175 Jahre „Die Presse“

Keine Chance für Schrödingers Katze

Dr. Sabine Hossenfelder beschäftigt sich mit Grundlagen der Physik.
Dr. Sabine Hossenfelder beschäftigt sich mit Grundlagen der Physik.Michael Schick
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Physik. Mathematik ist nicht immer schön und die Quantenwelt gar nicht so mysteriös, sagt Sabine Hossenfelder. In ihren Büchern, Blogs und Videos erklärt sie viel. Ohne Angst vor Provokantem.

Wir sollten den Vorhersagen von Physikern über das Ende des Universums nicht trauen“, sagt Sabine Hossenfelder: „Genauso gut könnte man eine Fruchtfliege um eine Wettervorhersage bitten.“ Nein, diese verschmitzt lächelnde Frau, selbst praktizierende theoretische Physikerin, hat keine Scheu vor provokanten Aussagen. „Ich weiß, es ist nicht sehr populär, seinen eigenen Stamm zu kritisieren“, schrieb sie 2018 in ihrem ersten Buch: „Aber dieses Zelt stinkt.“

Was meinte sie? Was stinkt ihr? Das versteht man ganz gut, wenn man sich einen Blick auf gängige populärwissenschaftliche Bücher gönnt: „Die Geburt des Kosmos aus dem Nichts“, „Das elegante Universum“, „Wie die Zeit in die Welt kam“, „Der Stoff, aus dem der Kosmos ist“, „Der große Entwurf. Eine neue Erklärung des Universums“ – hier wird nicht mit großen, alles und nichts umfassenden Worten gespart. Hier grasen Physiker hemmungslos hinaus ins Terrain der Metaphysik, folgen dem Vorbild Stephen Hawkings, der davon träumte, „Gottes Plan zu kennen“. Oder jenem des Ahnvaters dieser Disziplin, Fritjof Capra, der hippiemäßig das „Tao der Physik“ suchte.

Ist Hossenfelder manchmal schlicht genervt von diesem salbungsvollen Ton? „Ja, das haben Sie richtig herausgehört“, antwortet sie im „Presse“-Gespräch, lenkt aber gleich ein: „Ich weiß, das inspiriert viele Leute, darum will ich nicht zu sehr darauf herumhacken.“ Man merkt: Sie ist durchaus nicht nur ein provokanter Punk der Physik, nein, sie mag ihre Wissenschaft. Genau deshalb will sie deren Zelt ein bisschen lüften. Und zugleich Interessierten über zeitgemäße Medien einen Einblick geben, der nicht durch den Anspruch totaler Welterklärung getrübt ist. In dieser Mission greift sie durchaus auch zum Mikrofon. Nicht um lauter zu reden, sondern um zu singen. Etwa ein bezauberndes Lied namens „Schrödinger‘s Cat“. „We are all connected, we will never die“, singt sie zu einem kühlen Elektropop-Rhythmus, „like Schrödinger‘s cat we will all be dead and still alive.“ Eine feine Ironisierung der Mystifikationen der Quantentheorie, mit deren Grundlagen sie sich derzeit besonders intensiv befasst.

Und streitlustig natürlich: Anton Zeilingers Interpretation, dass quantenphysikalische Experimente die Weltsicht des lokalen Realismus – die sagt, dass physikalische Objekte erstens nur Eigenschaften haben, die schon vor jeder Messung feststehen, und zweitens einander höchstens mit Lichtgeschwindigkeit beeinflussen können – widerlegt hätten, sei „schlicht falsch“, sagt sie. Dabei geht sie zurück auf Einstein, der genau an diese Seltsamkeit der Quantenphysik nicht glauben wollte. Wie nun Hossenfelder: Ihre Interpretation läuft darauf hinaus, dass die Zufälle, die in der Quantenphysik vorkommen, nur scheinbar sind. Im Grund spekuliert sie also – wie viele vor ihr – mit der Idee von verborgenen Variablen, die wir nur (noch) nicht kennen, die aber die Kausalität wieder herstellen.

Superdeterminismus nennt sie das selbst. Ob dieser auf eine Leugnung des freien Willens hinausläuft, wie etwa Zeilinger meint? Ganz klar wird das auch nach einem längeren und lebhaften Disput mit Hossenfelder nicht. Aber dass sie nicht willens ist, an den freien Willen zu glauben, steht fest. „You don‘t have free will, but don‘t worry“, nannte sie 2020 ein YouTube-Video, unlängst folgte eines mit dem Titel „Free will is dead, let‘s bury it“. Im Grunde ist sie da mit Arthur Schopenhauer d‘accord, der ja meinte, nur ein Esel, der genau zwischen zwei Heuhaufen steht, könne sich frei entscheiden (und da er das nicht kann, muss er verhungern). Zufall, ob quantenmechanisch oder nicht, hilft da nicht weiter: Wer will schon seinen freien Willen als Produkt des Zufall sehen?

