175 Jahre „Die Presse“

Vranitzky. Eine Erwiderung

[ Otto Breicha / picturedesk.com ]
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13. September 1985. Es ist Sache der Salzburger Festspiele, ob sie ein Theaterstück von mir spielen oder nicht, nicht Sache des Herrn Vranitzky.

Nachdem ein drittklassiger Kabarettist, der vor Jahren mit ebenso drittklassigen Theaterstücken auf dem Salzburger Landestheater gescheitert ist, in einer sogenannten Fernsehdiskussion gegen die Aufführung meines „Theatermachers“ während der Salzburger Festspiele auf eben demselben Salzburger Landestheater vor Hunderttausenden von Zuschauern einen Wutanfall bekommen hat, hat sich der jetzige Finanzminister Vranitzky die opportunistische Dummheit dieses Kabarettisten zu eigen gemacht und zur Eröffnung der Wiener Herbstmesse mein Theaterstück „Der Theatermacher“ auf ebenso unappetitliche Weise als „von Steuergeldern finanziert“ denunziert und vor Tausenden von Zuhörern und vor einer Reihe von sogenannten „Spitzen“ des Staates, darunter auch der Präsident des Nationalrates und sozialistische Gewerkschaftspräsident Benya, auf gerade widerwärtige Weise in den tagespolitischen Schmutz gezogen.

Der österreichische Finanzminister und also Säckelwart unseres mehr oder weniger schon seit Jahren unter pseudosozialistischer Präpotenz in sich selbst delirierenden Kleinstaates ist nicht unbedingt ein Amt, das einen vom Sessel reißt, wie gesagt wird, und der Finanzminister Vranitzky ist der Finanzminister eines schon längst zur Provinzschnurre verkommenen Kleinstaates, mit dem sich ein denkender Mensch schon lange nicht mehr identifizieren kann. Dass ein solcher Provinzschnurrenfinanzminister aber gleich ein Theater verbieten will, weil es ihm nicht passt und weil es ihm und den Seinigen nicht das opportunistische österreichische Kunstschmalz um die Ohren schmiert, wie gewohnt, ist eine Ungeheuerlichkeit und sollte zu denken geben.

Nadelstreifsozialisten

Der Herr Vranitzky hat, so scheint es von Kunst und Kultur keine Ahnung und, wie die meisten seiner Kollegen, die Zeichen der Zeit nicht begriffen. Der Herr Vranitzky hat einen wenigstens kuriosen, aber doch durch und durch dämonischen Kulturbegriff, wie sich zeigt. Der Herr Vranitzky ist, wie seine Kollegen, nicht sehr gescheit und er ist genau einer von jenen dubiosen Nadelstreifsalonsozialisten à la Kreisky, die unseren österreichischen Staat als die Zweite Republik dorthin gebracht haben, wo er heute ist, in der „Senkgrube der Lächerlichkeit (Alte Meister!)“, an seinem Ende.

Der Herr Vranitzky sagt, dass es ein Skandal ist, dass die Salzburger Festspiele ein Theaterstück von Thomas Bernhard aufgeführt haben, und er sagt es öffentlich und vor einem breiten Publikum und als „Minister“, was unerhört ist und nicht unwidersprochen bleiben darf. Sagt Herr Vranitzky, was er gesagt hat, privat, so ist es nur eine bekannte Dummheit, sagt er es aber als „Minister“, so ist es, wie mir scheint, doch ein Gesetzesbruch. Der Herr Vranitzky hat sozusagen öffentlich zur totalen Verdammung der Arbeit des Thomas Bernhard aufgerufen und empfiehlt die infernalische Kunst- und Kulturzensurbremse à la Metternich, Stalin und Hitler. Das hat Herr Vranitzky unmissverständlich klar gemacht.

Es ist Sache der Salzburger Festspiele, ob sie ein Theaterstück von mir spielen oder nicht, nicht Sache des Herrn Vranitzky.

Herr Vranitzky kann seine Privatansicht äußern, wie jeder andere auch, aber er darf als Minister nicht plump und brutal und weil es unter Umständen einem angeregten Wirtschaftspublikum an einem sonnigen Vormittag im Messeprater gefällt, wie er glaubt, zu Verbot und Zensur ermuntern. Herr Vranitzky nützt eine bekannte und bewährte Methode der Verächtlichmachung für seinen Zweck: Er behauptet, ich sei gegen Österreich und gegen die Österreicher, aber ich bin naturgemäß weder gegen Österreich, noch gegen die Österreicher, sondern, wie Millionen mit mir, aus Sorge um dieses Land, gegen die jetzige österreichische Regierung und gegen den von dieser gegenwärtigen österreichischen Regierung gelenkten Staat. Aber Minister, wie der Minister Vranitzky, haben von jeher kein Unterscheidungsvermögen gehabt, wenn es ihrem durch und durch opportunistischen Karrierekopf gepasst hat.

Herr Vranitzky meint, nur eine verschwindende, völlig unbedeutende Minderheit, die nicht zählt, sei gegen die jetzt herrschenden Zustände in diesem Land. Das kann Herr Vranitzky, wie gesagt wird, seiner Großmutter, wo immer sie sich befindet, erzählen, nicht aber der österreichischen Bevölkerung.

Ein Land, in dem die Kabarettisten sich auf die Seite der Mächtigen schlagen und die Mächtigen auf die Seite der Kabarettisten, ist eine europäische Perversität erster Klasse.

Herr Vranitzky ist ein eitler Geck, der, wie ich festgestellt habe, alle paar Tage die Stallburggasse mit einem Laufsteg und sein Ministerium für Finanzen mit einer Behörde für Zensur und Verbot von Kunst und Kultur verwechselt. Das sollte gesagt sein.

Neben Bernhards Text ist eine Anmerkung der „Presse“-Redaktion erschienen:

Bernhard. Ein Problem

Es gibt Menschen, die aufstehen und sich gegen Salzburg verneigen – oder gegen Freilassing –, wenn sie seinen Namen hören, den des, wie sie meinen, einzigen zeitgenössischen österreichischen Theaterdichters von Rang. Es gibt andere, die ihn als maßlos überschätzten Nestbeschmutzer bezeichnen. Ein Problem ist Thomas Bernhard jedenfalls. Wie weit darf Österreichkritik gehen, wo verlaufen die Grenzen von Toleranz (oder Geschmack)? Sit venia verbo, könnte man sagen: für Künstler gelten andere Gesetze, zumeist solche, die sie sich selbst basteln. Für „Die Presse“ indes ist Bernhards verbalisierter Wutausbruch gegen Finanzminister Vranitzky ein Zeitstück, freilich kein lustiges. Vielmehr eines, das vom Dichter wohl als Provokation gemeint, von uns als Diskussionsgegenstand verstanden wird. Die Interpretationen mögen bis zur Selbstentlarvung gehen, als Dokumentation, dass – und wie sehr – ein Dichter hassen kann, sogar sein Vaterland, ist Thomas Bernhards Erwiderung hochinteressant. t.c.

Thomas Bernhard

(1931–1989), einer der bedeutendsten österreichischen Schriftsteller, war für heftige Auseinandersetzungen um seine Arbeiten und sein streitbares Auftreten bekannt.

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