175 Jahre „Die Presse“

Plaudern mit Libellen und Eidechsen

Der Mond wird den Massentourismus schon hinter sich haben. Neuester Clou: Kommunikation mit Tieren.

Wer vor 175 Jahren in Europa lebte, reiste auf Schiffen und mit Pferdekutschen, starb an bakteriellen Infektionen und fing langsam an zu bezweifeln, ob Gott tatsächlich alle Lebewesen ein und für allemal unveränderlich geschaffen hatte. Charles Darwin dachte, 39-jährig, über das nach, was er auf seiner Reise nach Südamerika gesehen hatte, und schloss, dass dies alles nur erklärlich war, wenn Lebewesen sich, unter dem Einfluss ihrer Umgebung, von Generation zu Generation veränderten, auch die Menschen. Lord Kelvin entdeckte, 24-jährig, dass es einen absoluten Nullpunkt gab, ab dem kein weiterer Wärmeverlust mehr möglich war, und legte den Grundstein für die in Grad Kelvin oder Celsius skalierte Temperaturmessung. Mehrere Leute setzten sich dafür ein, Kabel unter dem Atlantik zu verlegen, um zwischen Amerika und Europa telegrafieren zu können.

Wie wird Wissenschaft in 175 Jahren aussehen? Was werden wir gerade erfunden haben, was wird uns faszinieren? Der Mond wird eine Phase von Massentourismus schon hinter sich haben. Physisches Reisen wird durch künstliche Intelligenz großteils überflüssig geworden sein. Wir werden Übertragungsmöglichkeiten haben, die uns körperliche und geistige Reize echter Ortsveränderungen suggerieren, ohne dass wir uns vom Fleck bewegen. Ein Aufenthalt in Kairo oder auf dem Mount Everest wird in der Mittagspause möglich sein. Abends machen wir einen Spaziergang im nahe gelegenen Park, um den Kindern die genetische Vielfalt der im vergangenen Jahrhundert neu zugewanderten Insektenarten zu zeigen. Alle werden Scanner bei sich tragen, mit denen sie in Sekundenschnelle DNA-Analysen durchführen können – sei es bei Tieren, Pflanzen oder Mitmenschen. Genetische Abweichungen und Außergewöhnlichkeiten werden für alle offensichtlich sein, wie jetzt ein Muttermal auf der Nase oder ein verkrüppelter Arm.

Krankenhäuser als virtuelle Orte

Wissenschaft, vor allem ihre medizinische Seite, wird vollkommen demokratisch sein. Alle werden selbst kleine Operationen durchführen können. Krankenhäuser werden virtuelle Orte sein, Knotenpunkte künstlicher Intelligenz, an die Menschen, die medizinische Hilfe brauchen, andocken. Physisch wird jede und jeder bei sich zu Hause im eigenen Krankenzimmer liegen oder sitzen, Ärzte beraten via feinmotorischer Totalübertragung – eine Ärztin aus Peking oder Kamtschatka kann eine Patientin im Salzkammergut so gut versorgen, als stünde sie neben ihr. Nach einer Zeit rasender technischer Erfindungen im Bereich der Genetik, Physik und Informatik werden Wissenschaftler:innen, die die Forschung zu ihrem Beruf machen, wieder zu einem Fokus auf Ideen zurückkehren. Technologie-Getriebenheit wird den Laien überlassen.

Nachdenken wird das sein, wofür du als Wissenschaftler:in bezahlt wirst. Hybrides Denken zwischen mehreren einst getrennten Disziplinen wird genauso cutting-edge sein wie Hyperspezialisierung auf einzelne Moleküle. In der Biologie wird es möglich sein, mit Tieren und Pflanzen technisch-unterstützt zu kommunizieren. Kinder werden mittels winziger Geräte, die sie selbstverständlich zur Verfügung gestellt bekommen wie heute eine Sozialversicherungsnummer, mit Libellen, Eidechsen und Regenwürmern sprechen. Gedankenaustausch mit nicht menschlichen wild lebenden Lebewesen wird üblich sein.

Jubiläum

Welche Zukunft haben Liberalismus und Meinungsfreiheit? Diese Frage stellte sich im Revolutionsjahr 1848, als „Die Presse“ erstmals erschien. Und sie stellt sich heute mehr denn je. In unserem Schwerpunkt zum Jubiläum blicken wir zurück und nach vorne.

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