175 Jahre „Die Presse“

Lieber Leser! Wie erreiche ich dich?

Hans-manuel Reinartz
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Journalismus 1848. Das war Neuland: Journalisten mussten sich aus der Rolle der Befehlsempfänger lösen und die Leser objektiv über das Geschehen informieren.

Wie gründet man in dem publizistischen Gedränge des Jahres 1848 eine Zeitung, vor allem aber: Wie macht man sie relevant? Wie schafft man ein journalistisches Berufsethos?

Publizisten gab es ja zu dieser Zeit zur Genüge, sie überdachten das tägliche Geschehen und bezogen Stellung. Ihr besonderes Merkmal war die Parteilichkeit, sie bedienten den öffentlichen Markt der Meinungen, die sie mit Leidenschaft vertraten. Waren sie gut, positionierten sie mit ihren Kommentaren Widerhaken im täglichen Geschehen und wurden „Erzieher des Augenblicks“, indem sie das Verlangen der Leserschaft nach geistiger Führung erfüllten.

Doch die neue Zeit verlangte nach unparteilicher Information. Die wissensdurstigen Bürger wollten mehr über das politische Geschehen in ihrem Land und im Ausland erfahren, wollten am öffentlichen Diskurs teilhaben und begnügten sich nicht mehr mit den Lokalnachrichten. Der Journalist, der „berufsmäßige Mann der Feder“, sollte die Funktion als Berichterstatter der Tagesereignisse übernehmen und Tatsachen mitteilen, nicht immer nur Kritik und Meinung. Er sollte schreiben, um das Volk über die jüngsten Nachrichten und Ereignisse zu informieren, und sich nicht von staatlichen Vorgaben beeinflussen lassen.

Der Wissensdurst der Bürger

Indifferentismus, Sachlichkeit, Objektivität wurde von ihm verlangt, um die gesellschaftliche Kommunikation zum Funktionieren zu bringen. Der Journalist sollte versuchen, pluralistisch zu berichten, „ohne Hass und Gunst“ die Interessen der Leser zu berücksichtigen und so viele Quellen wie möglich zu sammeln, um möglichst keine subjektive Berichterstattung abzuliefern. Das war nicht leicht: Wenn er Nachrichten selektierte, die ihm wichtig oder weniger wichtig erschienen, handelte er subjektiv. Zudem konnte er sein territoriales, konfessionelles und soziales Ambiente, das ihn geprägt hatte, nicht am Eingang der Redaktion abgeben.

In Zeiten von Revolutionen, in denen Ideologien verbreitet und Propaganda gemacht wurde und jedes Zeitungsorgan nach Einfluss gierte, waren passionslose Berichterstattung und getreue Wiedergabe fast undenkbar. Sogar die „Wiener Zeitung“ geriet 1848 aus dem Gleichgewicht, plötzlich boten ihre Spalten ein buntes Sammelsurium unterschiedlichster politischer Meinungen. Man stand in einem Lager und vertrat es. Dazu gehörte die Auswahl der Meldungen aus dem Ausland.

Mitreißende Berichte aus Frankreich, von dem der revolutionäre Funke auf ganz Europa überspringen sollte, füllten viele Spalten. „Es lebe die Freiheit!“, tönte es im Februar 1848 durch die Pariser Straßen und kurz darauf auch durch das kaiserlich privilegierte Traditionsblatt.

Blätter wie „Die Constitution“, „Der Freimüthige“ und „Der Radikale“ setzten sich in scharfem Ton für einen vollständigen politischen Umsturz ein. Journalisten wie Hermann Jellinek entwickelten mit zündender Rhetorik politische Programme, die alle Zeichen von Frühsozialismus trugen, forderten die Aufhebung des Adels, Befreiung der Bauern, Gleichheit aller Menschen, Zertrümmerung der Besitzprivilegien. Nicht selten wechselten sie auf die Seite der politischen Kämpfer. Was sie vorbrachten, war nicht mehrheitsfähig, angesichts der immer noch positiven Einstellung zur Monarchie. Dazu kam: Zeitungen, die in Optik und Inhalt wirkten wie ein Flugblatt, mochten zwar für ein paar Stunden Gesprächsstoff liefern, doch damit war noch kein Abonnent auf Dauer zu gewinnen.

Wie wäre es stattdessen mit einer Zeitung, die Fortschritte und Reformen verlangte, aber sich auch Kritik an den Eskapaden der Revolutionäre erlaubte? Und die auch kommerziell Erfolg hatte? Es war naheliegend, sich im Ausland umzusehen. Da hatte es etwa in Frankreich 1836 eine publizistische Revolution gegeben: Ein Zeitungsgründer und Journalist, Émile de Girardin, glaubte an die Presse als eigenständige Macht. Sein Organ, „La Presse“, war so erfolgreich, dass viele glaubten: Nun war das Buch endgültig überholt, die Literatur am Ende, zumindest was den politischen und kulturellen Diskurs in der Öffentlichkeit betraf.

