Hoffentlich wirklich keine Olympia-Medaille

Den Olympia-Teilnehmern muss man danken. Mit ihrem Versagen erzwingen sie eine Diskussion über die Fehler im Sportsystem. Gestritten wird immerhin schon

Den österreichischen Olympia- Teilnehmern muss man in Wahrheit ernsthaft von ganzem Herzen danken. Endlich haben sie die Gelegenheit wahrgenommen, eine breite Diskussion loszutreten. Eine hitzige Debatte über Sinn und Unsinn der Förderung des heimischen Spitzensports, der bei den Wettkämpfen in London bisher schonungslos demaskiert wurde.

Rot-Weiß-Rot ist nur ein Mitläufer, mit den Medaillenentscheidungen hat das Team Austria nichts zu tun, nur wenige Athleten waren in der Lage, ihr tatsächliches Potenzial abzurufen. Sie waren bisher die Ausnahmen der Regel, weil die Olympia-Touristen überhandgenommen haben. London hält dem österreichischen Sport nun beinhart den Spiegel der Realität vor, international gesehen sind wir in London die an sich bei Olympia so beliebten „Exoten“. Dass die Enttäuschung nun über das kollektive Versagen so groß ist, hat mit der Einschätzung einiger Fantasten, die völlig illusorische Medaillenhoffnungen erfunden haben, zu tun. Denn internationale Fachmagazine haben im Vorfeld der Sommerspiele Österreich ohnedies nur ein Mal Edelmetall zugetraut.

Die Fachleute sitzen also im Ausland, die Schönredner findet man bei uns. Nichts anderes als Realitätsverweigerer. Aber weil die Wahrheit oft so wehtut, klammern sich die Sportfunktionäre immer noch an ein Wunder, auf dass sich die drohende und immer wahrscheinlich werdende Nullnummer bis Sonntag noch abwenden lässt.

Damit im heimischen Sport endlich ein Umdenken eintritt, muss man fast schon darauf hoffen, dass aus dem Unglück von London noch so ein richtiges Debakel wird. Die Verantwortung dafür übernimmt niemand, stattdessen hagelt es nur wilde Schuldzuweisungen. Der Sportminister poltert, er prangert die Verhinderer an, legt sich mit den Dachverbänden und sogar mit Parteifreunden an. Norbert Darabos, der das neue Sportförderungsgesetz immer noch nicht durchgebracht hat, spricht von einem Kampf gegen Windmühlen. Die Bundessportorganisation (BSO) kontert auf die Kritik mit dem Vorwurf, über die Hintertür eine Art Staatssport einführen zu wollen. Aber bislang hat das Prinzip Gießkanne automatisch zu Misserfolgen geführt. Die rund 80 Millionen Euro, die dem österreichischen Sport zur Verfügung stehen, versickern. Auch in doppelter und dreifacher Bürokratie. Und bei der Vielzahl an Förderungsmodellen, die man in den vergangenen Jahrzehnten eingeführt hat, ist es fast schon unmöglich, den Überblick zu bewahren. Kaum einer weiß noch so ganz genau, wer eigentlich wofür zuständig ist.

Sportfunktionären fehlt es an einer Streitkultur, der Kampf um die eigenen Schrebergärten hat längst eingesetzt, ein Reformwille ist bei vielen nicht erkennbar, es geht um Geld, Macht und Einfluss. Das zieht sich durch alle Parteien, noch immer werden etliche Verbände von der Farbenlehre und von echten Funktionärmultis und Bürokraten beherrscht. Erfahrene Olympia-Teilnehmer oder Spitzentrainer findet man in den Führungsetagen der Vereine beziehungsweise Verbände selten. Am System krankt es schon lange, aber Ausnahmeathleten haben die Missstände in der Vergangenheit immer wieder zugedeckt. Viele erfolgreiche österreichische Sportler waren keine Kinder des Systems, sie haben an den Erfolgen im Ausland oder in Eigenregie geschmiedet. Ein Peter Seisenbacher („Leistungssport bedeutet in erster Linie Schmerzen“), Doppelolympiasieger im Judo, hat sich in Japan alles angeeignet, um der Beste zu werden, Markus Rogan in seiner besten Zeit in Amerika. Andere fanden ihr Glück durch europäische Topbetreuer. Aber nach dem Großreinemachen nach dem Olympiaskandal von Turin 2006 haben etliche Sportexperten das Land verlassen. Der Quell des Heeressports ist auch schon einmal ertragreicher gesprudelt, der Schulsport liegt ohnedies im Argen.

Wenn der Sport nun nach London die Gelegenheit nicht nützt, über eine Totalreform nachzudenken, ist ihm nicht mehr zu helfen. Aber wen wundert das alles wirklich? Den meisten Österreichern ist doch sogar Passivstport viel zu anstrengend.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2012)

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