175 Jahre „Die Presse“

Zeitunglesen zwischen den Zeilen

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Gastkommentar. Was für eine Zeitung maßgeblich ist, sind einzig die drei Kriterien Information, Kommentar und Ausdrucksform. Über Leserbriefe, Lustmolche und „letzte“ Interviews.

Die Lektüre von Zeitungen macht Freude und befriedigt meine Neugier, sprich die Gier nach neuem, lässt aber auch Lustiges und Listiges zwischen den Zeilen erkennen. Es soll bereits den naiven Anfänger unter den Redakteuren geben, für den mit dem Leserecho die Stunde der Wahrheit schlägt. Abgedruckt wünscht er sich freilich nur die positiven Reaktionen. Schlimm ist es, wenn es aber nur Negative gibt. Der Mutige schreibt unter Pseudonym sich selbst eine lobende Meinung, so zumindest der Eindruck, der beim Leser entsteht. Der schreibenden Zunft geht es dabei aber immer noch besser als Schauspielerinnen und Schauspielern, wenn diese von Theaterkritikern verrissen werden. Der Mime ist wehrlos, kann nicht herumtricksen, sondern nur weiterspielen.

Der Autor

Prof. DDr. Antal Festetics (* 1937) studierte Zoologie in Wien und lehrt Wildbiologie an der Universität Göttingen. Er war Begründer des WWF Österreich, Initiator des Nationalpark Neusiedler See und „Hainburg-Kämpfer“ für den Nationalpark Donauauen.

Erfundene Nachrufe für Promis

Stirbt ein Promi der Kunstwelt, taucht urplötzlich sein „letztes“ Interview aus der Schublade des Kulturredakteurs auf. Posthum geschrieben, weil Tote sich nicht mehr wehren können. Der Nachrufschreiber outet sich selbst rückblickend als engster Weggefährte und Intimfreund des verstorbenen Promis. Leichter hat es die Sparte der Sexualberatung durch die selbst aufgelegte Schweigepflicht ihren vermeintlichen Patienten gegenüber. „Frau K. S. aus B. schreibt, mein Mann verweigert mir den Sex, stattdessen guckt er gern zu, wenn sich unsere beiden Hunde paaren. Ist das normal oder pervers?“ „Machen Sie ein paar Wochen Single-Urlaub und vergessen Sie Ihren Mann, er hat nichts Besseres verdient!“ Der Fantasie beim Erfinden von schlüpfrigen Geschichten sind hier keine Grenzen gesetzt. Die voyeuristischen Lustmolche unter den Lesern bleiben dadurch dem Blatt treu. Aber weshalb der Ausdruck Lustmolch? Ich kenne keine anderen Tiere, bei denen der Sex so lustlos abläuft wie bei Molchen. Das feurige Rammeln des Feldhasen oder die schier endlosen Kopulationen beim Hausspatz wären im Prinzip passendere Vergleiche.

Was ist ein Kleinformat?

Von der Viecherei nun zur Frage, was eigentlich ein Kleinformat ist. Kleingeistig im Inhalt oder Taschenformat, was die Papiergröße betrifft? Die Grazer „Kleine Zeitung“ mit dem bescheidenen Namen und das Berliner Großformat „Die Welt“ mit dem großspurig globalen Titel unterscheiden sich rein optisch in ihren handlichen oder sperrigen Papierseiten. Bei der Lektüre des zuletzt Genannten im Bahnabteil ist man gezwungen, die Zeitung mit weit ausladenden Armen in den Händen zu halten und dadurch den beiden Sitznachbarn links und rechts die Sicht zu verstellen. Pariser Zeitungen vom gleichen Großformat haben ein so hauchdünnes Papier, das man sie beim Lesen beidseits am Rande zusammenrollen kann. Die „Kleine Zeitung“ in Graz und „Die Welt“ in Berlin bieten gleichermaßen seriöse Informationen und anregende Kommentare dazu. Und was bitte ist eine „Qualitätszeitung“? Der Unterschied liegt nicht in der Qualität, sondern im Kaliber. Wie beim Musiktheater, was die Oper und die Operette betrifft. Letztgenannter Begriff geht auf Mozart zurück und bedeutet „Kleine Oper“. Sie ist nicht minderwertiger als ihre große Schwester, nur lustiger. Dennoch hat das „operettenhafte“ einen abwertend-negativen Klang erhalten. Ich habe bereits bei einem grottenschlechten „Lohengrin“ leiden müssen und eine höchst gelungene „Fledermaus“ genießen dürfen. Es hätte aber auch umgekehrt ausgehen können.

