Der kürzlich verurteilte Ex-Premier kritisierte "Rezessions-Regierungschef" Monti scharf - und erwägt, dem Fachleutekabinett vor dem Ende der Legislaturperiode das Vertrauen zu entziehen.
Lange Zeit war es still um Silvio Berlusconi. Nachdem er, bedrängt von Affären und Prozessen, im vergangenen November als italienischer Regierungschef unter Schmährufen und Pfiffen abtreten musste, hatte der 76-Jährige mehrere Monate fern vom Rampenlicht verbracht. Doch das am Freitag gefällte Urteil der Mailänder Richter, die Italiens TV-König wegen Steuerbetrugs zu vier Jahren Haft verurteilten, hat den Löwen in Berlusconi wieder geweckt. Der gebürtige Mailänder mit den saloppen Sprüchen und den Macho-Allüren gönnte sich eine Auszeit im prestigereichen Urlaubsressort seines Freundes Flavio Briatore im kenianischen Malindi, unterzog sich einer strengen Diät und kämpfte laut seinen engsten Mitarbeitern mit einer schleichenden Depression. Jetzt ist er zurück: Kämpferischer denn je will der lombardische Lebemann zurück auf das politische Parkett und droht jetzt sogar, das Fachleutekabinett seines Nachfolgers Mario Monti zu stürzen.
Am Tag nach dem Mailänder Urteil griff Berlusconi bei einer fast zweistündigen Pressekonferenz die Justiz an, nannte seinen Nachfolger Monti einen "Rezessions-Regierungschef" und übte wegen ihrer Haltung in der Euro-Schuldenkrise scharfe Kritik an Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel. Angesichts der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung des Landes werde sein Mitte-Rechts-Block in den kommenden Tagen entscheiden, ob man Monti das Vertrauen entziehen oder das Ende der Legislaturperiode abwarten werde, warnte Berlusconi, der zwei Jahrzehnte lang den Stiefelstaat geprägt hat.
Seine Worte stürzen die seit fast einem Jahr in Rom amtierende Übergangsregierung aus Technokraten in die Ungewissheit. Die Legislaturperiode könnte unter den Hieben des unberechenbaren Berlusconi schon vor ihrem geplanten Ende im kommenden März zu Ende gehen.
"Volk der Freiheit" stärkste Einzelpartei
Berlusconis Mitte-rechts-Partei "Volk der Freiheit" (PdL - Popolo della libertá) ist die stärkste Einzelpartei in der heterogenen Koalition, die Montis Fachleuteregierung unterstützt. Sie wird auch vom Mitte-links-Block und von einigen Zentrumsparteien getragen.
Sollte der 69-jährige Monti die Unterstützung von Berlusconis Partei verlieren, müsste er zurücktreten. Das wäre ein harter Schlag für das Ansehen Italiens, das seit Monaten um das Vertrauen an den Finanzmärkten kämpft, um nicht unter den Euro-Rettungsschirm schlüpfen zu müssen. Vor allem würde dies auf internationaler Ebene große Bedenken über die Fähigkeit des Landes auslösen, den von Monti in die Wege geleiteten Sparkurs und Reformprozess zu Ende führen zu können.
Berlusconi will zwar nicht für die Wahl im Frühjahr 2013 als Spitzenkandidat seiner Partei antreten. Trotzdem will er sich für eine klare Kursänderung in Italien einsetzen. Monti beschuldigte er, mit seinem brutalen Sparkurs die Wirtschaft in eine Rezessionsspirale ohne Ende getrieben zu haben. Die Steuerzahler seien wegen des aggressiven Verhaltens des Fiskus im Kampf gegen die ausufernde Steuerhinterziehung verunsichert.
Er wolle sich für die Abschaffung der verhassten Immobiliensteuer und des Verbots einsetzen, Beträge von über 1000 Euro bar zu zahlen, versicherte der Ex-Premier. "Den Italienern geht es schlecht, sie haben Angst vor dem Fiskus, sie haben Angst, ihr Geld auszugeben. So liegt die Wirtschaft lahm und die Unternehmen gehen pleite", erklärte Berlusconi. Noch nie hatte der langlebigste und umstrittenste italienische Politiker seit der Nachkriegszeit die wirtschaftspolitische Linie seines Nachfolgers so scharf kritisiert.
