Mitt Romney: Familienmensch und Rechner

(c) REUTERS (BRIAN SNYDER)
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Der "wahre" Mitt Romney kommt in der Mormonen-Kirche und seiner Familie zum Vorschein. Sein Vater, George, ein Gouverneur, prägte ihn am stärksten. Er verkörperte den Idealtypus des Politikers mit Rückgrat.

Washington. Auf dem Campus der Stanford University im kalifornischen Palo Alto, im Herzen des Silicon Valley, gehörte Mitt Romney, gescheitelt und adrett in Anzug und Schlips, einer Minderheit an. Wie in Berkeley, dem linken Uni-Rivalen in der Bucht von San Francisco, tobte in Stanford Mitte der 1960er-Jahre die Kontroverse um den Vietnam-Krieg.

Der 19-jährige „Frischling“ aus behütetem Haus hielt Solidaritätsaktionen mit den US-Truppen in Indochina ab – und interessierte sich ansonst mehr für das Footballteam und seine Freundin Ann im fernen Michigan. Um sie zu treffen, fuhr er an einem Wochenende die weite Strecke sogar mit dem Auto. Und als sein Vater George, der Gouverneur von Michigan, einmal den Campus besuchte, war er von Stolz erfüllt.

Mitt Romney vergötterte seinen Vater. George Romney verkörperte den Idealtypus des zupackenden Managers und Politikers mit Rückgrat, der den Parteitag der Republikaner 1964 aus Protest gegen die Polemik gegen die Bürgerrechtsbewegung verließ und auch die eigene Mormonen-Kirche wegen ihres Rassismus schalt.

Umso härter traf es ihn, als sein Vater sein Urteil über den Vietnam-Krieg revidierte und dafür in seiner eigenen Partei durch Sonne und Mond geschossen wurde. George Romney war 1968, als sein Sohn Mitt bereits als Mormonen-Missionar durch Frankreich zog, als Favorit gegen Richard Nixon in den republikanischen Präsidentschaftswahlkampf gestartet. Als der Gouverneur indes nach einem Truppenbesuch in Vietnam das „Brainwashing“ – die Kopfwäsche – durch die US-Generäle kritisierte, war es um seine Chancen geschehen. Unter diesem Eindruck wandelte sich auch Mitt zum Kriegsgegner.

Mitts Lektion

Nach einem schweren Autounfall in Südfrankreich, wo ihn ein Arzt schon für tot erklärt hatte, kehrte er verwandelt und ernster in die USA zurück. Er heiratete, begründete eine Familie und war bereit, Verantwortung zu übernehmen – in der Mormonen-Kirche als Bischof, in der Geschäftswelt als Chef der Investmentfirma Bain Capital und schließlich in der Politik. Aus dem „Scheitern“ seines Vaters zog er indessen eine Lektion: niemals eine Position so vehement einnehmen, ohne nicht eine Rückzugsvariante offen zu haben.

Vorsicht, Pragmatismus und nicht zuletzt Opportunismus prägen daher den Charakter des Ex-Gouverneurs von Massachusetts. Als Senatskandidat versuchte er 1994 Ted Kennedy als linksliberaler Vorkämpfer für Schwulenrechte zu übertreffen. Als Gouverneur suchte er die Kooperation mit der demokratischen Mehrheit und machte deren Herzenssache, die Gesundheitsreform, zu seinem Leibprojekt, mit dem er sich auf nationaler Bühne profilierte. Das rang selbst Ted Kennedy Respekt ab, der ihn Jahre zuvor noch als „Multiple-Choice-Mitt“ abqualifiziert hatte – ein Vorwurf, der ihn auch heuer wieder einholte.

Mitt Romney macht, was ihm nutzt. Er taktiert wie ein kühler Rechner – ein Zahlenmensch und Analytiker. Das riskante Jobangebot bei Bain Capital sicherte er durch eine Rückzugsoption bei der Exfirma ab. Bei langen Urlaubsfahrten nach Kanada kalkulierte er einen Tankstopp ein – Ausnahme war ein WC-Stopp für Ann.

Am deutlichsten tritt sein Charakter in der Kirche und bei seiner Familie zutage. Da kommt der „wahre Mitt“ zum Vorschein, der Familienmensch, der großzügig Spenden an Not leidende Familien leistet und in der Nachbarschaft hemdsärmelig anpackt, wo Not am Mann ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2012)

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