Girardin krempelte das alte Zeitungsmodell der Meinungspresse, das einer begrenzten und wohlhabenden Leserschaft vorbehalten war, um, er wurde nicht mehr und nicht weniger als der Begründer der modernen Tageszeitung. Er führte schrittweise Werbung ein, um den niedrigen Abonnementpreis zu halten. Das bedeutete: Er eröffnete den Mittelschichten die Teilnahme am öffentlichen Leben.

Die Zeitungsspalten wurden von ihm weit geöffnet für Fortsetzungsromane renommierter Autoren wie Alexandre Dumas und Honoré de Balzac. Er baute so das Feuilleton, das nur der Literatur- und Theaterkritik gewidmet war, aus, es bot Lesestoff, auch für die Damenwelt. Zudem lancierte Girardin mithilfe seiner Zeitung Privatkampagnen gegen die herrschende Korruption und erzwang dadurch Neuwahlen. So gelangen ihm hohe Auflagenzahlen, die dann erst wieder gegen Ende des 19. Jahrhunderts erreicht wurden.

„Prince de la Presse“

Einer, der sich dieses Modell, diese journalistischen und politischen Kniffe und Winkelzüge genau anschaute, war ein Österreicher, der gerade in Paris lebte. August Zang, geboren 1807, hatte lang nicht zu einer geregelten bürgerlichen Karriere gefunden, bis er in Paris eine erfolgreiche Großbäckerei eröffnete und „Wiener Kipferln“ verkaufte. Das war 1838, und spätestens als das Haus Rothschild seine Equipage vorbeischickte, um tägliches frisches Frühstücksgebäck abholen zu lassen, war Zang ein gemachter Mann. Tout Paris wollte seine Ware. Auf seine rein maschinelle Fertigung war der angehende Pariser Großbäcker stolz.

Émile de Girardin wurde damals allgemein als „Prince de la Presse“ bezeichnet, als Prinz des Journalismus. Das faszinierte Zang: Hier machte ein Mann eine seriöse, allgemein geachtete Tageszeitung, fand dadurch Zugang zu den besten Kreisen der Stadt, gewann politischen Einfluss – und scheffelte Geld.

Eine Zeitung nach Pariser Vorbild

Nun war Schluss bei dem österreichischen Expat mit dem Kipferlbacken. Das, was Girardin in Paris erreicht hatte, wollte er in Wien realisieren. Er musste nur nach zehnjähriger Abwesenheit wieder den geistigen Anschluss an die Stadt finden. Doch alles, was er anpackte, tat er mit Leidenschaft und Feuer, sei es die Einrichtung einer Backstube, sei es die Gründung einer Redaktion.

Die Zeitumstände, der Sturz Metternichs und die Entmachtung der Zensurbehörde, waren wie geschaffen dafür. Bereits am 8. April trat Zang mit einem Flugblatt nicht gerade bescheidenen Zuschnitts an die Öffentlichkeit: Nicht mehr und nicht weniger als die „Lebensfrage für die österreichische Monarchie“ war sein Thema. Darunter tat er es nicht.

Gleich tauchten die ersten publizistischen Gegner auf, sie verbissen sich regelrecht in ihn, den „Kipferlbäck“: „Herr Zang, ehemaliger Bäckermeister, entblödet sich nicht, von Geist, von Talent, von Fähigkeit zu sprechen, von Dingen, die man nicht vom Backtrog abkratzt und sich zu eigen macht.“

August Zang ging es um nicht mehr und nicht weniger als darum, die erfolgreichste Zeitung Wiens zu machen – und es gelang. Er benannte sein Produkt nach dem französischen Vorbild, er war Eigentümer und Herausgeber der am 3. Juli 1848 erstmals erscheinenden Tageszeitung „Die Presse“.

Das Vorbild

„La Presse“ wurde 1836 von Émile de Girardin in Frankreich gegründet und war für den Zeitungsmarkt revolutionär. Die alte Meinungspresse hatte ausgedient, schrittweise wurde Werbung eingeführt, um niedrige Abonnementpreise zu halten. Fortsetzungsromane erschienen im Feuilleton und gewannen Frauen als Leserinnen.

Jubiläum

Welche Zukunft haben Liberalismus und Meinungsfreiheit? Diese Frage stellte sich im Revolutionsjahr 1848, als „Die Presse“ erstmals erschien. Und sie stellt sich heute mehr denn je. In unserem Schwerpunkt zum Jubiläum blicken wir zurück und nach vorne.

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