"Ring des Nibelungen": Gibichungen auf dem Schaukelpferd

Götterdämmerung
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Mit der "Götterdämmerung" zog Regisseur Andreas Kriegenburg Bilanz: Das Stück spielt im Kaufhaus - und Dirigent Kent Nagano verschleppt Wagners Musik.

Rechtzeitig vor dem Wagner-Gedenkjahr 2013 hat München einen neuen „Ring des Nibelungen“. Der bisher mehr schauspiel- als opern-erprobte Regisseur Andreas Kriegenburg hat seine Aufgabe ernst genommen. Er wolle „ein szenisches Äquivalent zum musikalischen Geschehen“ schaffen, so benannte er seine persönliche Herausforderung für diese vier Abende. Von einem „Sonnenstrahl in der Brandwolke“ sprach er angesichts der „Götterdämmerung“.

Gewissermaßen um zu zeigen, wie aktuell ihre Botschaft ist, hat er sich dafür von zwei der größten Katastrophen der jüngeren Vergangenheit inspirieren lassen: Fukushima, wie gleich zu Beginn kenntlich wird, wenn die Nornen (wenn auch unterschiedlich professionell) ihr Seil spannen, sowie die Erdbebenkatastrophe von Tokio, die sich in dem von ihm hauptsächlich genützten Bühnenambiente besonders eindrucksvoll suggerieren lässt.

Und zwar handelt es sich um einen deutlich der Münchner Innenstadtarchitektur abgeschauten, lichtdurchfluteten Innenhof eines Kaufhauses mit andauernd auf- und abfahrenden großen Liften (Bühne: Harald B. Thor) , die es erlauben, die jeweiligen Personen – und Kriegenburg setzt gerne auf viel mehr als Wagners Partitur verlangt – eindrucksvoll und eindringlich zu platzieren.

Die Sänger bieten Rampentheater

Dabei ist durchaus unterschiedlich, was Kriegenburg jeweils fasziniert. Insgesamt ist es weniger die Interaktion der Protagonisten, die mehrfach bloß traditionelles Rampentheater bieten, als in sich geschlossene Bilder und durchaus auch spielerisch gesetzte Pointen. Etwa, wenn aus durch Menschenhände umgedrehten Brettern plötzlich das Pferd Grane entsteht, in Mao-Anzügen auftretende Statisten sich in einen Fluss verwandeln, in dem Siegfried sein Boot lenkt, die Gibichungen-Geschwister Gunther und Gutrune sich auf einem Euro-Schaukelpferd vergnügen.

Dass die Regie die Gibichungenhalle zum Kaufhaus umfunktioniert, in dem stetes Kommen und Gehen herrscht, man zwischendurch den Eindruck gewinnt, dass hier auch amtsgehandelt wird, ist der Tatsache geschuldet, dass man die Hausherren durchaus als Geschäftsleute sehen kann, die freilich den schmutzigen Teil ihrer Tätigkeit an Hagen ausladen.

Genau so sieht man sie auf der Bühne des Münchner Opernhauses: Gunther und Hagen parlieren in blauen Business-Anzügen (Kostüme: Andrea Schraad), auf weißen Polstermöbeln sitzend, wobei vom ersten Moment an schon durch die Gestik klar wird, wer von den beiden der Stärkere ist, was sich durch die sängerische Leistung noch bestätigte.

Überraschungs-Gast als Hagen

So sehr Iain Paterson in der Rolle des charakterschwachen Gunther, der dafür mit dem Tod büßen muss, trotz anfänglich unnötig sexistischem Agieren überzeugte: Gegen die scharfe Profilierung, mit der Eric Halfvarson den zynisch-verhangenen Hagen zeichnete, fiel er etwas ab. Wobei Halfvarson ein Husarenstück glückte: Er wurde erst am Premierentag für diese Produktion aus Wien eingeflogen, fügte sich aber so selbstverständlich in diese Szenerie, dass man meinte, er wäre vorweg vorgesehen für diese Partie gewesen.

Überhaupt ist diese „Götterdämmerung“ ein Fest der Stimmen, angefangen bei der stets mit nachdrücklicher Intensität auftretenden und dabei faszinierend fraulichen Brünnhilde Nina Stemmes, die heutzutage nicht ihresgleichen hat.

Auch Stephen Gould als Siegfried präsentierte sich bei der Premiere in einer Verfassung, die keine Vergleiche zu scheuen braucht, wie schließlich auch Michaela Schuster als Waltraute. Dabei wurde sie von der Inszenierung in die Rolle einer Neurotikerin gedrängt, ohne dass diese Deutung sich im Folgenden auch nur einigermaßen aufgelöst hätte.

Wolfgang Koch gab einen prägnanten Alberich. Rollendeckend Anna Gabler als Gutrune, untadelig die drei Nornen (Jill Grove, Jamie Barton und Irmgard Vilsmaier). Stimmlich ebenso gut aufeinander abgestimmt die mit Eri Nakamura, Angela Brower und Okka von Damerau besetzten Rheintöchter.

Schwachpunkt: Der Dirigent

Ein von der einen oder anderen Regie-Idee abgesehen – die Wirkung des Trauermarsches muss man partout nicht durch das Hinaustragen von Tischen „verstärken“ – insgesamt gelungenes Opernfestspiel-Entrée, wenn sich auch Chor und Orchester der Bayerischen Staatsoper nicht von ihrer besten Seite zeigen konnten.

Denn GMD Kent Nagano am Pult, vorweg um eine kammermusikalische Auslotung der Partitur bemüht, schleppte ziemlich, blieb zu sehr in zu wenig plastisch modellierten Details stecken, raffte sich nur ansatzweise zu großbögigem, wirklich spannungserfülltem Musizieren auf. Ob sich das bei den für die nächsten Tage avisierten beiden „Ring“-Zyklen noch ändern wird?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2012)

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