Die Ära Klestil – vor zwanzig Jahren begann sie

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eglichen Bemühungen, aus dem Amt in der Hofburg etwas politisch Wichtiges zu machen, steht die Bundesverfassung entgegen. Heinz Fischer weiß das seit Langem, sein Amtsvorgänger probierte es trotzdem.

Ein strahlender Tag, dieser 8. Juli 1992: Um elf Uhr leistete der bisherige Generalsekretär im Außenamt, der 59-jährige Thomas Klestil, den Amtseid als neuer Bundespräsident. In der Besucherloge des prachtvollen Reichsratssitzungssaales Ehefrau Edith und Sohn Thomas. Der Karrierediplomat hatte den Höhepunkt seiner Laufbahn erklommen. Und er genoss diesen Augenblick. Zwanzig Jahre ist das her.

Er war ein Überraschungskandidat, den Erhard Buseks ÖVP nominiert hatte und der in der Stichwahl den SP-Favoriten Rudolf Streicher demolieren konnte. Streicher hatte sich nicht allzu sehr angestrengt. Er baute auf den sozialistischen Parteiapparat, doch die Genossen spurten nicht. Der Mann hatte kaum Charisma.

Vor zwanzig Jahren begann somit ein interessantes, ein turbulentes Kapitel, das Klestil zwölf Jahre lang mitgestaltete. Nach seinen eigenen Vorstellungen. Dazu gehörte, was bei seinen Amtsvorgängern ebenso unvorstellbar war, wie es bei seinem Nachfolger Heinz Fischer der Fall ist: Der neue Mann suchte den engen Spielraum, den die österreichische Verfassung dem Staatsoberhaupt zubilligt, auszuloten. Fischer als habilitierter Verfassungsrechtler kennt die Spielregeln nur allzu gut.

Man zeigte Klestil sehr bald seine Grenzen auf. In der fein abgestimmten Balance zwischen Gesetzgebung und Exekutive blieb dem Ehrgeizigen nur eine Nebenrolle. Dagegen lehnte er sich auf. Immerhin betrachtete er sich als „Oberster Befehlshaber“ des Bundesheeres, sodass auf Wunsch stets ein Helikopter in Langenlebarn startbereit zu stehen hatte. Aber sonst? Erst in der zweiten Amtsperiode fügte er sich drein.

Das jüngste Kind einer Straßenbahnerfamilie aus Erdberg schaffte nicht nur die Matura, sondern auch ein Studium: Diplomkaufmann 1956, Doktor 1957. Das Studium finanzierte er mit Jobs bei Daimler-Benz in Stuttgart und im Spielcasino von Velden. Die Zugehörigkeit zum katholischen Cartellverband führte ihn folgerichtig zur Volkspartei.

Klestil entschied sich für die Beamtenlaufbahn. Nach drei Jahren bei der OECD in Paris übersiedelte der Wirtschaftsattaché erstmals nach Washington.

Protegiert von Klaus und Kreisky

Es folgten drei Jahre im Kabinett des ÖVP-Kanzlers Josef Klaus, der junge Sekretäre nach Kräften förderte: Heinrich Neisser, Alois Mock, Leo Wallner, Josef Taus. . . Bruno Kreisky hielt viel von dem jungen Diplomaten, machte ihn 1978 zum UN-Botschafter in New York; ab 1982 repräsentierten die Klestils (mit Ehefrau Edith, geb. Wielander) Österreich in Washington.

Alois Mock hatte den Freund nicht aus den Augen verloren. Als er im Kabinett Vranitzky I Außenminister wurde, holte er Klestil als seinen Generalsekretär in die Heimat zurück. Hier knüpfte der nunmehr höchste Beamte des Außenministeriums jene vielfältigen Beziehungen, die ihm als Staatsoberhaupt später zugute kommen sollten.

