute Karl Heinz Grasser zuständig. Die Sache funktioniert, weil Haider von der schwarz-blauen Koalition in Wien als Mehrheitsbeschaffer dringend gebraucht wird. Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) hält ihm wohl deshalb in Wien den Rücken frei.

Die Landeshaftungen schnellen bis 2004 auf rund acht Milliarden Euro. Das sollte erst der Anfang sein. Nach einem vom Landtagsbeschluss explodieren sie in den kommenden drei Jahren bis auf 24,7 Milliarden, mehr als das zehnfache des Kärntner Landesbudgets. Kleines Detail am Rande: Der Beschluss für die Ausweitung der Haftungen fällt einstimmig: Freiheitliche, Schwarze, Rote und Grüne stimmen dafür. Als sich durch eine EU-Regelung das Ende der Landeshaftungen für Landesbanken abzeichnet, versucht die Hypo wie wild über die Pfandbriefstelle der Hypothekenbanken weiter zu emittieren, womit andere Bundesländer mithaften. Die machen dem Spuk aber schnell ein Ende, was - wie Insider berichten - mit Schrei-Duellen zwischen Kulterer und anderen Landes-Hypos endet.

Als Kulterer im Jahr 2006 über eine Swap-Affäre stolpert, ist die Bank bereits ein tönerner Koloss. Die Bilanz für 2004 muss nach dem Auffliegen von Swap-Verlusten neu erstellt werden. Sie ist negativ. Die FMA zeigt den gesamten Vorstand wegen Bilanzfälschung an. Weil ihm ein Amtsenthebungsverfahren droht, muss Kulterer den Chefposten räumen. Mit Rückendeckung von Haider zieht er die Fäden im Hintergrund weiter – als Aufsichtsratschef. Vor Gericht betont Kulterer später stets, er habe mit Hilfe der Bilanzen das Ruder herumreißen wollen: „Die Bank war mein Kind, und ich habe alles dafür getan, mein Kind zu schützen." Bisherige Bilanz der Strafverfahren gegen ihn: Dreieinhalb Jahre unbedingt Haft.

Im Dezember 2006 dann ein neues Gesicht auf der Bühne: Der bestens vernetzte Investor Tilo Berlin sammelt bei rund 100 Geldmenschen aus dem Kärntner und steirischem Landadel sowie der Wörthersee-Industrieschickeria Geld ein, um der Bank aus der Eigenkapitalpatsche zu helfen. Das Investment beschert ihnen 150 Millionen Euro Gewinn.

Wenige Monate später wird Berlin zum neuen Hypo-Chef gekürt. Dann geht alles ganz schnell: Im Mai 2007 geht die Mehrheit der Anteile an die BayernLB, die sich mit dem Kauf einen Weg nach Osteuropa bahnen will. Jörg Haider jubelt: „Kärnten ist reich“. Die halbe Milliarde an Verkaufserlösen wird in einem „Zukunftsfonds“ angelegt. Einstweilen bleiben die Haftungen in Höhe von mehr als 20 Milliarden Euro beim Land. Was das für die Republik bedeuten wird, erlebt Haider nicht mehr. 2008 steuert er, schwer betrunken, seinen VW-Phaeton mit 142 Stundenkilometern in eine Betonsäule.

Die Bank war mein Kind, und ich habe alles dafür getan, mein Kind zu schützen
Wolfgang Kulterer, im November 2008 vor Gericht

Kriminal Tango

Die Hypo Alpe Adria ist nicht nur ein Bankenskandal, sondern auch ein Kriminalfall. Seltsame Transaktionen über eine Liechtenstein-Tochter, Geschäfte mit der Balkan-Mafia, Parteienfinanzierung in Kärnten: Die Liste reicht locker für einen abendfüllenden Hollywood-Thriller. Besonders wild hatte es die Bank in Kroatien getrieben. Kriegsgewinnler, Waffenhändler und Embargobrecher hätten eine Bank für ihre Transaktionen gebraucht. Die Hypo, die gerade auf dem kroatischen Markt Fuß fassen wollte, habe sich dafür zur Verfügung gestellt, heißt es in einem 2011 erschienenen Buch (Richard Schneider, Tatort Hypo Alpe Adria, Residenz Verlag), in dem die Balkan-Aktivitäten der Bank minutiös aufgelistet sind. Gegen die in dem Buch verwendete Bezeichnung „Hausbank der Balkan-Mafia“ hatte die Bank geklagt - und verloren.