„Es ist nicht alles schön, was wahr ist“

Ungehemmter folgt man Hossenfelder, wenn sie wildere Interpretationen der Quantentheorie ablehnt: etwa die Vielweltentheorie, die besagt, dass jedes Mal, wenn eine Entscheidung zwischen zwei möglichen Quantenzuständen fällt, das Universum sich verdoppelt. Sie tue sich mit der Vorstellung schwer, dass jemand das wirklich glaubt, sagt sie geradezu diplomatisch: „Ich glaube, das sind Leute, die Mathematik zu ernst nehmen.“

Das tut sie nicht, bei aller Liebe zur Mathematik, die sie noch vor der Physik studiert hat. Genau deshalb hält sie nichts von der bei Philosophen, aber auch Physikern verbreiteten Idee, dass die Schönheit der mathematischen Formulierung ein Indiz für die Gültigkeit einer physikalischen Theorie sei. „Nicht alle Mathematik ist schön“, sagt sie: „Es ist nicht alles, was schön ist, wahr. Und auch nicht alles, was wahr ist, schön. Das sind einfach zwei verschiedene Dinger.“ Also spricht Symmetrie nicht für eine Theorie? „Schauen Sie“, sagt sie im trockensten Hessisch: „Sie können jede Gleichung super elegant als x = y schreiben, die Frage ist nur: Was meinen wir mit x und mit y?“

Diese Skepsis packte Hossenfelder 2018 in ihr erstes populärwissenschaftliches Buch: „Lost in Math: How Beauty Leads Physics Astray“, auf Deutsch als „Das hässliche Universum“ erschienen. In ihrem neuen Buch „Mehr als nur Atome“ widmet sie sich einigen großen Fragen, etwa: Existiert die Vergangenheit im Jetzt? Denkt das Universum? Warum wird niemals jemand jünger? Versteht sich, dass ihre Antworten öfters ernüchternd ausfallen. Geistreich und witzig formuliert sind sie allemal.

Wie sie die Erderwärmung zu verstehen lernte

Das gilt auch für ihren Blog „Backreaction“, ihre Kolumne „Starts with a Bang“ und ihre Videos unter dem Motto „Science without the Gobbledygook“. Darunter eines mit dem Titel „I misunderstood the Greenhouse Effect. Here‘s how it works“. Entstanden ist es aus der Begegnung mit Menschen, die nicht an die menschgemachte Erderwärmung glauben wollen. „Die glauben, weil ich skeptisch bin, muss ich auch ein Klimaleugner sein. Also wollte ich das verstehen.“ Dabei kam Hossenfelder darauf, dass das Modell, das sie im Kopf hatte – „Das ist wie in einem Glashaus, da geht Energie hinein und kommt nicht mehr heraus und deshalb wird‘s wärmer“ – so einfach nicht funktioniert. „Aber ich kenne viele Leute, die Klimaphysik studiert haben, die haben mir das sehr lang erklären müssen, bis ich es endlich kapiert habe. Als ich dann kapiert hatte, hab ich mir gedacht: Jetzt machst du ein Video darüber, wo jeder nachschauen kann.“

Das tun viele, und zwar mit Erkenntnisgewinn. Das gilt für viele Clips Hossenfelders. Und sie macht einen immer wieder neugierig und überrascht einen. Wenn sie etwa lang die Vorteile und Nachteile der Atomkraft abwägt. Und dann eine Bilanz zieht: Was gegen die Atomkraft spreche, sei nicht das Risiko oder der Atommüll. Nein, die Kernenergie rechne sich wirtschaftlich nicht. Aber dieses Urteil überlasse sie gern dem Markt.

Oder wenn sie einen Beitrag „The closest we have to a Theory of Everything“ nennt. Was um Himmels willen kann das sein, fragt man sich: Ist die Hossenfelder jetzt auch schon auf der Suche nach der Weltformel? Nicht wirklich. Sie meint das Prinzip der kleinsten Wirkung. Wer davon in der Schule nichts gehört hat, dem geht es wie Hossenfelder selbst, die erzählt: „Als ich in der Schule zum ersten Mal mit Physik in Kontakt kam, gefiel sie mir nicht.“ Das hat sich geändert, und sie tut einiges dafür, dass sich das auch bei anderen ändern könnte.

Sabine Hossenfelder

Geboren 1976 in Frankfurt am Main, Dissertation über Schwarze Löcher. Bisher zwei populäre Bücher: „Das hässliche Universum“, „Mehr als nur Atome“.

Jubiläum

Welche Zukunft haben Liberalismus und Meinungsfreiheit? Diese Frage stellte sich im Revolutionsjahr 1848, als „Die Presse“ erstmals erschien. Und sie stellt sich heute mehr denn je. In unserem Schwerpunkt zum Jubiläum blicken wir zurück und nach vorne.

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