175 Jahre „Die Presse“

„Der fürchterlichste Tag“

Oktober 1848. „Die Presse“ kommentiert die Ermordung des Kriegsministers Latour beim letzten Aufbäumen der Revolution.

Der gestrige Tag war der fürchterlichste und blutigste unserer Revolution. Bürger standen gegen Bürger und Soldaten gegen Soldaten. Die Stadt sah zum ersten Mal eine wahre Schlacht in ihren Mauern.“ „Wien, den 7. Oktober“ war die Spalte auf der Seite 1 der „Presse“ übertitelt, sie beschreibt das letzte Aufbäumen der Revolution. Der Spuk war am nächsten Tag vorbei: Die Oktoberrevolution von Wien 1848, die eigentlich radikale Phase des Aufstands, endete im Unterschied zu ihrer berühmten Namensvetterin nicht in einer neuen Regierung. Kein Lenin ergriff die Macht, um der Weltgeschichte eine andere Wendung zu geben. Vielmehr suchte das Bürgertum Hilfe in den Armen der Armee.

Ganz zuletzt, am 6. Oktober 1848, war noch ein Minister ermordet worden. „Die Presse“ berichtete in einer im Umfang stark reduzierten Ausgabe über dieses „gräßlichste Ereignis“: „Bewaffnete Haufen drangen in das Kriegsministerium, suchten und fanden den unglücklichen Grafen Latour und ermordeten ihn. Ein Student hatte ihn umsonst zu schützen gesucht. Der Leichnam des Ministers wurde verstümmelt auf dem Hof an eine Laterne gehängt. Noch spät in der Nacht sah man das fürchterliche Schauspiel.“
Warum gerade der 68-jährige k. k. Feldzeugmeister und Kriegsminister Latour? Er hatte einem Grenadierbataillon den Befehl gegeben, gegen die aufständischen Ungarn auszurücken. Die Soldaten verweigerten den Gehorsam und wurden von Nationalgardisten, Studenten und Arbeitern gedeckt. Eine Straßenschlacht entbrannte auf der Taborbrücke. Das Kampfgeschehen verlagerte sich mitten in die Stadt. Man lieferte sich im und um den Stephansdom blutige Gefechte, einige am Graben abgefeuerte Kartätschen steigerten die Empörung.

Die Aufständischen wogten weiter auf den Platz am Hof, zum Kriegsministerium. Einzelne prominente Reichstagsabgeordnete versuchten vergeblich, die Menge zu beschwichtigen und die Minister zu schützen. Justizminister Alexander Bach vermochte sich über Hintertreppen zu retten, angeblich in Frauenkleidern. Doch das könnte auch eine Ausschmückung der Nachwelt sein.
Die zersprengten Regierungsmitglieder trafen sich in der Staatskanzlei und erfuhren dort von der schrecklichen Tat: Kriegsminister Latour konnte oder wollte seinen Posten nicht räumen, wurde umgebracht und an einer Laterne gehenkt. Am Morgen des 7. Oktober 1848 war die Stadt in den Händen der Radikalen. Mit dem Hof verließen 20.000 Wiener die Stadt.

Es war schon der zweite aufsehenerregende Mord: Am 28. September 1848 war der österreichische Feldmarschall-Leutnant Franz Philipp Graf von Lamberg in Pest während der ungarischen Revolution ermordet worden. Er sollte als loyaler kaiserlicher Offizier und ungarischer Magnat die Ruhe wiederherstellen, doch an die Armee erging die Weisung, ihm den Gehorsam zu verweigern. Nach seinem Eintreffen auf der Pontonbrücke von Pest wurde er von einer erregten Volksmenge angegriffen und an Ort und Stelle getötet.

Bald war von den Ministern in Wien keiner mehr im Amt. Latour tot, Bach untergetaucht, Handelsminister Theodor Hornbostel fuhr zu seiner Frau nach Gmunden, Innenminister Anton von Doblhoff, ohnehin schon seit längerem amtsmüde, resignierte endgültig. Es gab noch Finanzminister Philipp von Krauß, der unbekümmert und mit unverwüstlicher Heiterkeit im isolierten Wien weiteramtierte und die Fiktion der Legalität aufrechterhielt. Angeblich, „um die Finanzen nicht preiszugeben“. Doch der kaiserliche Hof ließ die Zügel schleifen. Erst am 16. Oktober wurde Alfred Windisch-Graetz zum Oberbefehlshaber aller Truppen außerhalb Italiens ernannt und mit der Niederwerfung Wiens beauftragt.

Starker Staat und Freiheit schützen

„Wir wiederholen es: Unsere Idee ist nicht besiegt“, schreibt die „Presse“ am 10. Oktober. Es müsse möglich sein, eine starke Staatsgewalt zu haben und dennoch die Freiheit zu schützen und zu bewahren. Sie hat die Hoffnung, „dass Vernunft und Besonnenheit nur auf kurze Zeit verdrängt sind, und dass man aufhören wird, in seinem eigenen Fleische zu wühlen“. Da sind die kaisertreuen Truppen bereits im Anmarsch auf Wien, um das alte Österreich für einen neuen Kaiser zurückzuerobern. Am 26. Oktober lassen sie die Wiener wissen, wer die Waffen erhebe, werde standrechtlich verfolgt.

Bis zum 31. Oktober war auch die Innere Stadt zurückerobert. Insgesamt fielen bei den Kämpfen rund 2000 Menschen. Ein klares politisches Signal war die Exekution prominenter Anführer. Eine Untersuchung gegen die Mörder Latours, um der Außenwelt vor Augen zu halten, dass in Wien alles wieder seine Ordnung habe, unterblieb. Am 2. November wehte auf dem Stephansdom wieder die schwarz-gelbe Fahne.

Blutiger Tag

Die Ermordung von Kriegsminister Latour am 6. Oktober 1848 wurde zum vernichtenden Anklagepunkt gegen die revolutionäre Bewegung.

Jubiläum

Welche Zukunft haben Liberalismus und Meinungsfreiheit? Diese Frage stellte sich im Revolutionsjahr 1848, als „Die Presse“ erstmals erschien. Und sie stellt sich heute mehr denn je. In unserem Schwerpunkt zum Jubiläum blicken wir zurück und nach vorne.

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