Da wurden zahlreiche windige Geschäfte initiiert, große Bargeldbeträge in Lear-Jets hin- und hergeflogen, große Immobilienprojekte mit zweifelhaften Gestalten ohne ausreichende Sicherheiten abgewickelt. Die Hypo sitzt jetzt auf halbfertigen Tourismusprojekten mit Multimillionenschaden und beklagt das „Verschwinden“ zahlreicher in Südeuropa finanzierter Leasingyachten und –autos. Ein großer Teil der „faulen“ Kredite wurde in diese Region vergeben.

Kriminell ging es aber auch im Inland zu. Mit mehrjährigen Gefängnisstrafen endete der Prozess um das „Birnbacher“-Gutachten: Der Villacher Steuerberater Dietrich Birnbacher hatte beim Verkauf an die BayernLB ein mit sechs Millionen Euro völlig überteuertes Gutachten abgeliefert (ursprünglich waren sogar 12 Millionen vereinbart gewesen). Laut Geständnis war vereinbart, dass zwei Drittel der Summe an das BZÖ und die ÖVP zurückfließen sollten. Derzeit sind noch dutzende Anzeigen und Verfahren rund um die Hypo anhängig. Die Aufarbeitung wird wohl Jahre dauern.

Hypo verscherbelt Yachten und Autos

Auf der Plattform "Alpe Adria Asset" versucht die Hypo seit Jahren Objekte zu verkaufen, die sie als Sicherheiten für geplatzte Kredite annahm. Die Yachten und Autos geben einen kleinen Einblick in das Südosteuropa-Geschäft der Bank.

  • Aicon 85 (Montenegro), 1,75 Millionen Euro
  • Aicon 85 (Montenegro), 1,75 Millionen Euro
  • Ferretti 630 (Kroatien), 900.000 Euro
  • Ferretti 630 (Kroatien), 900.000 Euro
  • Maserati Granturismo (Italien), 41.000 Euro
  • Mercedes S 600 L (Bulgarien), 139.000 Euro
3. Akt: Die teuerste Nacht in der Geschichte der Republik

Die Handlung erreicht ihren Höhepunkt

In den Hauptrollen


  • Der Notverstaatlicher

    Der Notverstaatlicher -
    Josef Pröll

    Der damalige ÖVP-Finanzminister hat 2009 die Notverstaatlichung der Kärntner Bank auf dem Höhepunkt der Finanzkrise durchgezogen. 2011 gab er aus gesundheitlichen Gründen den Rückzug aus allen politischen Ämtern bekannt. Heute ist er Topmanager bei der Raiffeisen – und wird immer wieder für die Abwicklung der Notverstaatlichung kritisiert: Sie sei überhastet geschehen.

  • Der Mitläufer

    Der Mitläufer -
    Gerhard Dörfler

    Gerhard Dörfler. Gelernter Bankkaufmann und treuer Weggefährte Haiders. Er war nach dessen Unfalltod ("Die Sonne ist vom Himmel gefallen") Haiders Nachfolger als Landeshauptmann. Als Teil des Systems Haider war Dörfler immer dabei, ohne sich je für den Pallawatsch verantwortlich zu fühlen. Die Wartezeit auf die Politikerpension überbrückt er derzeit im Bundesrat.

  • Der Poker-Spieler

    Der Poker-Spieler -
    Georg Fahrenschon

    Georg Fahrenschon. Bayerischer Finanzminister. Er wollte nicht mehr für die Hypo zahlen – und vertraute darauf, dass es die Österreicher tun. Fahrenschon ist in Bayern selbst unter Beschuss geraten: Die BayernLB hat dort eine ähnliche Rolle als "Systemfinanzierungsbank" eingenommen wie die Hypo in Kärntnen. Nach seinem Rücktritt im Jahr 2011 ist Fahrenschohn heute Präsidenten des Deutschen Sparkassen- und Giroverband.

