175 Jahre „Die Presse“

Gerichtsprozesse und ihre Reporter: Vom Diktat zum Live-Ticker

Justiz. Wo Gerichtsdiener werkten, ist nun der elektronische Akt.

In den 1980er-Jahren gab es sie noch, die Richterpersönlichkeiten. Das Landesgericht für Strafsachen Wien, das bis heute bundesweit größte seiner Art, brachte sie hervor.

Da war der alte Hofrat, der das Strafrecht so stur anwandte, als gebe es keine Menschen, auf die es niedersaust. Da war die Frau Rat aus altem elsässischen Adel, die ob ihrer Strenge als gnadenlos galt. Da gab es den Zyniker im Talar, der selbst Zeugen zur Schnecke machte, Beschuldigte sowieso. Und da staunte man über jenen Vorsitzenden, der nach Verhängung der Höchststrafe, Lebenslang, immer eine kleine „Entschädigung“ für die Verurteilten parat hatte: Er legte ihnen ihre Möglichkeiten (Berufung und so) mit ausnehmender Höflichkeit dar.

Und da waren wir. Die Gerichtsberichterstatter. Wir trugen an die Öffentlichkeit, was wir im Verhandlungssaal erlebten. Die vielen Geschichten von Räubern, Mördern und Kindsverderbern, wie einst Friedrich Torberg mit Blick auf den in den 1920er-/30er-Jahren aktiven Rechtsanwalt Hugo Sperber geschrieben hatte.

Das Hauptquartier der Reporter war ein Kammerl im Grauen Haus, wie das Gericht bis heute heißt. Dort stand noch Ende der 1980er-Jahre eine (einzige) Schreibmaschine. Ein älteres Fabrikat.

Wenn es schnell gehen musste, hämmerte man in die Tasten, rief in der Redaktion an und diktierte am Telefon das Geschriebene. Wer welche Geschichte durchgab, folgte nicht dem Gutdünken der Zeitungsredakteure. Denn da war sie. Die Grande Dame der Justizberichterstattung, Grete Demartini. In den Diensten der „Presse“ berichtete sie schon seit den 1960er-Jahren aus den Gerichten. Sie schrieb auch für die Austria Presse Agentur (APA). Unglaubliche 2500 einschlägige APA-Meldungen lieferte Demartini von 1978 bis 1990. Sie organisierte, wer in der Früh zu welcher Verhandlung geht. Am späten Vormittag traf man einander wieder und tauschte seine Schätze aus. Konkurrenzdenken wäre unklug gewesen. Dank der Geschichtenbörse hatte jeder nicht nur seine Story, sondern auch noch zwei, drei Geschichten mehr. Davon profitierten die Leser. Nun ja, eines Tages war die Schreibmaschine verschwunden.

Die Vertreter der Tageszeitungen (einige Blätter, zum Beispiel die „Arbeiterzeitung“ oder „Täglich Alles“, existieren längst nicht mehr) fuhren zum Schreiben ohnedies lieber in ihre Redaktionen. Das ging sich zeitlich aus. Nur die APA-Leute hatten es immer eilig (heutzutage hat längst jede Zeitung eine Online-Ausgabe, sodass es alle immer eilig haben).

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