Indien. Die Journalistin Rana Ayyub wird von der Regierungspartei und Hindu-Nationalisten bisweilen brutal angegriffen. Die Pressefreiheit sei in ihrem Land längst nicht mehr gegeben.
„Die Presse“: Indien ist bei der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen wieder abgerutscht und belegt den 161. Rang von insgesamt 180. Wie steht es um die Medien im Land?
Rana Ayyub: Als Indien abgerutscht ist, war die Antwort der Regierung: Die Reporter ohne Grenzen seien ohnehin von George Soros gegründet! Soros ist natürlich der Lieblingsgegner von allen. Wir haben einen Premierminister (Narendra Modi, Anm.), der seit seinem Amtsantritt, seit neun Jahren, keine einzige Pressekonferenz gegeben hat. Wir hatten bis zu den Modi-Jahren respektable News-Kanäle, die regelmäßig Korruptionsfälle aufgedeckt haben. Heute haben wir den Korruptionsfall rund um Gautam Adani (dem Vertrauten Modis wird unter anderem Manipulation an der Börse vorgeworfen, Anm.), und wer hat darüber berichtet? „Bloomberg“, „Wall Street Journal“ und „Financial Times“. Indische Medien hingegen haben die Regierung verteidigt. Heute geht es den Journalisten um Selfies mit dem Premierminister. Indien ist die größte Demokratie der Welt, diese Entwicklung hat daher eine Bedeutung.
Indien ist heuer G20-Gastgeber, eben erst war Modi auf Visite in den USA.
Überall im Land sehen wir Poster mit dem Schriftzug: „Die Mutter der Demokratie empfängt G20.“ Es ist demokratisches Bullshitting. Als die Covid-Pandemie ausbrach, hat die ganze Welt über die verheerende Lage in Indien berichtet, bei uns stapelten sich die Körper der Opfer. Die indischen Medien hingegen haben die Muslime verantwortlich gemacht, diese würden einen „Covid-Jihad“ führen – und das wurde von Ministern wiederholt. In einer normalen Welt würden die Medien die Regierung zur Verantwortung ziehen, sie würden fragen: Warum ist kein Sauerstoff vorhanden? Es fühlt sich an wie in einer dystopischen Welt.
Als Kind einer muslimischen Familie haben Sie die Bombay-Ausschreitungen Anfang der 1990er-Jahre miterlebt.