Buch der Woche

Ich kotze ruhig und rhythmisch

Das Werk der in Leipzig lebenden Autorin erscheint in der Wiener Edition Korrespondenzen. 
Das Werk der in Leipzig lebenden Autorin erscheint in der Wiener Edition Korrespondenzen. Imago / Panama Pictures
  • Drucken

Krieg und Klimaerwärmung verbreiten das Gefühl von Ohnmacht und Verlust. Wie soll man mit diesen Emotionen umgehen, und wie mit den Krisen? Anja Utlers Lyrikband „Es beginnt. Trauerrefrain“ . Die Autorin erhält kommende Woche den Ernst-Jandl-Preis.

Es beginnt der Tag, / der Ort, die Spitze – Punkt wo / Welt zusammenläuft / ins kleine Hier ist ich; ist –“ lautet eines der kurzen, an Haikus angelehnten Gedichte in Anja Utlers Band „Es beginnt. Trauerrefrain“. Die Diskrepanz zwischen dem Ich und der Welt, die an dieser Stelle anklingt, ist ein menschliches Dilemma und ebenso eine Facette des Trauerns. Es ist kein Trauern um einen einzelnen Menschen, um das es hier geht, sondern ein Ohnmachts- und Verlustgefühl der Autorin, ausgelöst durch den russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022.

Die 1973 im deutschen Schwandorf geborene Anja Utler hat ihren Gedichten einen Essay beigestellt, in dem sie diesem Trauergefühl analytisch und philosophisch auf den Grund geht und gleichzeitig die Opposition von Emotion und Rationalität problematisiert. Gleich zu Beginn stellt sie selbst – die sie keine direkte Betroffene des Krieges ist – die Frage nach der Legitimität ihrer Gefühle, die so stark wurden, dass sie ihr bisheriges Leben und Schreiben nicht mehr in gewohnter Weise weiterführen konnte. Damit wirft sie Fragen auf, die vermutlich in jeder Gesprächsrunde heftige Kontroversen provozieren: Darf ich eines Krieges wegen trauern, auch wenn ich kein direktes Opfer bin? Gibt es für solche Situationen ein angemessenes Verhalten? Und was tun, wenn meine Gefühle stärker sind als die Konventionen?

Vergangenheit nicht erreichbar

Ihr Umfeld begegnet der Dichterin zunehmend mit Unverständnis, wie ein Chor treten die Freund:innen in ihrem Hinterkopf – und ihrem Essay – auf, und nicht selten sind die Reaktionen Scham und Selbsthass. Utler beschränkt sich in ihren Ausführungen nicht nur auf den Krieg. Vielmehr geht es ihr um Emotion als gesellschaftliches Tabu oder eng abgezirkeltes Terrain, wie im Falle der Trauer, deren „Kontingente . . . penibel und argwöhnisch abgemessen (werden) – in Bezug auf ihre Dauer etwa, ihren Ausdruck und exakte Näherelationen . . . “.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.