Italien: Massenmord in Triests Karstschlünden

Erstmals gedachte Italien der Massaker, die Titos jugoslawische Partisanen 1945 verübten.

ROM. Das Kapitel ist so wenig erforscht, dass selbst die Opferzahlen stark divergieren: von 5000 bis 15.000 reichen die Schätzungen der wenigen Historiker, die sich des Themas in den letzten sechzig Jahren annahmen. So viele Italiener starben also in den sogenannten "Foibe", den Karstschlünden im Hinterland von Triest, im Osten Italiens. Einige wurden bei lebendigem Leib in die Gräben geworfen. Von den kommunistischen Partisanentruppen Titos. Das war 1945. Tito war im April desselben Jahres in Triest einmarschiert.

45 Tage dauerte Titos Schreckensregnum. Es war ein Rachefeldzug gegen die italienischen Faschisten, deren Herrschaft tiefe Wunden gerissen hatte in den jugoslawischen Völkern. Mussolini hatte zwangsweise italianisiert, gegängelt, getötet. Tito ließ die Faschisten verfolgen, vertrieb sie aus Istrien. Getötet wurden aber auch Nichtfaschisten.

350.000 Italiener flüchteten in jener Zeit aus den einst italienischen, Jugoslawien zugeschlagenen Gebieten. Triest kehrte 1954 wieder zu Italien zurück. Im letzten Jahr wurde diese kleine Wiedervereinigung gefeiert. Nun, sechzig Jahre nach dem Massaker, gedachten die Italiener am Donnerstag erstmals offiziell auch der Opfer der "Foibe": mit Schweigeminuten und Ansprachen.

Die Initiative geht auf die rechtsbürgerliche Regierung um Premier Silvio Berlusconi zurück. Im letzten Frühjahr legte das Parlament den künftig alljährlichen Gedenktag auf den 10. Februar. Treibende Kraft hinter der Idee aber waren die Postfaschisten von "Alleanza nazionale", Partner der Regierungskoalition. Sie waren es, die das schwache Erinnern an Titos Gräuel in all den Jahren am Leben gehalten hatten: mit einer starken Dosis populistisch-patriotischem Pathos. Ihr Ressentiment gegenüber den slawischen Nachbarn bleibt bis heute intakt.

Doch vor allem führten die Postfaschisten die "Foibe" gegen die Linke ins Treffen. Sie bezichtigten Italiens Kommunisten der gezielten Vertuschung einer diffusen, ideologischen Mitschuld an Titos Gräueln. Doch so simpel ist die Geschichte nicht. Einerseits, weil in den "Foibe" eben nicht nur Faschisten endeten. Andererseits, weil in den Nachkriegsjahrzehnten nicht etwa die Kommunisten Italien regierten, sondern Liberale und Christdemokraten. Und sie waren es, die das dunkle Kapitel unterschlugen. Aus realpolitischen Gründen: Man war um Ausgleich bemüht im Kalten Krieg.

Tito verkrachte sich 1948 mit Stalin und brach mit der Sowjetunion. "Jugoslawien wurde zum strategischen Kissen  zwischen Ost und West und darum ungemein wichtig für Italien", sagt der Historiker Raoul Pupo.

Titos Feldzug war lange tabu. In Italiens Schulbüchern las man nichts davon. Bis in die 90er Jahre, bis Jugoslawien auseinander brach. Dann setzte die politische Instrumentalisierung ein, das "Spektakel der Politik", wie es Pupo nennt. Jüngst zeigte das Staatsfernsehen ein Dokudrama, in Auftrag gegeben von den Postfaschisten. Kritiker zerrissen den Film. Historiker monierten, er klammere die Vergehen der Faschisten aus. Doch der Film war ein Publikumserfolg. Zehn Millionen Italiener schauten sich "Il cuore nel pozzo" (Das Herz im Brunnen) an.

Doch das reicht den Postfaschisten nicht. Nun gilt ihr Augenmerk den "Ragazzi di Salò". So nennen die Italiener die Schwarzhemden, die dem Duce 1943 ins Réduit am Gardasee gefolgt waren und Mussolinis Marionettenregime bis zum Kriegsende stützten. Im Senat liegt eine Gesetzesvorlage auf, die ihren angeblich gut gemeinten Dienst am Vaterland würdigen soll. Den "Ragazzi" soll de facto also die gleiche Ehre zukommen wie den Partisanen, welche Italien zusammen mit den Alliierten 1945 von den Nazis und den Faschisten befreit hatten.

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