Im Laufe des Jahres 2009 dämmert der BayernLB - die selbst mit einer Zehn-Milliarden-Euro-Finanzspritze gerettet werden musste - was für ein Problem sie sich mit der Hypo eingefangen hat. Nachdem im Herbst bekannt wird, dass die Bank für eine gültige Bilanz 1,5 Milliarden Euro benötigt, stellten die Bayern auf stur. Österreich soll sich die Bank schenken lassen. Wien steckt so lange den Kopf in den Sand, bis am Freitag, 11. Dezember, klar wird: Bayern meint es verdammt ernst. Ohne Gesprächsbereitschaft droht die Landesregierung, die Hypo am darauffolgenden Montag in die ungeordnete Insolvenz rutschen zu lassen. Im österreichischen Finanzministerium bricht Hektik aus.

Die Chronologie des teuersten Wochenendes der Zweiten Republik

Freitag, 11. Dezember

14:00 Finanzminister Josef Pröll (ÖVP) trommelt Experten aus Finanzministerium, Kanzleramt, Nationalbank und FMA zusammen. Sie besprechen die bestmögliche Vorgangsweise der Republik.

Samstag, 12. Dezember

02:00 Pröll spricht eine offizielle Einladung an die Bayern aus. Schon am Samstagnachmittag um 17:00 Uhr sollen die Gespräche starten.
10:00 In Klagenfurt verteilt Landeschef Gerhard Dörfler (BZÖ) fröhlich Geldgeschenke, bevor auch er nach Wien kommt. Drei Millionen Euro werden als „Teuerungsausgleich“ in bar an das Wahlvolk verteilt, was für schlechte Stimmung in Wien sorgt.
12:00 Psychospiele kratzen an den Nerven der Experten im Finanzministerium. Die Bayern lassen sich Zeit mit ihrem Anruf. Nachdem sie den Österreichern wochenlang nachgelaufen sind, dreht man den Spieß nun um.
14:00 Endlich kommt die erlösende Nachricht aus München. Die Bayern wollen ab Sonntagmittag in Wien verhandeln.

Sonntag, 13. Dezember

14:00 Zwei Stunden später als geplant trudeln die Bayern ein. Am Tisch sitzen Pröll, Dörfler, Finanzstaatssekretär Andreas Schieder (SPÖ), Bayerns Finanzminister Georg Fahrenschon und Othmar Eder vom Minderheitsaktionär Grazer Wechselseitige. Die Stimmung ist frostig, nicht nur wegen der angespannten Lage. Denn die Psychotricks gehen weiter. Die Bayern werden in einen kalten Raum ohne Getränke gebracht. So wollen die Österreicher die Oberhand gewinnen.
16:00 Kaffee und Würstel lockern die Stimmung etwas auf. Dörfler sorgt bei den Bayern für ungläubiges Staunen als er einem Amtsdiener 50 Euro „Trinkgeld“ in die Hand drückt. „Hat der noch alle Tassen im Schrank?“, kommentiert einer.
19:00 Die Gespräche stocken. Pröll bestellt die Chefs von Erste Bank, Raiffeisen und Bank Austria ins Ministerium. Sie sollen bei der Rettung helfen, was sie mit einer 500-Millionen-Euro-Kreditlinie auch tun. Erste-Chef Andreas Treichl soll direkt aus der Staatsoper herausgerufen worden sein. Auf dem Programm: „Macbeth“, Verdis Adaption von Shakespeares Tragödie über den Fall eines Tyrannen.
23:30 Die Uhr tickt, die Verhandlungen machen keine Fortschritte. Plötzlich läutet das Telefon. EZB-Chef Jean-Claude Trichet ist am Apparat. Er beschwört Pröll, dass eine Lösung gefunden werden muss. Ein unkontrollierter Kollaps hätte verheerende Auswirkungen auf die Bankenlandschaft. Zugleich telefoniert Kanzler Werner Faymann (SPÖ) mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in Berlin. Sie soll Druck auf München ausüben. Es wirkt.