Was für eine Zeitung maßgeblich ist, sind einzig die drei Kriterien Information, Kommentar und Ausdrucksform. Soll heißen, Wahrheitsgehalt der Nachricht, Nachvollziehbarkeit der Erklärung dazu und präzise Formulierung. Kleinformat ist also eine Kaliberfrage und kein Qualitätskriterium. Ob hochtrabend anspruchsvoll formuliert oder für den sprichwörtlichen „Mann der Straße“ geschrieben, auf den übrigens der französische Begriff Boulevard zurückgeht. Es ist der Name einer Straßenzeitung im Straßenkaffee. Erst später hat dieses Wort einen abwertenden Klang erhalten. Ebenso ungerecht, wie das mit dem Pamphlet der Fall war. Auch dieses Wort kommt aus dem Französischen und bedeutet „Broschüre“, in der sich jemand überspitzt und polemisch zu einem politischen, religiösen oder wissenschaftlichem Thema äußert. Schließlich ist polemisch auch nichts Ehrenrühriges.

Feuilleton oder Feuilletonismus?

Nun aber hat auch das Feuilleton eine pejorative Abwertung erleiden müssen. Das Wort kommt ebenfalls aus dem Französischen und bedeutet schlicht und einfach „Blättchen“. Als Kulturteil einer Zeitung zur Zeit der Französischen Revolution 1789 war das Feuilleton die Beilage vom Journal des Débats. Autoren beim Feuilleton waren Berühmtheiten sowohl der Künste, wie Richard Wagner etwa, als auch der Wissenschaften, wie zum Beispiel Justus Liebig oder Alexander von Humboldt. Der unberechtigte Vorwurf des sogenannten Feuilletonismus unterstellt Beliebigkeit und Überheblichkeit. Die Beurteilung sollte besser den Lesern überlassen werden. Ob rührselig oder reißerisch, politisch oder polemisch, entscheidend ist ein investigativer Journalismus. Der Begriff geht auf das lateinische „investigare“ zurück, was „aufspüren, genauestens untersuchen“ bedeutet. Politiker preisen Presseprodukte oft als die „Vierte Gewalt“ der Demokratie. Zurecht gefürchtet, aber Gewalt geht zu weit. Medien sind nicht gewaltsam, wohl aber oft gewaltig in der Wirkung. Sie können der Stachel im weichen Fleisch der Korruption einer korrumpierbaren Gesellschaft sein, sind aber nicht bewaffnet wie die Exekutive. Die freie Presse wacht mit dem Wort statt mit der Waffe über unser aller Meinungsfreiheit. Sie wirkt nicht tödlich und kann sogar tröstlich sein, indem sie jedem eine Chance bietet, ob Politiker, Liedermacher oder Leserbriefschreiber. Das gilt für das Kleinformat, das Großformat, die Schreiber und die Leser gleichermaßen. Eine wichtige Aufgabe der Zeitung ist schließlich ihre Sündenbockfunktion.

Medien sind an allem schuld!

Medien sind bekanntlich immer an allem schuld. An Wahlniederlagen von Politikern, am Sauwetter am Wochenende, an Verspätungen der Bundesbahn oder an Fehlgeburten von Prinzessinnen. Ein gelangweilter Britenprinz Harry betreibt es mittlerweile sogar hauptberuflich, die bösen Medien mit Geschichten aus seinem bedeutungslosen Leben zu füttern, um danach scheinheilig jammern zu können, er sei Opfer eben dieser Zeitungen geworden. Und was sind „internationale“ Journalisten? Heutzutage scheint die Bezeichnung ausländischer Journalist fremdenfeindlich zu sein. Sie wird durch das Wort „international“ ersetzt. In Wahrheit gibt es nur französische, englische, belgische oder niederländische Journalisten etwa, aber keine, die international agieren. Es berichtet jeder für sein eigenes Land, welches für ihn Inland und für uns Ausland ist.

Zum Schluss noch ein kurzer Rückblick in eigener Sache. Als Kind der Revolution 1848 feiert die „Presse“ in diesem Jahr ihr 175-jähriges Bestehen. Sie wurde bei uns im gesamten Kaiserreich gelesen, selbst in der weit entfernten Grenzstadt Lemberg, welche heute zur Ukraine gehört. Von dort stammt eine Visitenkarte mit dem Text „Moritz Lichtblau, Oberrabbiner von Lemberg und Abonnent der Wiener ,Presse‘“. Ich selbst bin seit rund 50 Jahren ebenfalls „Presse“-Abonnent und am überlegen, dieses Faktum auch an meiner Visitenkarte kenntlich zu machen. Weil die „Presse“ hierzulande bis heute ein Leuchtturm der Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt geblieben ist. Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum und bitte nur weiter so!


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Welche Zukunft haben Liberalismus und Meinungsfreiheit? Diese Frage stellte sich im Revolutionsjahr 1848, als „Die Presse“ erstmals erschien. Und sie stellt sich heute mehr denn je. In unserem Schwerpunkt zum Jubiläum blicken wir zurück und nach vorne.

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