Monti: "No comment"
Monti reagierte mit einem "No comment" auf die unerwartete Attacke des TV-Königs. Mitarbeiter des Ex-EU-Kommissars erklärten hinter vorgehaltener Hand, der Wirtschaftsprofessor halte eine politische Krise in Rom für unwahrscheinlich. Italien müsse noch zu vielen internationalen Verpflichtungen nachkommen, um sich in dieser Phase eine Krise erlauben zu können.
In der Ansprache bei einem Seminar in Rom gab Monti zwar zu, dass seine Regierung einige Fehler gemacht habe. "Ich bin aber auf unsere Beschlüsse stolz. Wir haben bewiesen, dass wir uns bei den Bürgern Gehör verschaffen können, ohne schreien und falsche Versprechen machen zu müssen", kommentierte Monti.
Obwohl er kühle Nerven bewahrt, ziehen sich dunkle Wolken an Montis Horizont zusammen. Seine Popularität sinkt, die Wirtschaftskrise ist stärker denn je, am Samstag gingen Zehntausende in Rom auf die Straße, um gegen seine Krisenpolitik zu demonstrieren. Die Demonstranten folgten einem Aufruf kleinerer linker Parteien, Vereine und Gewerkschaften, im Rahmen eines "No-Monti-Day" gegen die Sparmaßnahmen der Regierung zu protestieren. Am Rande des Protestzuges in der Hauptstadt gab es Ausschreitungen. "Mit einem Europa, das sich auflehnt, lasst uns die Regierung Monti verjagen", stand auf einem riesigen Spruchband am Kopf des Demonstrationszuges. Der Premier hofft, dass dies nicht allzu früh eintreten wird.
Die Ära von Silvio Berlusconi als italienischer Premier war geprägt von unzähligen Fettnäpfchen. Eine Auswahl seiner größten Peinlichkeiten: AP, Gregorio Borgia
2010 brachte die damals 17-jährige Marokkanerin „Ruby Rubacuori“ mit Berichten über wilde Partys in der Villa des Ministerpräsidenten eine von Affäre ins Rollen, die Berlusconi schließlich sogar vor Gericht brachte. Bei einem Polizeiverhör wegen Diebstahls gab Ruby pikante Details zu Protokoll: Sie habe öfter in der Villa des Ministerpräsidenten übernachtet und dafür teure Geschenke bekommen; regelmäßig seien Scharen junger Frauen vorgefahren worden, unter anderem, um „Bunga-Bunga“ zu tanzen. Der Ministerpräsident soll die damals Minderjährige nicht nur für Sex bezahlt, sondern persönlich bei der Mailänder Polizei interveniert haben, um sie frei zu bekommen. (c) EPA
Zur Rechtfertigung seiner Sex-Affären meinte Berlusconi: "Ich stehe lieber auf junge Frauen, als schwul zu sein." (c) EPA (Massimo Percossi)
Immer wieder sorgte Berlusconi mit sexistischen Sagern für Wirbel. So antwortete er einer Studentin auf deren Frage, wie junge Paare ohne sichere Arbeitsplätze in Italien eine Familie gründen könnten: "Als Vater rate ich ihnen, einen Sohn Berlusconis oder einen ähnlichen Mann zu heiraten, der nicht solche Probleme hat. Mit ihrem Lächeln können Sie sich das ja leisten." AP, Lucio Bruno
2005 verärgerte er die finnische Regierung, als er damit prahlte, er habe bei der finnischen Präsidentin Tarja Halonen seine "Playboy- Künste" aufbieten müssen, um im Kampf um die EU-Lebensmittelbehörde die Nordländer zum Einlenken zu bewegen. "Man muss alle Waffen einsetzen, die man zur Verfügung hat", sagte er bei der Einweihung der Behörde in Parma. Aus Protest wurde Italiens Botschafter daraufhin ins Außenministerium in Helsinki zitiert. Reuters
Die Linke Italiens empörte er im Wahlkampf mit dem Satz: "Unsere Frauen sind einfach schöner als Eure". Reuters, Tony Gentile
Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz sprach sich sein albanischer Amtskollege Sali Berisha vehement gegen Menschenhandel aus. Daraufhin schaltete sich Berlusconi ein: "Wir machen gern für einige hübsche Frauen eine Ausnahme." (c) REUTERS (ALESSANDRO BIANCHI)
Seine Schönheits-OPs brachten Berlusconi immer wieder Spott ein. Der eitle Cavaliere ließ sich liften ("nur unter den Augen", wie er behauptete) und unterzog sich einer Haartransplantation. (c) REUTERS (� Alessia Pierdomenico / Reuters)