So bekannt und umtriebig Klestil im Ausland war, so unbekannt blieb er den Österreichern bis zu seiner überraschenden Nominierung als Kandidat 1992. Gleich zwei Frauen betrieben seine Kampagne, die letztlich zum Erfolg führte: Ehefrau Edith und die heimliche Freundin Margot Löffler, Mitarbeiterin im Außenamt. Von der Ménage à trois wussten zwar politische Beobachter, doch man war damals noch diskret. Die VP-Wahlkampfmanager stellten die Kampagne gegen den als Favoriten gehandelten SPÖ-Bewerber Streicher ungerührt auf ein angeblich heiles Familienleben ab – die Zielgruppe war immerhin das konservative Lager.

Klestil gewann, er richtete sich in der Hofburg ein. Ein frischer Wind wehte dort nach der „Bunkerstimmung“ der Ära Waldheim, Klestil holte mit Feuereifer jene Auslandsreisen nach, die Waldheim verwehrt geblieben waren, er initiierte das regelmäßig wiederholte Treffen von zehn europäischen Staatsoberhäuptern, reiste nach Israel, wo er sich zur Mitschuld vieler Österreicher an der Shoa bekannte.

Und er förderte die Beitrittsverhandlungen Österreichs mit der EU. Dass er bei der feierlichen Vertragsunterzeichnung auf Korfu ins Bild drängte, sorgte für erste Irritationen des rot-schwarzen Koalitionskabinetts. Dabei benahm sich Kanzler Vranitzky wie ein wahrer Herr. Klestil hingegen war dabei, die verfassungsmäßige Stellung des Präsidenten so zu strapazieren, dass ihm automatisch Gegner erwachsen mussten.

Dennoch hätte es eine erfolgreiche Präsidentschaft werden können. Doch die privaten und politischen Umstände waren nicht danach. 1994 erfuhr eine überraschte Öffentlichkeit von der Trennung der Eheleute Klestil. Und zwar auf äußerst unwürdige Art und Weise – Klestil hatte sich einer bunten Info-Illustrierten anvertraut. Die vergalt es ihm mit unwandelbarer Treue. Aber sein Misstrauen, seine Reserviertheit nahmen zu. Davon konnten nicht nur die Journalisten ein Lied singen, sondern auch die Einwohner von Mürzsteg. Aus dieser herrischen Pose, die Abwehr und Unsicherheit signalisierte, fand er nicht mehr heraus.

Im September 1996 trat dann erstmals jene seltene lebensbedrohliche Bindegewebserkrankung der Lunge auf, die es ihm erst im Februar 1997 erlaubte, die Amtsgeschäfte wieder aufzunehmen.

Noch eine Amtszeit

Die Turbulenzen nahmen zu. Klestil ließ sich von einem überparteilichen Komitee für eine zweite Amtszeit aufstellen, wurde 1998 mit großer Mehrheit – mangels attraktiver Mitbewerber – wiedergewählt, ließ sich im September nach der Angelobung scheiden und heiratete am 23. Dezember 1998 seine langjährige Freundin. Für seine erste Frau, die Mutter der gemeinsamen drei Kinder, hatte er bei der Scheidung nur noch einen knappen Gruß übrig.

Die moralische Autorität war vertan. Auch politisch musste Klestil nach den Nationalratswahlen 1999 erkennen, dass er wenig Einfluss auf die Regierungsbildung nehmen konnte. Er beauftragte Viktor Klima als Chef der stimmenstärksten Partei, der SPÖ, mit dieser Aufgabe, aber FPÖ und ÖVP waren schneller. Bei einem Gleichstand von je 52 Parlamentssitzen (und einem minimalen Stimmenvorsprung der FPÖ) verzichtete Jörg Haider auf den Anspruch, Bundeskanzler zu werden, ließ Wolfgang Schüssel den Vortritt – und am 4. Februar 2000 musste Klestil die schwarz-blaue Koalition angeloben. Er tat er mit sichtlichem Widerwillen, weil er als Diplomat die in- und ausländischen Reaktionen gegen Jörg Haider abzuschätzen wusste.

