175 Jahre „Die Presse“

KI kann unterstützen, aber (noch) nicht ersetzen

Marin Goleminov/Die Presse
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Führung. Was Manager in Zeiten künstlicher Intelligenz draufhaben sollten: Menschliches.

Ob eine künstliche Intelligenz (KI) August Zang vorgeschlagen hätte, das Kipferl von Wien nach Paris zu bringen, oder „Die Presse“ zu gründen. Schwer zu sagen. Heute, 175 Jahre später, gibt es jedenfalls Unternehmen, die sich lieber auf eine KI verlassen als auf menschliche Entscheidungsträger. Der Onlinespielehersteller NetDragon Websoft mit Sitz in Hongkong hat den menschlichen CEO einer Tochterfirma kurzerhand durch einen KI-Chef ersetzt. Der Maschinen-CEO trifft nun jene Entscheidungen, die angeblich nur Menschen treffen können – etwa, welche unternehmerischen Risiken eingegangen werden können und wie effiziente Arbeitsplätze gestaltet sein sollten. Und die Ergebnisse können sich durchaus sehen lassen: Die Kennzahlen des Unternehmens haben sich im Vergleich zum Markt sehr gut entwickelt. Vom kolumbianischen Rum-Hersteller – mit dem bezeichnenden Namen – Dictador, heißt es, er werde von Mika, einer KI geleitet. Gleich, wer hinter dem gleichnamigen LinkedIn-Profil steckt, die mediale Aufmerksamkeit hat man jedenfalls erzielt.

Ohne gleich das Kommando gänzlich abzugeben, lohnt sich der Blick in die nahe Zukunft, welche der zahlreichen Führungsaufgaben des Managements an KI ausgelagert werden können. Barbara Stöttinger, Dekanin der WU Executive Academy, hat sich die wichtigsten Aufgaben angesehen. Unter dem Strich kommt sie zum Ergebnis: KI kann eine wertvolle Entscheidungshilfe sein, doch es gibt Leadership-Tätigkeiten die „KI niemals ausführen wird können, egal wie fortgeschritten sie ein mag“.

Strategie, Planung. Die Auswertung von Daten durch KI, bei Bedarf auch innerhalb kurzer Zeit, kann die Grundlage strategischer Entscheidungen sein, die letztlich aber nur Menschen treffen könnten. Schließlich, meint Stöttinger, umfasse die Strategie Werte, Visionen und Überzeugungen, die von der jeweiligen Organisation getragen werden müssen.

Organisation. „In Bereichen, in denen Standardisierung und Optimierung nötig sind, kann KI viel Gutes tun“, sagt Stöttinger. Maschinen können strukturiert arbeiten, haben jedoch dort Grenzen, wo es um Ideen, um Innovation, um das Denken außerhalb der Norm geht. Es komme in Unternehmen immer auch auf jene Kombination von Faktoren an, die Menschen entsprechen, beispielsweise Emotion und Verständnis für Beziehungen.

Kontrolle, Finanzen. Müssen große, sperrige und möglicherweise detailreiche Datenmengen ausgewertet werden, die als Entscheidungsgrundlagen dienen, kann KI hilfreich sein. Aber: „Routinierte Wirtschaftsprüfer erkennen oft mit einem Blick, wo es hapern könnte.“

Human Resources. Lebensläufe und Motivationsschreiben nach Schlagworten durchsuchen und eine Vorauswahl treffen, das erledigt KI längst. „Maschinen sind weniger voreingenommen als Menschen, was im Personalwesen durchaus ein Vorteil sein kann“, sagt Stöttinger. Zu erkennen, ob „die Chemie“ stimmt, bleibe aber den Menschen vorbehalten.

Kommunikation. Die Vor- und Aufbereitung der Grundlagen für eine Entscheidung kann eine KI übernehmen, meint Stöttinger. Doch glaubwürdige Kommunikation – nach innen und nach außen – müsse von Führungskräften ausgehen. Das gilt aus ihrer Sicht auch für den Umgang mit Feedback und Kritik. „Überall dort, wo es um zwischenmenschliche Beziehungen, Vertrauen oder Wertschätzung geht, werden Menschen unersetzlich bleiben. Denken Sie etwa an Mitarbeiter- oder Verkaufsgespräche“, sagt Stöttinger.

Was darüber hinaus nicht zu unterschätzen ist: KI kann ein Werkzeug sein, das relativ früh vor möglichen Gefahren und Risiken warnen kann. Ob KI dem Menschen überlegen ist, aus den Erkenntnissen die richtig(er)en Schlüsse zu ziehen, ist nicht so sicher.

Und: „Manchmal braucht es eine paradoxe Intervention, also eine Entscheidung, die das Gegenteil von dem ist, was normalerweise in einer derartigen Situation zur Anwendung kommt – einfach um die Scheuklappen des täglichen Lebens abzulegen und wieder bereit für Neues zu sein. Erklären Sie mir bitte, wie das eine KI bewerkstelligen soll“, fragt Stöttinger.

Humanismus nicht vergessen

Angst vor der KI jedenfalls sei nicht angebracht. „Schon bei der Einführung von Computern war es ähnlich.“ Es gäbe keinen Weg zurück, nun gehe es um den sinnvollen Einsatz und die Gestaltung nach eigenen (menschlichen) Wünschen. „Wir haben als Menschen so viele Aspekte, die uns gegenüber Maschinen überlegen machen.“

Es gehe allerdings schon darum, für eine Haltung zu sorgen, die Technologie als etwas versteht, das den Menschen dient, und nicht umgekehrt. Stichwort digitaler Humanismus oder Corporate Digital Responsibility, wie dieser europäische Ansatz auch genannt wird. „Wir wollen neue Technologien nutzen und zugleich unseren Werten folgen. Und genau hier kommt menschlichen Führungskräften eine zentrale Rolle zu.“

Generell sollten Führungskräfte – wie im übrigen Arbeitskräfte oder Studierende auch – sich auf das konzentrieren, was Maschinen eben nicht können: Empathie, Einfühlungsvermögen, kritisches Denken oder soziales Verständnis.

Und Kritikfähigkeit und Selbstreflexion. Einen eventuellen Misserfolg überhaupt auf sich zu beziehen, das ist eine enorme Leistung. Die eine KI – zumindest 2023 – nicht zustande bringen kann.

Künstliche Intelligenz

Führungskräfte sollten sich in Zeiten von KI darauf konzentrieren, was Maschinen nicht können: Empathie, Einfühlungsvermögen, kritisches Denken, soziales Verständnis.

Jubiläum

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