Bei einem Treffen der EU-Außenminister im Jahr 2002 konnte er sich nicht verkneifen, bei einem Gruppenfoto hinter dem Kopf seines spanischen Kollegen Josep Pique zwei Finger hervorluken zu lassen - was in Italien so viel heißt wie "gehörnter Ehemann" ("cornuto"). Reuters, Desmond Boylan
Im Juli 2003 kam es im Europäischen Parlament zum Eklat, als Berlusconi zum deutschen SP-Europaabgeordneten Martin Schulz sagte: "Herr Schulz, ich weiß, dass ein Produzent in Italien gerade einen Film über die Konzentrationslager der Nazis dreht. Ich werde Sie für die Rolle des Kapo (Lagerkommandant) vorschlagen. Sie wären perfekt." EPA
Zum Leidwesen von Berlusconis (mittlerweile Ex-)Ehefrau Veronica Laria konnte Berlusconi das Flirten nie lassen. "Wenn ich nicht schon verheiratet wäre, würde ich sie sofort heiraten", schwärmte er im Januar 2007 von Mara Carfagna, einer Parteifreundin und früheren Miss-Italien-Kandidatin. (c) EPA (Giuseppe Giglia)
Im Wahlkampf 2006 ließ er sich zur Behauptung hinreißen, in Maos Volksrepublik China hätten die Kommunisten nicht kleine Kinder gegessen, sondern sie "gekocht, um damit die Felder zu düngen". Reuters, Max Rossi
Im August 2008 machte Berlusconi überraschenderweise mit Prüderie Schlagzeilen. Er ließ eine Kopie des Gemäldes "Die von der Zeit enthüllte Wahrheit" von Giovanni Battista Tiepolo so umarbeiten, dass die nackten Brüste der darauf abgebildeten Frau nunmehr bedeckt waren. Das Bild hängt in dem Saal, in dem der Premier seine Pressekonferenzen hält - und er wolle den TV-Zuschauer "nicht beleidigen", erklärte er. (c) AP (ANDREW MEDICHINI)
Als Barack Obama die Wahl gewann, gratulierte Berlusconi - so wie viele seiner internationalen Amtskollegen. Bei ihm hörte sich die Sympathiebekundung jedoch wohl etwas anders an als bei den anderen: "Wir wären gerne alle so gebräunt wie Naomi Campbell und Obama", erklärte Berlusconi. Er betonte, dass dies als Kompliment gemeint war. Bereits einige Wochen zuvor hatte er den damals noch wahlkämpfenden Obama als "jung, ansehnlich und sogar gebräunt" bezeichnet. (c) REUTERS (Dylan Martinez)
Nach einer Serie von Vergewaltigungen in Rom forderte Berlusconi den Einsatz des Militärs zum Schutz der Frauen. An sich ja eine lobenswerte Idee. Jedoch nicht, wenn sie mit den Worten "Wir müssten so viele Soldaten haben, wie es in Italien schöne Frauen gibt. Ich glaube, wir werden es nie schaffen" transportiert wird. (c) AP (GREGORIO BORGIA)
Als in den Abruzzen die Erde bebte und mehr als 250 Menschen in den Tod riss, verglich Berlusconi die Lage der rund 17.000 überlebenden, aber obdachlos gewordenen Opfer mit einem Campingurlaub. Seiner Ansicht nach fehlte es den in Zeltlagern untergebrachten Menschen an nichts, sie hätten warmes Essen und medizinische Versorgung. "Natürlich" sei ihre Unterbringung "absolut provisorisch, aber man muss es eben nehmen wie ein Campingwochenende". (c) REUTERS (Chris Helgren)
Bei einer Rede vor Arbeitern eines von der Schließung bedrohten Fiat-Werkes in Süditalien erklärte der Premier, Arbeitslose sollen "sich etwas zu tun" suchen und nicht "tatenlos herumstehen". (c) REUTERS (Pool)
Auch sein Selbstbild kratzt haarscharf an der Realität vorbei. Berlusconi wörtlich: "Ich bin der Jesus Christus der Politik, ein Opfer, ich bin geduldig und erleide alles, ich opfere mich für alle." (c) EPA (Filippo Monteforte)
Er sieht die Verurteilung wegen Steuerbetrugs als Justizfehler und sich als Opfer eines Komplotts unter deutscher Führung. Als Spitzenkandidat will er aber nicht mehr antreten.
Italiens multipel gescheiterter Ministerpräsidenten-Darsteller kündigt nach seiner Verurteilung wegen Steuerbetrugs ein politisches Comeback an. Das ist eine gefährliche Drohung für ganz Europa.