Nur Scherben blieben

Seit damals waren die Brücken zum Parteifreund Schüssel abgebrochen. Der Kanzler unternahm nichts, wenn seine Außenministerin Benita Ferrero-Waldner dem Präsidenten Auslandstermine vor der Nase wegschnappte. Daraufhin lud Klestil sie künftig als Reisebegleiterin aus. Ein Eklat, der von den jeweiligen Gastgebern sehr aufmerksam verfolgt wurde. Wenn Klestil Staatsgäste zu bewirten hatte, glänzte Schüssel durch Abwesenheit, bei unerlässlichen gemeinsamen Auftritten (etwa beim Nationalfeiertag 2003) ärgerte er den Präsidenten durch absichtliches Zuspätkommen bis zur Weißglut.

Schimmel in der Amtsvilla

So sah die VP/FP-Regierung auch keinerlei Eile geboten, als die Klestils auf inoffiziellem Wege um eine neue Dienstwohnung vorstellig wurden. Die Amtsvilla auf der Hohen Warte, in den Sechzigerjahren für Franz Jonas angeschafft, erwies sich trotz mehrerer Sanierungen als abgewohnt, doch Schwarz-Blau rührten keinen Finger. Die Öffentlichkeit vermochte das Ehepaar für sein Anliegen auch nicht zu mobilisieren, denn zwischen den Medien und dem Präsidenten herrschte seit Jahren Eiszeit. So blieben die Träume des Präsidentenpaares von einer Döblinger oder Hietzinger Villa – vorderhand – unerfüllt. Erst gegen Ende der zwölfjährigen Amtszeit, 2004, verwirklichten sich der Präsident und seine im Außenamt berufstätige Frau endlich den Wunschtraum mittels Kredit. In der Hietzinger Wenzgasse.

Drei Tage noch, dann wäre diese zweite Amtszeit zu Ende gegangen. Doch am 5. Juli brach der 71-Jährige im Vorgarten, auf dem Weg zum Auto zusammen: Herzinfarkt. Der Chauffeur alarmierte die Rettung, ein Notarzthubschrauber überführte den Bewusstlosen ins Wiener AKH, wo er am 6. Juli verstarb. Einen Monat hatte das Glück im eigenen Haus gedauert.

Die Bundespräsidenten beider Republiken

Nur nominell: Erstes Staatsoberhaupt der Republik Österreich war vom 30. Oktober 1918 bis zum 9. Dezember 1920 der spätere Wiener Bürgermeister Karl Seitz (S) in seiner Eigenschaft als Präsident des von der Nationalversammlung gewählten „Staatsratsdirektoriums“.

Keine Volkswahl. Danach wählte die Bundesversammlung (National- und Bundesrat) das Staatsoberhaupt: Zunächst Dr. Michael Hainisch (1920–1928), dann Wilhelm Miklas (1928–1938). Am 13. März 1938 trat er unter dem Druck der Nazis vom Amt zurück, der kurzzeitige Bundeskanzler Seyß-Inquart übte die Funktion aus, dann ging Österreich im Deutschen Reich auf.

Verlegenheitslösung. Auch der erste Bundespräsident der 2. Republik wurde noch vom Parlament gewählt: Dr. Karl Renner (1945–1950).*

Und dann die Volkswahl. Erst jetzt durfte das Bundesvolk wählen: General a. D. Theodor Körner (1951–1957),*

Dr. Adolf Schärf (1957–1965),*

Franz Jonas (1965–1974),*

Dr. Rudolf Kirchschläger (1974–1986),

Dr. Kurt Waldheim (1986–1992),

Dr. Thomas Klestil (1992–2004),*

Dr. Heinz Fischer (seit 2004). [* Verstorben in der Amtszeit]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2012)

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