Montag, 14. Dezember

02:00 Langsam zeichnet sich eine Einigung ab. Österreich übernimmt die Hypo komplett, die Bayern erhöhen ihren gebotenen Beitrag weiter.
06:25 „Tutti completti“ – mit diesen Worten lenkt Fahrenschon ein. Der Deal: Die BayernLB schießt noch einmal 825 Millionen Euro in die Hypo ein. Kärnten soll 200 Millionen zahlen, Die GraWe 30 Millionen. Der Bund zahlt den Rest von 450 Millionen Euro, kauft die Bank um einen symbolischen Euro und übernimmt alle Risken.
06:45 Dörfler will einen Rückzieher machen, da die Bayern ja bereit wären mehr zu zahlen. Die Stimmung lädt sich auf. „Ich leg ihm gleich eine auf“, soll jemand halblaut gesagt haben. Pröll setzt dem Landeschef das mediale Messer an die Kehle und droht, ihn öffentlich für das Scheitern der Gespräche verantwortlich zu machen. Dörfler gibt klein bei.
07:33 Aus dem Finanzministerium kommt die erlösende Nachricht: Die Hypo wird verstaatlicht. Nur 27 Minuten später hätte der nach Klagenfurt entsandte Regierungskommissär die Bankgeschäfte drastisch einschränken müssen, um einen Bank-Run zu verhindern.

Nach 17 Stunden ist der Poker um die Hypo Alpe Adria vorbei. Bayern ließ sich nicht in die Karten blicken - und Österreich hat verloren. Denn: Die Drohung der Bayern mit einer Hypo-Insolvenz scheint eine leere gewesen zu sein. Kritikern der Verstaatlichung liefert heute eine in der „Presse“ veröffentlichte OeNB-Berechnung aus dem Dezember 2009 reichlich Munition. Demnach hätten die BayernLB im Falle einer Insolvenz auf einen Schlag 6,1 Milliarden Euro verloren. Das hätten sie wohl kaum zugelassen. Und nicht nur das deutet auf eine schlechte Verhandlungstaktik der Österreicher hin: Die bayerische Landesregierung rechnete im Vorfeld der Gespräche nicht einmal damit, dass Wien das volle Risiko für die Hypo übernimmt. Das beweist ein interner Mailverkehr vom November 2009, der erst Jahre später von den Neos an die Öffentlichkeit gespielt wurde.

4. Akt: Die Zeit der Zauderer

Das Finale wird hinausgezögert

In den Hauptrollen


  • Die Zauderin

    Die Zauderin -
    Maria Fekter

    Nach dem Rücktritt von Pröll gab die ÖVP-Politikerin zwei Jahre lang die toughe Finanzministerin, die aber in Sachen Hypo-Skandal nicht gerade für ihre Problemlösungskompetenz in die Geschichte eingehen wird. In ihre Amtszeit fällt eine unglaubliche Verschleppung der Hypo-Lösung.

  • Der "Unschuldige"

    Der "Unschuldige" -
    Werner Faymann

    Der SPÖ-Politiker hat mit dem Hypo-Skandal nichts zu tun, ist aber zweifellos dafür mitverantwortlich, dass die Aufarbeitung der größten Bankenpleite der Zweiten Republik seit vier Jahren nicht so recht weiterkommt. Faymann hat als Regierungschef versucht, das Hypo-Desaster möglichst weit von sich zu schieben und ging immer wieder auf „Tauchstation“.

  • Der Mitgefangene

    Der Mitgefangene -
    Michael Spindelegger

    Vizekanzler, ÖVP-Chef und Hypo-Opfer. Er teilt sein Schicksal mit Bundeskanzler Faymann: Am eigentlichen Hypo-Desaster völlig unschuldig, aber zur falschen Zeit am falschen politischen Ort. Jetzt muss er die Suppe auslöffeln, die ihm andere eingebrockt haben. Was man ihm wie Faymann vorwerfen muss: Die Kommunikationsstrategie war eine schlichte Katastrophe.

  • Der Gescheiterte

    Der Gescheiterte -
    Gottwald Kranebitter

    Der Berater, der zum Vorstandschef wurde: Der ehemalige KPMG-Österreich-Chef übernahm nach der Notverstaatlichung das Ruder bei der Hypo. 2013 verabschiedete er sich mit einem tiefroten Ergebnis. Der Grund für den Rücktritt: Seine Sanierungsarbeit sei von der öffentliche Diskussion von Schließungsszenarien und undifferenzierten Kostenspekulationen zerstört worden.

  • Der Verzögerer

    Der Verzögerer -
    Klaus Liebscher

    Hypo-Aufsichtsratschef, Taskforce-Boss und Ex-Notenbanker. Ganz schön viel dafür, dass unter seiner Ägide so wenig weitergegangen ist und noch immer über Modelle gerätselt wird. Nach einem heftigen Konflikt mit der Regierung ist er zurückgetreten. Er wollte nicht, "zum Sündenbock abgestempelt" werden. Das Problem sei vielmehr das Zaudern der Politik.

  • Der Beschwichtiger

    Der Beschwichtiger -
    Ewald Nowotny

    Notenbank-Chef mit Krisenerfahrung: Er war in der heißesten Zeit Bawag-General. Er muss sich mit dem Vorwurf herumschlagen, dass seine Bankprüfer die Hypo-Krise „kleingeprüft“ haben. Als Banker strikt gegen eine Insolvenz der Skandalbank. Nach dem Rücktritt von Klaus Liebscher wurde er neuer Chef der Taskforce.

Sucht man nach den Stichworten „Hypo Alpe Adria“ und „Gutachten“, spuckt Google innerhalb von 0,41 Sekunden fast 39.000 Ergebnisse aus. Die zahlreichen Expertisen, die die Regierung in den Jahren nach der Rettung einholt, haben alle ein Ziel: Das Hypo-Drama möglichst günstig für den Steuerzahler zu beenden. Das Ergebnis ist fragwürdig.

Im Februar 2010 nimmt die Geschichte im indischen Mumbai ihren Lauf. Finanzminister Josef Pröll gibt auf einer Reise die Gründung der „CSI Hypo“ bekannt. Hundert Experten sollen „jeden Beleg zweimal umdrehen“. Die Nachforschungen locken auch zwielichtige Gestalten an, zum Beispiel einen bosnischen Häftling, der seine Dienste als „Hypo-Spion“ anbietet – für entsprechende Entlohnung, versteht sich.

Die neue Führung, Hypo-Chef Gottwald Kranebitter und Aufsichtsratspräsident Johannes Ditz, drängt, die stockenden Ermittlungen zu beenden. Bevor das im Jahr 2012 tatsächlich passiert, steht an der Spitze des Finanzministeriums eine Frau: Maria Fekter (ÖVP) übernimmt nach Prölls Rücktritt im Frühjahr 2011 das Ruder. Ihr präsentiert Kranebitter die Geschichte der deutschen Hypo Real Estate (HRE): Im Herbst 2008 geriet die Bank in Schieflage und wurde verstaatlicht. Nicht einmal zwei Jahre später wurde die Abwicklungsgesellschaft gegründet. Doch bei Fekter findet Kranebitters Vorschlag wenig Anklang. Sie befürchtet eine Erhöhung der Staatsschulden. Anstatt zu handeln holt sie neue Gutachten ein und pumpt Steuergelder in die Hypo. Bis Ende 2013 werden es 4,8 Milliarden.

Hinzu kommt Zores mit dem Kurzzeit-Eigentümern. „I want my money back“, poltert Bayerns Finanzminister Markus Söder. Zwischen Bayern und Österreich wird eifrig hin- und hergeklagt. Einigung ist nach wie vor keine in Sicht.

Ungemach droht auch aus Brüssel. EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia verliert die Geduld und will das Kapitel Hypo noch 2013 mit einem Verkauf der Südosteuropa-Töchter und der Zerschlagung der Bank schließen. Um Zeit zu gewinnen gründet Österreich – erraten – eine Taskforce, die einen Restrukturierungsplan ausarbeiten soll. Die Republik erhält eine Gnadenfrist. Chef der Taskforce wird Ex-Notenbanker Klaus Liebscher, der neue Aufsichtsratspräsident der Krisenbank. Seinem Vorgänger Ditz reichte es im Sommer 2013, genauso wie Hypo-Chef Kranebitter. Bis mit Alexander Picker ein neuer Mann für den undankbaren Job an der Spitze gefunden wird, vergehen Monate.

Und zuvor wird sowieso erst einmal gewählt. Die Nationalratswahl am 29. September endet mit einer hauchdünnen Mehrheit für rot-schwarz. Fekter tritt ab, neuer Finanzminister wird ÖVP-Chef Michael Spindelegger. In seiner Schublade landet ein Gutachten des Managementberaters Oliver Wyman. Der brisante Inhalt: Eine Insolvenz wäre für die Steuerzahler die günstigste Option. Doch politisch ist eine Insolvenz nicht opportun. Also werden weitere Berater engagiert. Irgendwann wird schon "das Richtige" herauskommen ...

5. Akt: Zahlen für Wahnsinnige

Die Katastrophe

In der Hauptrolle: Der Steuerzahler

2014 dann der Showdown. Zunächst wird klar, dass Österreichs Banken keinen Beitrag zur Hypo-Rettung leisten wollen. Bank-Austria-Chef Willibald Cernko sagt: „Ich zahle nicht für Wahnsinnige“. Das müssen jetzt andere übernehmen.

Ende Februar, kurz bevor der Taskforce-Endbericht veröffentlicht werden soll, der nächste Knalleffekt: Vorsitzender Klaus Liebscher legt alle Funktionen nieder. Zuvor übte er scharfe Kritik an Spindelegger, der eine Insolvenz der Hypo diskutieren wollte. Notenbankchef Ewald Nowotny wird neuer Leiter der Taskforce. Dann geht es Schlag auf Schlag: Aufsichtsräte drohen mit dem Rücktritt, Kanzleramt und Prüfer machen Druck. Erneut droht die ungeordnete Insolvenz.

Nach einer langen Nacht verkünden Spindelegger und Nowotny am 14. März die Entscheidung: Die Hypo wird ab September in einer privatwirtschaftlich organisierten Anstalt – der „Heta“ - abgewickelt. Die Bilanzsumme von 17,8 Milliarden Euro geht eins zu eins in die Staatsschuldenquote über, die von 74 auf 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts springt. Die aus der Bank herausgelöste Osteuropa-Gruppe soll gesondert verkauft werden. BayernLB, das Land Kärnten (hier wird der 500 Millionen Euro schwere Zukunftsfonds angezapft) und einige Gläubiger werden verpflichtet, mitzuzahlen. Die Hauptverantwortung bleibt bei der Republik.

Das war's dann also? Nein, denn auch nach der Gründung der Heta wird es um Österreichs Krisenbank Nummer eins nicht langweilig. Spindelegger tritt zurück und mit Hans Jörg Schelling (ÖVP) der vierte „Hypo“-Finanzminister sein Amt an. Außerdem kommt nach Dutzenden abgelehnten Anträgen doch noch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zustande, der die politische Verantwortung für das Debakel klären soll.

Und im März 2015 tut sich dann auch noch ein mysteriöses 7,6 Milliarden Euro großes Finanzloch auf. Schelling weigert sich daraufhin, die Heta-Schulden weiter zu bedienen und überlässt der Finanzmarktaufsicht die Kontrolle über die Abwicklungsbank. Die Gläubiger – hauptsächlich Versicherungen und Pensionsfonds aus dem Ausland - müssen sich wohl auf einen Schuldenschnitt einstellen.

Doch wie man es dreht und wendet: Die Hauptlast bleibt beim Steuerzahler. Bisher hat das Hypo-Abenteuer, das im Kärnten der 90er Jahre begonnen hatte, jeden Österreicher rund 650 Euro gekostet. In Summe sind es 5,5 Milliarden Euro. Wie hoch der Schaden für die Österreicher und die Reputation am Ende tatsächlich sein wird, ist auch sechs Jahre nach der Notverstaatlichung völlig unklar.

Bildrechte Titelbild: APA (3); Clemens Fabry, Michaela Bruckberger / 1. Akt: APA (5); EPA / 2. Akt: APA (4); Clemens Fabry (2); EPA; GEPA / 3. Akt: APA (4) ; www.gerhard-blank.de / 4. Akt: APA (6); Reuters / 5. Akt: APA